Süddeutsche Zeitung

Einkommensteuer für Rentner:Das neue System ist dem alten zu 100 Prozent überlegen

Für Rentner ist die neue Besteuerung lästig, manche werden zu Verlierern - dennoch ist die Umstellung richtig. Sie fördert das Gemeinwohl.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Eine Wutwelle baut sich auf unter Deutschlands Ruheständlern, sie wird, diese Prognose darf man schon heute stellen, an Wucht gewinnen. Jüngster Auslöser ist das Statistische Bundesamt, das bekannt gab, welcher Anteil der Rentner Einkommensteuer zahlen muss. 27 Prozent von ihnen, lautete die Auskunft.

Mehr als jeder vierte Rentner konnte sich also über sein Finanzamt ärgern. Das sind Zahlen aus 2015, frischere Daten liegen noch nicht vor, die Mühlen der Finanzverwaltung mahlen langsam. Aber schon diese Meldung schreckt viele ältere Menschen auf, wohl weil sie glaubten und hofften, im neuen Lebensabschnitt nichts mehr zu tun zu haben mit dem Fiskus. Aber das Gegenteil ist richtig. Es werden immer mehr werden.

War früher alles besser? Klare Antwort: Bequemer für Senioren war es, aber deswegen nicht besser fürs Gemeinwohl, sondern schlechter. Bis 2005 wurde nur die Hälfte der Ausgangsrente als zu versteuerndes Einkommen gewertet, die meisten Ruheständler wurden vom Finanzamt nie belästigt. Doch dann kam das Neue: die stufenweise Umstellung von der sogenannten vorgelagerten auf die nachgelagerte Besteuerung, die noch von der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführt wurde, weil das Bundesverfassungsgericht drängte.

Die Grundidee dabei ist richtig und nur zu begrüßen: Wer fürs Alter finanziell vorsorgt, soll von der Besteuerung verschont werden. Im Ruhestand gilt dann die reguläre Belastung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Der Staat fördert so die Vermögensbildung, kassiert später aber auch bei denen, die im Alter genügend verdienen.

Eine derartige Korrektur hinterlässt immer Benachteiligte und Verlierer

Die Umstellung ist wichtig und richtig, sie zu bewerkstelligen aber keineswegs trivial. Geradezu unmöglich ist es, dabei keinen zu benachteiligen und zu verärgern. Damals entschied man sich für ein kompliziertes Verfahren, einfache Lösungen hat niemand.

Rechenbeispiel zur neuen Rentenberechnung

Max Müller bekam im Januar 2010 zum ersten Mal Rente, monatlich 1500 Euro. In den Jahren danach stieg seine Rente. 2019 beträgt sie 1600 Euro.

2010, also bei Rentenbeginn, lag der steuerpflichtige Rentenanteil bei 60 Prozent. Die restlichen 40 Prozent waren steuerfrei. Dieser steuerfreie Betrag von 600 Euro im Monat, also 7200 Euro pro Jahr, wird bei Max Müller nun für alle kommenden Jahre als "Rentenfreibetrag" fixiert.

2019 wird dann folgendermaßen gerechnet: 2019 bezieht Max Müller 19 200 Euro Jahresrente (1600 Euro mal 12 Monate). Zieht man von diesen 19 200 Euro den Rentenfreibetrag von 7200 Euro ab, erhält man Einkünfte von 12000 Euro.

Von diesem Betrag von 12000 Euro kann Max Müller aber noch Kosten absetzen, zum Beispiel Werbungskostenpauschale und Sonderausgabenpauschale, dazu monatliche Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Addieren sich diese Abzüge zum Beispiel auf 2300 Euro, so verringert sich Max Müllers zu versteuerndes Einkommen auf 9700 Euro.

Ergebnis: Max Müllers Einkünfte liegen insgesamt über dem 2019 geltenden Grundfreibetrag von 9168 Euro. Er muss also eine Steuererklärung abgeben. Die jährliche Einkommensteuer beläuft sich, ohne Kirchensteuer, auf 77 Euro. Der Soli ist nicht fällig.

Seit 2005 werden Rentenbeiträge schrittweise von der Besteuerung freigestellt. 2025, also zwanzig Jahre später, sind sie gänzlich steuerfrei. Im Gegenzug wird die Besteuerung der Renten erhöht, in Stufen von ein bis zwei Prozentpunkten - Zielmarke ist hier aber erst das Jahr 2040. Wer heute in Ruhestand geht, muss 78 Prozent seiner Rente versteuern. Zu 100 Prozent wird das erst Neurentner des Jahres 2040 treffen. Auch wenn die Entlastung schneller greift als die Belastung - der Politikverdruss der Rentner wird wachsen.

Wahr ist: Viele ärgern sich zu Recht, weil sie, fiskalisch eine Todsünde, vom Staat gleich doppelt besteuert werden. Sie zahlen heute Steuern auf Teile ihrer Rente, obschon bereits ihre Beiträge zur Rentenkasse belastet wurden. Das trifft besonders jene, die Höchstbeiträge an die Rentenkasse zahlten.

Wahr ist aber auch: Eine so komplexe steuersystematische Korrektur wird niemals und niemandem gelingen, ohne Benachteiligte zu hinterlassen. Als SPD und Grüne seinerzeit die Änderung beschlossen, spielte auch die Überlegung eine Rolle, welche Steuerausfälle der Staat in der Zeit des Übergangs verkraften könnte. Keine Frage: Es hätte, aus Sicht der Rentner und Beitragszahler, großzügigere Varianten gegeben.

Betrachtet man das Ganze aber über eine längeren Zeitraum hinweg, wird die Besteuerung für viele Bürger günstiger: In aller Regel verdienen Menschen als Erwerbstätige mehr denn als Rentner, die steuerliche Verschonung in der früheren Lebensphase ist also vorteilhaft. Am Ende aber ist das neue System dem alten zu 100 Prozent überlegen. Als genauso sicher darf allerdings gelten: Etliche werden versuchen, den Kasus erneut nach Karlsruhe zu tragen. Doch selbst wenn das zu einer abermaligen Neuregelung führte, sie schüfe vor allem neuen Verdruss und neue Verlierer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4486562
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.06.2019/lüü
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.