Altersvorsorge:Wann die Rente ein gutes Geschäft wird

Altersvorsorge: Wer 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann schon nach elf Jahren mehr herausbekommen, als er oder sie Beiträge geleistet hat. Viele andere müssen länger warten, bis sie in der Gewinnzone sind.

Wer 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann schon nach elf Jahren mehr herausbekommen, als er oder sie Beiträge geleistet hat. Viele andere müssen länger warten, bis sie in der Gewinnzone sind.

(Foto: Simona Pilolla/imago images/Westend61)

Wie lange müssen Menschen leben, bis ihnen die Deutsche Rentenversicherung mehr ausgezahlt hat, als sie vorher eingezahlt haben? Ein Finanzmathematiker hat nachgerechnet. Bei der jüngeren Generation sieht es düster aus.

Von Thomas Öchsner

34,4 Millionen Menschen zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Ob jung oder älter, ob Arbeitnehmer oder Selbständiger, viele Versicherte fragen sich aber: Lohnt sich das überhaupt? Werde ich irgendwann mehr herausbekommen, als ich eingezahlt habe? Nun liegt erstmals eine Untersuchung vor, in der genau das nachgerechnet wurde. Die beiden wichtigsten Erkenntnisse: Bei den etwa 18 Millionen Rentnern ist die Gewinnschwelle, je nach Beitragsdauer und Geburtsjahr, bereits nach etwa 12 bis 14 Jahren erreicht. Künftige Rentner, das gilt vor allem für die junge Generation, werden viel länger Rente beziehen müssen, bis sie mehr ausgezahlt bekommen, als sie eingezahlt haben. Was in der Studie alles noch steht - die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer hat gerechnet?

Die Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist nicht von der Deutschen Rentenversicherung selbst. Autor ist der Rentenexperte und Finanzmathematiker Werner Siepe. Er ist selbst ein wenig überrascht über das Ergebnis: "Ich hätte nicht gedacht, wie schnell zumindest für die Bestandsrentner die gesetzliche Rente zu einem lohnenden Geschäft wird."

Wie sieht es bei Standardrentnern aus?

Der Standardrentner oder die Standardrentnerin ist eine Person, die 45 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt hat und dabei jedes Jahr jeweils genauso so viel verdient hat wie der Durchschnitt aller Versicherten. Eigentlich gibt es so eine Person in Wirklichkeit gar nicht, sie wird aber regelmäßig als Rechengröße benutzt. Experte Siepe hat die Gewinnschwelle für so einen Standardrentner errechnet. Ergebnis: Wer zum Beispiel stets wie der Durchschnitt verdient hat, am 1. Januar 1946 geboren und mit 65 Jahren am 1. Januar 2011 in Rente gegangen ist, hat bereits nach elf Jahren und vier Monaten im Alter von 76 Jahren alle Rentenbeiträge wieder herausbekommen. Dieser Break-even-point, wie Betriebswirte sagen würden, ist also bereits im Mai 2022 erstmals überschritten. Jeder Monat Rente mehr vergrößert den Gewinn dieses Standardrentners.

Wie wurde gerechnet?

Im Prinzip sind nur alle im Berufsleben gezahlten Rentenbeiträge zusammenzuzählen. Das ergibt die Beitragssumme. Diese Summe ist zu vergleichen mit allen bereits gezahlten monatlichen Bruttorenten und den in Zukunft zu erwartenden Monatsrenten. Bei dem 1946 geborenen Standardrentner beläuft sich die Beitragssumme auf immerhin 166 094 Euro. Die erste monatliche Rente 2011 betrug 1224 Euro, vor Abzügen für die Kranken- und Pflegekasse. Alle danach folgenden Rentensteigerungen von durchschnittlich 2,1 Prozent pro Jahr sind berücksichtigt. So beträgt seine Standardrente derzeit bereits 1538 Euro brutto. Mit dem Erreichen der Gewinnschwelle im Mai 2022 belaufen sich die ausgezahlten Renten auf 166 420 Euro, also schon etwas mehr als alle eingezahlten Beiträge.

