Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Das Alter schätzen

Damit Beschäftigte länger im Beruf bleiben können, muss sich die Arbeitswelt ändern. Und die neue Regierung muss eine Rentenreform anpacken.

Von Alexander Hagelüken

Der Ruhestand verschiebt sich, es ist alles beschlossen. Bis Ende der Dekade kommt die Rente mit 67 Jahren, um die gesetzliche Alterskasse durch längeres Arbeiten finanziell zu stabilisieren. Seit Jahren schon steigt das Rentenalter, ab dem man volle Bezüge erhält. Eine neue Umfrage zeigt, welche Probleme drohen. Eine Mehrheit der Berufstätigen will weder so lange arbeiten noch hält sie sich für in der Lage dazu. Gleichzeitig fürchtet sie, im Alter reiche ihr Geld nicht. Das macht klar, welche riesigen Veränderungen das Land braucht - in der Arbeitswelt wie in der Rentenpolitik.

Was die Arbeitswelt angeht, lohnt ein tieferer Blick in die Umfrage. Demnach wollen die meisten mit spätestens 62 Jahren den Job verlassen. In einer Gesellschaft, deren Bürger immer älter werden und daher immer länger Rente beziehen wollen, lässt sich das nicht finanzieren. Was tun? Die Befragung zeigt auch, dass viele länger im Beruf bleiben möchten, wenn sich dieser ändert: weniger körperliche Belastung, weniger Stress, mehr Gehalt, mehr Wertschätzung.

All das zu erreichen, ist herausfordernd, aber möglich. Körperlich schwere Arbeit können oft Maschinen übernehmen. Mancher Stress lässt sich vermeiden, wenn Firmen ihr Personal weder hetzen noch ausdünnen. Mehr Gehalt wäre gerade im angeschwollenen Niedriglohnsektor angebracht. Und das Wertschätzen müssten jene Vorgesetzten lernen, die bisher dem Grundsatz "nicht geschimpft ist genug gelobt" huldigen.

Der Chef kümmert sich nur um die Jüngeren? Es kann auch anders laufen

Klingt wie ein unrealistisches Wünsch-dir-was? Ja - und nein. Vorausschauende Firmen haben nämlich ein Interesse daran, die Bedingungen zu verbessern und ältere Beschäftigte zu binden. Das Altern und Schrumpfen der Bevölkerung bedeutet, dass immer mehr Fach- und sonstige Kräfte fehlen. Die Firmen müssten nun ihre Personaler anhalten, weniger Anglizismen-Geschwurbel à la "agile working", "onboarding" und "lessons learned" zu produzieren und sich ernsthaft um die Leute zu kümmern. Mitarbeiter 50 plus kommen sich in ihrer Firma oft wie Geduldete vor, deren Aufenthaltsberechtigung wackelt. Alle Aufmerksamkeit oder Weiterbildungsenergie kommt Jüngeren zu.

Dabei geht auch anderes als Jugendwahn, das zeigen Konzerne in Modellprojekten. Bei der Deutschen Bahn lernten Beschäftigte zu erkennen, was sie im Alter alles können - und was sich einüben lässt, um den Job lange zu machen. Bei Lokführern etwa geht es darum, die Konzentration zu schärfen. Nach solchen Bildungsmaßnahmen wollten viele Mitarbeiter bis zum Rentenalter oder sogar länger bleiben, die vorher früh ausscheiden wollten.

Wer sich um die Beschäftigten bemüht, schöpft die Potenziale aus, die ja da sind. Die Menschen werden nicht nur älter, sie bleiben im Schnitt viele Jahre länger gesund - weshalb viele länger arbeiten könnten als früher, wenn die Bedingungen stimmen.

SPD, FDP und Grüne wollen in ihrem Ampel-Papier die Berufstätigkeit Älterer genauso ausbauen wie die von Frauen, die oft durch fehlende Betreuung und finanzielle Fehlanreize wie das Ehegattensplitting gebremst werden. Beide Ansätze sind gut, um die Rentenkasse einer alternden und schwindenden Bevölkerung zu stabilisieren. Sie reichen aber nicht. Nötig ist eine große Reform - und vor der drückt sich die mögliche Koalition bisher.

Die Herausforderung ist klar. Zum einen bedarf es einer verbesserten Grundrente und einer wirklichen Förderung der Altersvorsorge jener, denen im Alter Armut droht. Zum anderen muss die neue Regierung das Finanzloch schließen, das die Demografie reißt: Während in den Nachkriegsjahren sechs Arbeitnehmer auf einen Senior kamen, stehen bald nur noch zwei bereit, seine Altersbezüge zu erwirtschaften. Die Ampel-Sondierer versprechen, das Rentenniveau zu halten. Aber wie? Das verschweigen sie.

Fair wäre nur eine Reform, die allen Gruppen etwas abverlangt: Berufstätigen und Firmen höhere Sozialbeiträge und Steuern, Beamten Einschnitte und Rentnern geringere Steigerungen der Altersbezüge. Leider lässt die hohe Beamtenquote im Bundestag genau wie der hohe Anteil älterer Wähler befürchten, dass eine Ampel-Regierung Elemente zwei und drei verweigert. Das allerdings wäre gegenüber allen Arbeitnehmern zutiefst ungerecht.

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