Rente mit 63:Schluss mit der semi-seriösen Klientelpolitik

Lesezeit: 2 Min.

Mit 63 in Rente gehen geht - kostet aber. Jetzt gibt es einen regelrechten Run auf die Frührente. (Foto: Catherina Hess)

Die SPD hat mit der Rente mit 63 Wahlkampf gemacht - gebracht hat es ihr nichts. Es ist an der Zeit, sich endlich um die Zukunft der Rentenversicherung zu kümmern.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Manchmal lässt sich aus Zahlen ein politisches Lehrstück gewinnen. Solche Zahlen lieferte jetzt die Deutsche Rentenversicherung. Mehr als 40 Prozent aller Neurentner in Ostdeutschland und etwa 30 Prozent im Westen nutzten 2018 die Chance, frühzeitig aufs Altenteil zu wechseln - ohne Einbuße. Sie alle profitieren von einem Wahlkampfschlager der SPD, der abschlagsfreien Rente ab 63. Eigentlich müssten sich Hunderttausende bei Sigmar Gabriel und Andrea Nahles bedanken. Beide ebneten seinerzeit den Weg für diese Rente, die es seit Juli 2014 gibt. Der eine war damals SPD-Chef, die andere SPD-Sozialministerin. Heute sind beide Spitzenpolitiker a. D.

Worin das Lehrstück liegt? Rentenpolitik gilt als bedeutende Aufgabe jeder Bundesregierung - und als oft nützlich im Wahlkampf. Doch anders als erhofft, wird Klientelpolitik aus den Mitteln der Rentenkasse von den Wählern offenkundig nicht honoriert. Anscheinend durchschauen sie semi-seriöse Motive. Vor allem die SPD, die seit Ende 2013 im Bundessozialministerium die Grundlinien der Rentenpolitik bestimmt, bekommt diesen, nun ja, Undank, bei Wahlen zu spüren. Und wenn nicht alles täuscht, wird sich das bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst wiederholen.

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Von Hendrik Munsberg

Als Ministerin Nahles ihre "Rente mit 63", wie sie auf Werbeplakaten hieß, zum Juli 2014 einführte, gab es bereits die Möglichkeit, mit 65 abschlagsfrei in Rente zu gehen, sofern man 45 Versicherungsjahre nachweisen konnte. Doch Nahles und Gabriel - schon damals erlebte die Partei die Wucht des Abwärtstrends - reichte das nicht. Sie wollten Wähler gewinnen und ersannen ihre "Rente mit 63", ein Provisorium, das lang arbeitende Beschäftigte belohnen sollte. Doch der Keim für Enttäuschung war darin schon angelegt. Denn nur vor 1953 Geborene konnten mit 63 abschlagsfrei in Ruhestand gehen, für spätere Jahrgänge stieg die Altersgrenze stetig. Konsequenz: Alle nach 1964 Geborenen dürfen frühestens mit 65 in Rente gehen, wenn bei ihnen 45 Beitragsjahre zu Buche stehen. So mischt sich die Freude der einen mit dem Frust der anderen.

Aber Fairness muss sein. Nahles hat als Arbeits- und Sozialministerin viel geleistet. Gegen harten Widerstand setzte sie etwa den Mindestlohn durch, ein überfälliger Schritt. Und das Kapitel "Wahlkampf mithilfe der Rentenkasse" ließe sich auch am Beispiel der Union und ihrer Mütterrente trefflich beschreiben. Doch bei der SPD tritt das Missverhältnis zwischen Kosten für die Allgemeinheit und politischem Ertrag für die Partei besonders krass zutage.

Mehr Schutz gegen Altersarmut wäre dringend geboten

Was hat die Rente ab 63 volkswirtschaftlich bewirkt? Sie ermöglichte vielen Menschen den Frühruhestand. Aber der Preis dafür fiel höher aus, als von Nahles kalkuliert, die Wirtschaft verlor erfahrene Fachkräfte. Doch längst hat die SPD einen neuen Vorstoß gestartet. Möglichst rasch will sie eine neue Grundrente einführen, um jene vor Armut zu bewahren, die nach 35 Versicherungsjahren nur eine Minirente bekommen. Bei der Europawahl blieb Wählerdank dafür wiederum aus.

Dabei wäre mehr Schutz gegen Altersarmut dringend geboten - aber auf solidem Fundament. Zuerst müsste klar sein, wie es um die Zukunft der Rentenversicherung steht. Diesen Befund, so beschlossen SPD und Union, wird aber erst eine Kommission stellen, die bis März 2020 liefern soll. Schade, dass die goldenen Jahre der Staatsfinanzen, die seriöse Rentenpolitik erleichtert hätten, dann wohl vorbei sind.

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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