Was ist mit der Kranken- und Pflegeversicherung?

Von der Bruttorente sind normalerweise die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen. In diesem Jahr sind dies für Rentner etwa 11 Prozent. Darin stecken der halbe Beitrag für die Krankenkasse in Höhe von 7,95 Prozent und der volle Beitrag für die Pflegeversicherung, bei Rentnern mit Kindern 3,05 Prozent. Würde man diese Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ebenso wie die bisherigen Rentensteigerungen berücksichtigen, käme dasselbe Ergebnis heraus: Der Standardrentner wäre von Mai 2022 an mit 76 Jahren und vier Monaten in der Gewinnzone.

Wie sieht es bei Rentnern aus, die weniger lang in die Rentenkasse eingezahlt haben?

Da sieht das Ergebnis im Vergleich zum Standardrentner mit 45 Beitragsjahren schon etwas schlechter aus. Beispiel: Bei 40 Beitragsjahren ist die Gewinnschwelle erst ein Jahr später erreicht, nach 12,38 Jahren im Alter von 77 Jahren und 5 Monaten. Noch ein Jahr länger warten müsste zum Beispiel eine Standardrentnerin mit 35 Beitragsjahren: Sie wäre erst im Mai 2024 in der Gewinnzone, mit 78 Jahren und 5 Monaten und nach Auszahlungen über 13,43 Jahre.

Warum sollten Rentner idealerweise mehr Geld ausgezahlt bekommen, als sie eingezahlt haben?

"Die Gewinnschwelle zu erreichen, sollte Altersrentnern eigentlich nicht genügen", sagt Siepe. Dann hätten sie zwar ihre Beiträge herausbekommen, aber noch keinen Überschuss erzielt. "Ihre Rentenrendite läge bei null, ohne dass die Inflation berücksichtigt wurde. Sie würden also in heutiger Kaufkraft einen Verlust erleiden." Tatsächlich haben Rentner jedoch vom Rentenbeginn an laut den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes noch eine beträchtliche Lebenserwartung, die deutlich über die Jahre bis zum Erreichen der Gewinnschwelle hinausgeht. Beispiel: Beim Standardrentner, der beim Renteneintritt 2011 genau 65 Jahre alt ist, beläuft sich die Lebenserwartung auf noch gut 17 Jahre, bei der Standardrentnerin sogar auf fast 21 Jahre. Sie könnten also mit einigen Gewinnjahren im Ruhestand rechnen, wenn sie noch einige Jahre leben. Die gesetzliche Rente sei nun einmal "keine Geldanlage, sondern die Wette auf ein langes Leben. Wer sehr lange und sogar über das laut Statistik erreichbare Alter hinaus lebt, gewinnt die Wette", schreibt Siepe in seiner Untersuchung. "Wer jedoch vor Erreichen der Gewinnschwelle stirbt, verliert sie, so makaber dies auch klingen mag."

Wie sieht die Bilanz bei real existierenden Rentnern aus?

Der Autor der Studie hat mehr als ein Dutzend Rentenbescheide ausgewertet, von Rentnern, die in den Jahren 1942 bis 1954 geboren wurden und zwischen 2007 und 2020 in den Ruhestand gegangen sind. Alle waren Gutverdiener mit mindestens 35 Beitragsjahren und einer Erwerbsbiografie ohne Unterbrechungen, darunter sowohl Akademiker als auch Nicht-Akademiker, gesetzliche Versicherte wie auch einige wenige privat krankenversicherte Rentner. Das Ergebnis unterscheidet sich vom fiktiven Standardrentner deutlich. Die Gewinnschwelle war bei diesen Originalfällen frühestens nach gut 12 Jahren und spätestens nach mehr als 15 Jahren erreicht, also mindestens ein Jahr länger als beim gewählten Musterrentner.

Wie läuft es bei Topverdienern?

