Renten:Die Deutschen fürchten die Armut im Alter

ILLUSTRATION Ein älterer Herr arbeitet in einem mittelständischen Unternehmen für Maschinenbauteile

Bei Menschen, die im Alter noch neue Fähigkeiten hinzulernen, wächst die Bereitschaft, länger zu arbeiten - auch über das normale Rentenalter hinaus.

(Foto: imago/Andreas Prost)
  • Eine Umfrage zeigt, dass die Bürger den demografischen Wandel deutlich skeptischer sehen als noch vor drei Jahren.
  • Die Deutschen beginnen, anders über einen späteren Ruhestand zu denken.

Von Alexander Hagelüken

Immer mehr Deutsche sind entschlossen, im Alter länger zu arbeiten. Jeder Achte will über die bisherige Ruhestandsgrenze hinaus seinen Beruf ausüben. Der Anteil derjenigen, die später in Rente gehen wollen, hat sich damit seit 2002 mehr als verdoppelt, ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Gleichzeitig halbierte sich der Anteil jener, die früher als vorgesehen in den Ruhestand gehen möchten. "Ein Trend zur Akzeptanz eines längeren Berufslebens ist deutlich erkennbar", folgert André Schleiter von der Bertelsmann-Stiftung. Der Grund dafür ist, dass die Sorge vor der Altersarmut wächst. Zwei von drei Deutschen sehen in der Alterung der Gesellschaft vor allem Gefahren. So erwarten 80 Prozent von ihnen mehr arme Rentner und höhere Beiträge an die Rentenkasse. Die Ergebnisse der neuen Umfrage passen zu anderen Studien etwa des Deutschen Gewerkschaftsbunds, wonach vier von fünf Bürgern fürchten, im Alter nicht genügend Geld zu haben.

Die Ergebnisse dürften die Debatte anheizen, ob das Alterssystem durch größere Reformen stabilisiert werden muss. Wer heute 65 wird, lebt im Schnitt noch fast 20 Jahre. Entfallen auf einen Ruheständler derzeit noch drei Bürger im Erwerbsalter, die seine Rente finanzieren können, werden es in 15 Jahren nur noch zwei sein. Die Bertelsmann-Daten zeigen, dass die Bürger den demografischen Wandel deutlich skeptischer sehen als noch vor drei Jahren.

Die neue Bundesregierung will die Deutschen beruhigen, indem sie das seit Jahrzehnten sinkende Rentenniveau bei 48 Prozent des Durchschnittslohns stabilisiert - zumindest bis zum Jahr 2025. Die wirklich schwierige Zeit kommt aber ab 2030, wenn ein großer Teil der geburtenstarken Jahrgänge im Ruhestand ist. Um das Rentenniveau auch dann noch zu halten, müssten Arbeitnehmer und Unternehmen ohne weitere Veränderung statt heute weniger als 20 nach manchen Prognosen fast 30 Prozent Beitrag in die Rentenkasse zahlen. Das wäre ein hoher Preis. Zahlreiche Ökonomen fordern daher, das Alterssystem nicht nur über höhere Beiträge oder Steuern, sondern auch über längeres Arbeiten zu stabilisieren. Also das Rentenalter, das ohnehin schrittweise auf 67 erhöht wird, weiter nach hinten zu verschieben. "Eine Verlängerung des Rentenalters macht es leichter, das Alterssystem so zu finanzieren, dass vernünftige Renten rauskommen", sagt Gert Wagner, Vorsitzender des Sozialbeirates der Bundesregierung. Bisher lehnen das aber alle Parteien ab.

"Ein Trend zur Akzeptanz eines längeren Berufslebens ist deutlich erkennbar"

Die Umfrage zeigt nun, dass die Deutschen beginnen, anders über einen späteren Ruhestand zu denken.

Was nötig ist, um die Akzeptanz zu steigern, darüber grübeln Forscher jetzt verstärkt. Traditionell haben die Deutschen ein eher negatives Bild, beschreibt Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Altersforschung der Uni Heidelberg: "Im kulturellen Bereich halten wir das Arbeiten bis ins hohe Alter für selbstverständlich, bei Politikern auch, aber bei normalen Berufen halten wir es für völlig exotisch." Der Psychologe glaubt, dass den Bürgern die Vorteile längeren Arbeitens angesichts deutlich längerer Lebenserwartung besser erklärt werden müssten als bislang: "Mir geht es auf den Keks, dass Arbeitgeber das so hinknallen: Zack, arbeiten bis 70!"

Längeres Arbeiten kommt für Kruse nur infrage, wenn die Bedingungen dafür verbessert werden. Etwa, indem Beschäftigte durch eine langfristige Weiterbildung sich beispielsweise für neue Aufgaben qualifizieren, die sich im Alter besonders gut ausüben lassen. "Menschen ab 60 müssen das Gefühl bekommen, dass sie ihre körperliche und geistige Entwicklung selbst gestalten können." Wenn Beschäftigte erkennen, was sie für ihre berufliche Leistung tun können, sehen sie das Alter anders - positiver.

"Durch Einheitslösungen wird die soziale Ungleichheit verstärkt"

Kruse hat interessante Erfahrungen in Modellprojekten bei Firmen gemacht, etwa bei der Deutschen Bahn. Lokführern beispielsweise nimmt heute der Computer einige Tätigkeiten ab. Sie müssen aber stets konzentriert sein, um etwa Signale zu erkennen und zu deuten, egal, was der Computer anzeigt. Wird die Konzentration gezielt gefördert, können auch ältere Beschäftigte die Arbeit zuverlässig erledigen. Zu Beginn des Modellprojekts planten viele 60-Jährige, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Als sie gesehen hatten, wie sich Fähigkeiten trainieren und dazulernen lassen, wollten sie auf einmal doch noch länger bleiben - manche gar über das normale Rentenalter hinaus.

Der Ökonom Gert Wagner will ein späteres Rentenalter erst diskutieren, wenn einige Voraussetzungen geschaffen werden: "Sachlich wie politisch entscheidend wäre es, das Thema darüber anzugehen, dass man die Gesundheit der Arbeitnehmer verbessert." In belastenden Jobs etwa auf dem Bau oder in Schlachthöfen könnten die Beschäftigten derzeit gar nicht länger tätig sein. Ändern lasse sich das nur durch ernst gemeinte gesundheitliche Prävention. Er fordert zudem: "Man müsste jene, die bisher belastend arbeiten, frühzeitig zu weniger belastenden Tätigkeiten umschulen oder weiterqualifizieren."

Und auch wenn das geschehen würde, werde es immer noch viele Arbeitnehmer geben, die nicht bis 69 arbeiten könnten. Für sie fordert Wagner spezielle Angebote, wenn das Ruhestandsalter angehoben wird. Wer aus gesundheitlichen Gründen früher aufhört und eine Erwerbsminderungsrente erhält, dürfe dadurch nicht in die Armut rutschen. André Schleiter von der Bertelsmann-Stiftung setzt sich angesichts der unterschiedlichen Lebensläufe dafür ein, dass der Altersübergang eben auch unterschiedlich gestaltet wird. "Durch Einheitslösungen wird die soziale Ungleichheit verstärkt."

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