Renault-Chef:Aus dem Privatjet ins Gefängnis

Renault-Chef: Seine Hochzeit feierte er in Versailles, und auch sonst dachte Carlos Ghosn eher groß als klein.

Seine Hochzeit feierte er in Versailles, und auch sonst dachte Carlos Ghosn eher groß als klein.

(Foto: Joel Saget/AFP)
  • Carlos Ghosn, Chef der Autoallianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi, wurde am Montag in Japan verhaftet. Ihm werden unter anderem Steuerhinterziehung und Finanzmanipulation vorgeworfen.
  • Sein Sturz könnte auch für das französisch-japanische Autobündnis und seine Mitglieder schwerwiegende Folgen haben.

Von Leo Klimm, Paris, und Christoph Neidhart, Tokio

Es ist der Absturz eines Manager-Superstars. Und wohl das unrühmliche Ende eines der mächtigsten Lenker der Autobranche. Immer überstand er alle Krisen, nie konnte ihm irgendjemand irgendetwas anhaben - bis er am Montag am Flughafen Tokio-Haneda aus einem Privatjet des Modells Gulfstream G650 stieg und von Ermittlern direkt zum Verhör abgeführt wurde. Wenig später wurde Carlos Ghosn verhaftet.

Die Vorwürfe der Tokioter Staatsanwaltschaft gegen den Chef der französisch-japanischen Autoallianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi haben es in sich: Ghosn soll gegenüber dem japanischen Finanzamt einen Großteil der Millionenbezüge verschleiert haben, die er von Nissan erhielt. Steuerhinterziehung, Finanzmanipulation und dazu noch die Nutzung von Firmengeldern für private Zwecke, all das wird ihm angelastet. Drückt man die Vorwürfe in moralischen Begriffen aus, ist es wohl die Gier, die Carlos Ghosn zum Verhängnis wurde. In den vergangenen Jahren fiel es ihm zunehmend schwer, seine Schwäche für Geld zu verhehlen.

"Ich weiß nicht, wann ich aufhöre", hat Ghosn, 64 Jahre, vor nicht allzu langer Zeit gesagt. Aber: "Ich gehe nicht in einem schwierigen Moment." Nun könnten die Ermittler und Nissan für ihn entscheiden, wann er aufhört. Und dass dies doch in einem schwierigen Moment passiert - für ihn jedenfalls. Der Nissan-Vorstand erklärte am Montag nach der Verhaftung, er wolle den Chef am Donnerstag absetzen.

Ghosn war der Sonnenkönig der Autobranche: In seinem Reich, bestehend aus einem französischen und zwei japanischen Massenherstellern, ging die Sonne nie unter. Zwei Jahrzehnte lang arbeitete er an dem Bündnis, nachdem er als junger Manager Nissan vor der Pleite gerettet und zu einem hochprofitablen Hersteller gemacht hatte. Er setzte sich selbst an die Spitze aller drei Konzerne, verflocht sie finanziell und erzielt heute Milliardeneinsparungen, indem die Unternehmen von der Forschung über den Einkauf bis zur Produktion vieles teilen. So machte er diese Allianz zum absatzstärksten Autoverbund der Welt. 10,6 Millionen Fahrzeuge verkaufte Renault-Nissan-Mitsubishi 2017, mehr als Volkswagen oder Toyota. Wenngleich diese Rivalen nicht, wie Ghosn, einfach die Verkaufszahlen von Kapitalbeteiligungen addieren, ist er auf diesen Rekord sehr stolz. Er - der stets charismatisch auftretende Kosmopolit, ein in Brasilien geborener Franko-Libanese - hatte einen kulturübergreifenden globalen Verbund geschaffen.

