Süddeutsche Zeitung

Renaturierung:Baden in der Braunkohlegrube

Riesige, verwüstete Flächen, scheinbar nutzlos: Wenn der Braunkohletagebau eingestellt wird, bleibt eine Kraterlandschaft. Doch Bergbaubetriebe sind dazu verpflichtet, die Landschaft wiederherzustellen. Wie das funktioniert, was dabei herauskommt - und wie es die Anwohner finden.

Von Valérie Müller

Windsurfen auf dem Markkleeberger See, eine Bootstour auf dem Cospudener See oder zum Baden an den Kulkwitzer See: Die Gewässer um Leipzig herum sind heute gar nicht mehr wegzudenken. Im Sommer nutzen die Städter jede Gelegenheit, um zum See zu radeln. Dort, wo nun etwa der Cospudener See mit dem kleinen Hafen, der Surfschule und dem Seerestaurant liegt, war vor 21 Jahren eine hässliche Kraterlandschaft.

Die ehemaligen Braunkohleanlagen baggerten von den 1930er Jahren bis zur Wende 1989 im Raum Leipzig insgesamt 300 Quadratkilometer ab - eine Fläche von der Größe Münchens. Der Tagebau ist ein mächtiger Eingriff in die Natur: Es entsteht ein gewaltiges Loch, das sich mit dem Abbau laufend weiterbewegt. Die entstehende Grube ist meist nur so groß wie das sogenannte Defizit - also die Menge an Braunkohle, die herausgebaggert wurde. Der Abraum - die Gesteinsschichten, die die Braunkohle verdecken - wird in das zuvor entstandene Loch geschüttet, oder, wie die Fachleute es formulieren: verstürzt.

Daneben türmen sich freilich noch weitere Abraumhalden: "Die Massen, die entstehen, wenn ich erstmals in die intakte Oberfläche eingreife, können nicht im Tagebau verstürzt werden. Es gibt ja noch kein Loch", erklärt Rolf Schlottmann von der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), die für die Sanierung der Hinterlassenschaften der stillgelegten DDR-Braunkohlewirtschaft zuständig ist. Schlottmann verantwortet die Planung der Sanierung in Mitteldeutschland. Das also bleibt, wenn der Braunkohleabbau eingestellt wird: Große ausgekohlte Flächen, also die sogenannten Restlöcher, und die Abraumhalden.

Das Bundesberggesetz schreibt nun vor, dass die durch den Abbau verwüsteten Flächen wiederhergestellt werden müssen. Und zwar so, dass sie, sofern gewünscht und zumutbar, auf die gleiche Art genutzt werden können wie vor Beginn des Abbaus. Die Flächen müssen entsprechend renaturiert und rekultiviert werden. Oft genug heißt das: Die Restlöcher werden einfach mit Wasser gefüllt. Wie aus Braunkohleabbaugebieten Seen werden, zeigt auch die Karte zum Südraum Leipzig aus dem Jahr 1990 und 2010.

Von der Kraterlandschaft zum See

Genau so entstand auch das Leipziger Neuseenland. "Wir haben unterschiedlichste Landschaftsformen vor dem Bergbau gehabt und die sollen nach dem Bergbau wiederhergestellt werden", sagt Schlottmann.

Für eine Flutung müssen die Restlöcher entsprechend präpariert werden: Da eine steile Front immer nachbrechen würde, werden die Böschungen abgeflacht.

Das Wasser für die Flutung der Restlöcher kommt dann aus verschiedenen Quellen: "Da es bis zu 100 Jahre gedauert hätte bis sich die Seen mit dem langsamen Grundwasseranstieg selbst aufgefüllt hätten, hat sich die Sanierungsgesellschaft für eine Kombination der Methoden entschieden." Die Restlöcher rund um Leipzig seien sowohl mit Grund- als auch mit Fremdwasser geflutet worden. Nun könne man dort "bedenkenlos baden gehen", versichert Schlottmann. Die Böden seien nicht kontaminiert.

Die Abraumhalden werden ebenfalls abgeflacht, so dass das Material nicht mehr ins Rutschen kommen kann. Anschließend werden sie wie die restlichen Flächen bepflanzt.

Spätes Bewusstsein der Öffentlichkeit

Es ist ein langer Prozess: Schon seit mehr als 20 Jahren stellt die LMBV die verwüsteten Flächen um Leipzig wieder her. Trotzdem ist der Prozess der Renaturierung noch lange nicht abgeschlossen. Erst 2018 sollen alle Seen gefüllt sein. Überdies muss die Bepflanzung der Flächen auf lange Sicht gepflegt und der pH-Wert des Wassers regelmäßig kontrolliert werden. "Das ist ein längerer Prozess und kann noch bis ins Jahr 2050 andauern", sagt Schlottmann.

Immerhin: Den Leuten gefällt es. Seit einige Seen wie der Markkleeberger oder der Cospudener See fertiggestellt worden seien, stehe die LMBV unter Druck: "Die Leute werden langsam ungeduldig. Sie können jetzt schon nicht mehr erwarten, dass wir auch den Zwenkauer See fertig machen", sagt Schlottmann. Die Sanierungsgesellschaft denke deshalb schon darüber nach, manche Bereiche vor der Fertigstellung schon freizugeben.

Zweifel und Skepsis unter den Anwohnern

Vor 20 Jahren habe der LMBV zufolge keiner damit gerechnet, dass man einmal dort baden könne, wo vorher eine Bergbaulandschaft war. "Erst jetzt mit der Sanierung haben die Leute das erste Mal wahrgenommen: Hier entsteht ja was, was ich als Anwohner mal nutzen kann. Doch bis dieses Bewusstsein bei den Leuten überhaupt erst einmal vorhanden war - das hat bestimmt zehn Jahre gedauert", beschreibt Schlottmann von der LMBV.

Erst also die große Zerstörung und nun die große Zufriedenheit? Nicht unbedingt. Josefine Heinicke, Projektmanagerin beim Tourismusverein Leipziger Neuseenland, meint: "Bei dem ein oder anderen gab es schon Zweifel und Skepsis - und die gibt es teils immer noch." Die Leute seien ängstlich, weil sie von möglichen Erdrutschen lesen. 2009 war es am Hang des Concordia-Tagebaurestsees in Sachsen-Anhalt zu einem gewaltigen Erdrutsch gekommen. In Nachterstedt stürzte ein Landstück in den dort entstehenden Concordiasee und riss ein Haus und drei Menschen mit in die Tiefe. Das locker gelagerte Bergbaumaterial war unter dem Druck des Wassers abgerutscht. Wegen der Katastrophe wurde der See gesperrt und ist noch immer nicht freigegeben.

Einige Anwohner der Leipziger Seen machten sich Sorgen, dass der Grundwasserspiegel steigen könnte und die Keller in den Häusern dann vollliefen. Auch Veranstaltungen am See stören manche Nachbarn, Simon Büttner vom Kulturamt der Stadt Markkleeberg, berichtet von zunehmenden Beschwerden wegen Lärmbelästigung.

Aber gemessen an den ursprünglichen Belastungen seien diese Probleme eher kleiner. "Der Braunkohleabbau", sagt Wolfgang Heinze, Leiter des Kulturamts, der sei schwerer zu ertragen gewesen: "Die Luft war schlecht und ständig hatte man den Lärm und Gestank aus der Grube."

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