Altersversorgung:Die Rente braucht einen Kulturwandel

Ein älterer Mitarbeiter in der Metallindustrie - die Rentenversorgung in Deutschland braucht dringend Reformen.

Es ist ein Kulturwandel nötig im Umgang mit älteren Arbeitnehmern - in der Wirtschaft ebenso wie in der neuen Regierung.

(Foto: imago stock&people)

Um die Altersversorgung künftig zu sichern, sind weitere Reformen nötig. Wenn nichts geschieht, leiden Beschäftigte und Arbeitgeber.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Hubertus Heil war schon öfter für höhere Aufgaben im Gespräch. Nun hat der SPD-Politiker einen der einflussreichsten Jobs der Republik. Seine ersten Äußerungen als Arbeitsminister klingen vorsichtig, angenehmerweise: Er fängt ja erst an. Auch Heils Hinweis, er habe als Sohn einer Alleinerziehenden sozialen Abstieg selbst erlebt, erscheint passend. Die SPD stellte zuletzt nicht immer unter Beweis, dass sie an die Schwächeren in der Gesellschaft denkt. Ganz und gar reflexhaft wirkt nur eine Aussage von ihm: "Mit mir wird es keine Erhöhung des Rentenalters geben."

An dieser Stelle meint man fast zu hören, wie ihn seine Vorgängerin Andrea Nahles erinnert: "Denk dran, Hubertus, sofort die Rente mit 70 ablehnen!" Die designierte SPD-Chefin verweist stets auf ihren Vater, den Maurer, der schon mit 73 starb: "Wenn mir da einer mit Arbeiten bis 70 kommt, werde ich sauer." Nahles formuliert nur besonders vehement, worin sich alle Parteien links wie rechts einig sind: Bloß keine Debatte über längeres Arbeiten! Diese ganz große Koalition ist ebenso bedauerlich wie Heils frühe Festlegung. Das Ruhestandsalter maßvoll anzuheben, wäre ein wichtiges Element in einem Gesamtplan, die Rente zu sichern.

Es ist ja so: In der nächsten Zeit verändert sich das Land dramatisch, weil bis in die 2030er-Jahre die Babyboomer in Ruhestand gehen. In anderthalb Dekaden kommen auf jeden über 64 nur noch zwei Bürger im typischen Arbeitsalter statt drei wie heute. Wie lässt sich das finanzieren? Einfach entsprechend das Ruhestandsgeld zu kürzen, findet wohl niemand gut. Schon gar nicht die SPD, die das Rentenniveau stabil halten möchte.

Sollen es also Beschäftigte und Arbeitgeber allein ausbaden? Ihr Rentenbeitrag würde von unter 20 in die Nähe von 30 Prozent steigen. Auch eine stärkere Finanzierung über Steuern müssten vor allem sie bezahlen. Falls nichts geschieht, wird es genau so kommen - grob unfair.

Eine spätere Rente muss keine Schreckensvision sein

Eine gerechte Reform dagegen verteilt die Belastungen. Sie sammelt Geschenke an die heutigen Senioren wie den vorzeitigen Ruhestand mit 63 wieder ein. Sie lässt Staatsdiener angemessen für ihre Pension vorsorgen. Sie lässt die Deutschen etwas länger arbeiten. Und in diesem Gesamtpaket erhöht sie dann auch Beitrag und Steuern, aber eben nicht nur.

Ein späteres Ruhestandsalter muss keine Schreckensvision sein. Wer heute 65 wird, hat im Durchschnitt noch 20 Jahre zu leben. Und er ist - genauso wie sie - meist fitter als vorangehende Generationen. Viele Beschäftigte möchten länger arbeiten, mit reduzierter Stundenzahl ausschwingen. Selten aus Not, meist wegen des Dazuverdienstes, des Spaßes oder der sozialen Kontakte. Wenn die Gesellschaft allein dieses freiwillige Potenzial nutzt, statt Arbeitsverträge zum Einheitsdatum zu terminieren, ist schon viel gewonnen. Modellprojekte in Firmen zeigen, dass einige Beschäftigte längeres Arbeiten für sich entdecken, wenn sie es gestalten dürfen und gefördert werden.

Die Erfahrung der Älteren gegen den Fachkräftemangel

In einem allerdings haben die Skeptiker recht, die wie Andrea Nahles die Maurer und Dachdecker anführen. Manche Beschäftigte können einfach nicht so lange tätig sein. Bevor sie das Ruhestandsalter erhöht, müsste eine Regierung die krankheitsbedingten Frührenten so ausgestalten, dass sie nicht mehr für so viele Menschen in Armut enden. Ein Plan, den die große Koalition ohnehin verfolgt und nur ausbauen müsste.

Und noch etwas ist als Voraussetzung unverzichtbar: Mehr Gesundheitsprävention in den Betrieben, die Beschäftigte nicht nur länger arbeiten, sondern auch länger leben lässt. Kombinieren ließe sich das mit Angeboten an Arbeitnehmer, sich weiter zu qualifizieren, um rechtzeitig von besonders belastenden Tätigkeiten in andere umzusteigen.

Solche Ideen haben übrigens weniger mit einem gewerkschaftlichen Wunschkonzert zur Humanisierung der Arbeitswelt zu tun, als mancher denkt. Die deutschen Unternehmen klagen beredt über Fachkräftemangel, sie sehen das Beschäftigtenheer demografiebedingt schwinden. Da bietet es sich doch an, sich die Erfahrung älterer Arbeitnehmer möglichst lange zu sichern, in dem sich die Firmen vom Ruhestand mit Einheitsdatum verabschieden - und darin investieren, ihre Beschäftigten besonders lange arbeitsfähig und -willig zu halten.

Schon wahr: Betrachtet man, wie Unternehmen bislang meist mit älteren Arbeitnehmern und erst recht Arbeitslosen umspringen, wäre dies ein ziemlicher Kulturwandel. Aber genau dieser ist wegen der Alterung nötig - in der Wirtschaft ebenso wie in der neuen Regierung.

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