Arbeitgeberchef Wolf:Vorstoß für Mehrarbeit und Rente mit 70 prallt ab

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"Wir werden länger und mehr arbeiten müssen", sagte der Chef des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie, Stefan Wolf. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Deutschen sollen länger in die Firma gehen und außerdem später in Rente, fordert Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf - ausgerechnet vor einer heiklen Tarifrunde. Gewerkschaften und Sozialverbände sind not amused.

Von Alexander Hagelüken

Arbeitgeberchef Stefan Wolf prallt mit seinem Vorstoß ab, die Deutschen sollten mehr und länger arbeiten. Sozialverbände und Gewerkschaften wehrten sich gegen den Vorstoß des Gesamtmetall-Präsidenten für eine Rente mit 70 und längere Wochenarbeitszeiten. Pikant ist, dass Wolf ausgerechnet vor der Tarifrunde in der Metallindustrie in die Offensive geht - die Verhandlungen werden wegen der hohen Inflation ohnehin heftig.

Wolf begründet seine Forderung damit, dass die Bevölkerung altert und länger lebt. "Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht", sagte er. "Wir werden länger und mehr arbeiten müssen", sagte der Chef des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie. Weil die Bürger immer länger leben, soll das Ruhestandsalter schrittweise auf 70 Jahre steigen, weil das System sonst mittelfristig nicht mehr finanzierbar sei.

"Firmen sollten lieber die Arbeitsbedingungen verbessern."

IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban reagiert sarkastisch. "Dass Arbeitgebervertreter die Rente mit 70 fordern, ist keine Neuigkeit. Neu wäre, wenn sie die Arbeitsbedingungen so verbesserten, dass mehr Beschäftigte gesund die Regelaltersgrenze erreichten", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei viel Luft nach oben.

Schärfer äußert sich der Sozialverband VdK Deutschland. "Schon heute arbeitet nur eine Minderheit der 65-Jährigen in Vollzeit", so VdK-Präsidentin Verena Bentele. Von einem höheren Rentenalter seien vor allem jene betroffen, die heute in körperlich oder psychisch anstrengenden Jobs arbeiten. "Für diese Gruppe bedeutet eine Rente mit 70 eine reine Rentenkürzung." Statt lebensferner Überlegungen zum Rentenalter solle man lieber die gesetzliche Rentenversicherung stärken. "Perspektivisch müssen alle dort einzahlen - neben Angestellten auch Beamte, Selbstständige und Politiker."

Wegen der demografischen Entwicklung wird die Regierung das Rentenalter bis Ende des Jahrzehnts ohnehin von einst 65 auf dann 67 Jahre erhöhen. Eine Erhöhung auf 70 Jahre lehnen alle etablierten Parteien ab. "Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöhen. Und daran wird sich nichts ändern", sagte kürzlich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Länger arbeiten und später in Rente - Wolf will beides

Weil die Politik ein höheres Rentenalter fast durch die Bank ablehnt, hatte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich als Alternative eine längere Wochenarbeitszeit von 42 Stunden vorgeschlagen. "Wenn man das aufsummiert, dann würde man bis 2030 den demografisch bedingten Verlust an Arbeitsvolumen kompensieren", so IW-Chef Michael Hüther.

Gesamtmetall-Chef Wolf fordert nun beides: Rentenalter 70 und eine längere Wochenarbeitszeit. Laut Statistischem Bundesamt machten 2021 4,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohnehin Überstunden - jeder fünfte unbezahlt. Eine neue EU-Richtlinie verpflichtet von diesem Monat an Unternehmen, ihre Mitarbeiter darüber aufzuklären, ob sie die Überstunden überhaupt anordnen können und wie sie diese kompensieren.

Die Kombination länger arbeiten und spätere Rente ist gerade als Ansage an den Tarifpartner IG Metall brisant. Die Gewerkschaft lehnt nicht nur einen späteren Ruhestand ab. Sie hat auch in harten Auseinandersetzungen in Westdeutschland (und nach und nach im Osten) die 35-Stunden-Woche erstreikt. Im Tarifabschluss 2021 setzte sie zudem eine Arbeitszeitverkürzung auf eine Vier-Tage-Woche als Möglichkeit für die Betriebe durch.

Die IG Metall verlangt für die vier Millionen Beschäftigten acht Prozent mehr Lohn

Entsprechend ablehnend reagiert IG-Metall-Vorstand Urban: "Wer an der Arbeitszeitschraube drehen will, sollte sich erst einmal die Arbeitsbedingungen in den Werkhallen und Büros anschauen. Länger arbeiten belastet die Gesundheit der Beschäftigten, die schon heute unter Stress und hoher Arbeitsdichte leiden. Wir brauchen mehr Fachkräfte und damit mehr attraktive Arbeitsplätze mit Tarifverträgen."

Der Schlagabtausch wirft ein Licht auf die Lohnrunde der größten deutschen Industriebranche, zu der unter anderem Autokonzerne und Maschinenbauer gehören. Die IG Metall verlangt für die vier Millionen Beschäftigten acht Prozent mehr Lohn - die höchste Forderung seit 15 Jahren. Wegen der stärksten Inflation seit Dekaden erwarten die Arbeitnehmer einen Ausgleich.

Die Arbeitgeber argumentieren, die Gewerkschaft solle sich wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit zurückhalten. So erwarten die bayerischen Metall- und Elektroarbeitgeber bayme vbm, dass die Produktion um mindestens zwei Prozent schrumpft - einen möglichen Gas-Lieferstopp nicht eingerechnet. 30 Prozent der Firmen fürchten eine kritische Gewinnlage. Die IG Metall führt dagegen an, die meisten Firmen machten noch gute Gewinne.

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