Auch hier konnte Siepe Originalfälle heranziehen. Das Ergebnis: Rentner mit mindestens 40 Beitragsjahren, Verdiensten oberhalb der Bemessungsgrenze für Rentenbeiträge und geboren zwischen 1942 und 1957 benötigen nur knapp 12 bis gut 13 Jahre bis zur Gewinnschwelle. Siepe hat daraus die Faustregel abgeleitet: "Je mehr (weniger) Beitragsjahre, desto früher (später) wird die Gewinnschwelle erreicht. Für jeweils fünf Beitragsjahre mehr (weniger) kommt man ein Jahr früher (später) in die Gewinnzone."

Was ist mit den Arbeitgeberbeiträgen?

Bei Arbeitnehmern zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Rentenbeiträge. Man könnte nun für die Berechnung der Gewinnschwelle nur mit den Beiträgen des Arbeitnehmers rechnen. Logische Folge: Die Gewinnschwelle wäre halbiert, also zum Beispiel von zwölf auf sechs Jahre. Siepe hat sie jedoch berücksichtigt. Der Grund: "Arbeitgeberbeiträge sind im Endeffekt ein vorenthaltener Lohn."

Wie sieht es für künftige Rentner der Jahrgänge 1958 bis 2005 aus?

Hier wird ja noch keine Rente gezahlt. Deshalb lässt sich nur ungefähr hochrechnen, wann die Gewinnschwelle erreicht wird. Denn für künftige Rentenerhöhungen, Beitragssätze und Durchschnittsverdienste lässt sich nur auf Prognosen im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung zurückgreifen. Hilfreich ist aber die "Renteninformation", die die Deutsche Rentenversicherung Versicherten mit mindestens 27 Jahren und wenigstens fünf Beitragsjahren einmal im Jahr zusendet. Darin steht sowohl die Summe aller bisher gezahlten Beiträge als auch ein Hinweis auf die sogenannten Rentenanwartschaften, also die monatliche Rente, die Versicherte mit ihren Beiträgen bislang erwirtschaftet haben. In allen Fällen der Jahrgänge 1958 bis 2005 dauert es dann aber länger, bis die Gewinnschwelle erreicht sein könnte.

Wie sehen in diesen Fällen die Beispielrechnungen aus?

Die Älteren profitieren noch von den im vergangenen Jahrzehnt überwiegend guten Jahren der Rentenversicherung. Ein 1961 Geborener, ein Originalfall, der 2027 mit 66 Jahren und 6 Monaten regulär in Rente gehen wird, erreicht die Gewinnschwelle zum Beispiel nach 14 Jahren. Dieser Gutverdiener, mit bisher 35 Beitragsjahren und Rentenansprüchen von derzeit bereits knapp 1900 Euro pro Monat, müsste also schon 80 Jahre und vier Monate alt werden, um erstmals einen Rentengewinn zu haben. Bei den Jüngeren sieht es deutlich schlechter aus: Beispiel: Bei einem im Jahr 1995 geborenen Standardrentner sind es schon 16 Jahre und vier Monate, bis die Gewinnschwelle erreicht ist, bei einer 2005 geborenen Standardrentnerin bereits 17 Jahre und 8 Monate. Würde sie 2072 mit 67 Jahren in Rente gehen, müsste sie also 85 Jahre werden, um in der Gewinnzone zu sein.

Was bedeutet das für die Legitimation der Rentenversicherung?

Angenommen, die Grenze für den regulären Renteneintritt wird in ein paar Jahren doch noch auf 70 Jahre verschoben und die Lebenserwartung steigt wie erwartet weiter, dann gerät das gesetzliche Rentensystem in ein Glaubwürdigkeitsproblem. So sieht es nicht nur Studienautor Siepe. "Heute 17-Jährige müssten dann schon fast 90 Jahre alt werden, um die Gewinnschwelle zu erreichen." Der Experte verweist hier auf den im Grundgesetz verankerten Eigentumsschutz für erworbene Rentenansprüche. "Dieser wäre dann unterhöhlt", sagt Siepe und fügt hinzu: "Damit wäre die Akzeptanz des Rentensystems in Gefahr."

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