Doch sein Sturz könnte jetzt auch für die Allianz und ihre Mitglieder schwerwiegende Folgen haben. Der Renault-Konzern verlor am Montag in Anbetracht der Nachrichten aus Japan bis zu 15 Prozent seines Börsenwerts - so wichtig erscheint Ghosn den Investoren. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist alarmiert: Der französische Staat, der mit 15 Prozent der Aktien Haupteigner bei Renault und damit indirekt Mitbesitzer von Nissan und Mitsubishi ist, werde "extrem wachsam auf die Stabilität des Verbunds achten". Hiroto Saikawa, der 2017 die operative Führung bei Nissan von Ghosn übernehmen durfte, fühlt sich zu Beschwichtigungen bemüßigt: die Partnerschaft mit Renault und Mitsubishi werde von der Verhaftung des obersten Konzernlenkers nicht beeinflusst. Bei Renault wiederum dürfte sich Ghosn - unabhängig von der Stichhaltigkeit der Vorwürfe - nicht mehr lange halten können, sollte er länger in Japan festsitzen. Der Verwaltungsrat des Unternehmens wolle "so schnell wie möglich" zur Krisensitzung zusammentreten, teilte Renault mit.

Gier nach Größe trieb Ghosn als Autoboss an. Und eben eine nicht immer verhohlene Gier nach Geld. Seine Bezüge bei Nissan überstiegen die für Automanager in Japan übliche Höhe bis um das Neunfache. Selbst Akio Toyoda aus der Toyota-Dynastie verdient viel weniger. Wie die Ermittlungen nahelegen, war Ghosn womöglich so gierig, dass er in Wahrheit noch viel mehr einstrich: Die Steuerhinterziehung soll für die Jahre 2011 bis 2016 belegt sein. Offiziell verdiente Ghosn in dieser Zeit mehr als fünf Milliarden Yen, etwa 39 Millionen Euro, allein bei Nissan. In Wirklichkeit, so der Verdacht, soll es mehr als das Doppelte gewesen sein.

Nach Angaben von Nissan-Vorstandschef Saikawa ist Ghosn - ebenso wie der US-Manager Greg Kelly - dank einer internen Untersuchung aufgeflogen. Nach einem Skandal um gefälschte Abgaswerte hatte Nissan 2017 einen Kanal eingerichtet, über den Hinweisgeber Missstände anzeigen konnten. Über diesen Weg habe ein Mitarbeiter Ghosn bei der Buchprüfung gemeldet, später habe die Firma die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, so Saikawa.

Mit der Ehrfurcht ist es jetzt vorbei

Bei Renault, wo Ghosn ähnlich viel verdient wie in den Jahren an der Nissan-Spitze, ist sein Streben nach Geld ein Dauerthema: 2017 wurde bekannt, dass er bei einer Stiftung in den Niederlanden eine geheime Boni-Kasse für Topmanager einrichten lassen wollte, um diese Extrabezüge nicht dem Votum der Aktionäre unterwerfen zu müssen. Denn die Anteilseigner, zuvorderst der französische Staat, hatten Ghosns Vergütung vorher in manchen Hauptversammlungen als unangemessen hoch missbilligt. Anfang des Jahres dann einigte er sich mit dem Pariser Wirtschaftsministerium auf einen Tauschhandel: Macht gegen Geld. Ghosn darf bis 2022 Renault-Chef bleiben, bekommt dafür aber 30 Prozent weniger Geld als zuvor. In Japan ist der gefallene Autokönig nicht beliebt, aber er wird respektiert - bisher. Mit seinen Methoden als rabiater Kostenkiller beeindruckte er so sehr, dass Mangas über ihn verlegt wurden. Jetzt aber ist es vorbei mit der Ehrfurcht.

Nissan habe über die 19 Jahre lang viel von Ghosn profitiert, umso größer seien nun die Wut und die Enttäuschung, sagt Saikawa. Ghosn habe das Vertrauen sehr vieler Leute missbraucht. Zu lange habe Nissan auf eine einzige Person gesetzt, sei alles auf die "Herrschaft von Ghosn" ausgerichtet gewesen. Nach dem Schock vom Montag sei es seine vorrangige Aufgabe, das Unternehmen zu stabilisieren. Bei Renault in Paris wiederum ist Ghosn noch im Amt. Noch. Dort hat er einen Kronprinz installiert, der den Chefposten schnell übernehmen könnte.

Ghosns Lebenswerk allerdings - die Allianz - ist mehr noch als die einzelnen Hersteller voll auf ihn ausgerichtet. Einen Nachfolger hat er nicht aufgebaut. Ghosn hatte vor, das Bündnis "unauflöslich" zu machen, bevor er abtritt.

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