Süddeutsche Zeitung

Rekordverlust:Deutscher Bank fehlen Vision und Hoffnung

Der enorme Verlust des größten deutschen Geldhauses stellt die Zukunftsfähigkeit des Instituts infrage.

Kommentar von Andrea Rexer

Gemessen an ihrem Aktienkurs befindet sich die Deutsche Bank gerade am Höhepunkt der Finanzkrise. Nur dass die Deutsche Bank jetzt allein mit ihrer Misere dasteht. Während sich die meisten globalen Geldhäuser längst aufgerappelt haben, meldet das größte deutsche Institut für das vergangene Jahr einen Verlust von 6,7 Milliarden Euro. Die Finanzmärkte reagierten auf die Nachricht panisch, der Aktienkurs rasselte auf das Niveau von 2009. Der Milliardenverlust ist mehr als nur ein beklagenswertes Zwischenergebnis. Dieser Verlust stellt die Zukunftsfähigkeit des größten deutschen Geldhauses infrage.

Als der Brite John Cryan vor einem halben Jahr die Führung übernommen hatte, waren die Hoffnungen groß, dass er die Bank aus dem Abwärtssog befreien kann. Geschickt positionierte er sich an den Finanzmärkten als knallharter Sanierer und in der Öffentlichkeit als zurückhaltender und bescheidener Banker. Er kündigte harte Sparmaßnahmen an, um die Bank wieder auf Vordermann zu bringen und geißelte die hohen Boni seiner Kollegen. Kurz gesagt, er inszeniert sich als Anti-Jain. Da sich sein Vorgänger Anshu Jain allseits unbeliebt gemacht hatte, flogen Cryan schnell Sympathien zu. Doch nun kehrt mit hohem Tempo Ernüchterung ein. Denn der öffentlichen Inszenierung folgte nicht die erhoffte Trendwende bei den Ergebnissen.

Es ist völlig unklar, wie die Bank künftig Gewinne machen will

Natürlich muss man Cryan zugutehalten, dass ein Teil der schlechten Zahlen auf das Konto seiner Vorgänger geht. Die nicht enden wollenden Kosten für Rechtsstreitigkeiten etwa, hätten durch entschiedeneres Vorgehen eingedämmt werden können. Schließlich zeigt das Beispiel der Schweizer Großbank UBS, dass es auch anders geht. Die Schweizer waren zwar in einige Skandale der Branche tiefer verstrickt als die Deutsche Bank, haben sich jedoch bei den Behörden als Kronzeuge ins Spiel gebracht. Das hat nicht nur ihren Ruf verbessert, sondern auch manche Milliardenzahlung verhindert. Will Cryan hier wirklich einen Unterschied machen, reicht es nicht aus, auf Nachfrage Unterlagen herauszurücken, er muss sich aktiv als Aufklärer positionieren.

Ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt jedoch genügt es nicht, auf die Fehler der Vergangenheit zu verweisen. Das Erschreckende an den Zahlen sind denn auch nicht die hohen Kosten, sondern die fehlenden Erträge. Statt ein eigenes Konzept zu entwickeln, hat sich John Cryan dazu entschieden, die "Strategie 2020" seiner Vorgänger in angepasster Form umzusetzen. Das ist zu wenig.

Das sieht man beispielsweise im Privatkundengeschäft. Der Verkauf der Postbank ist das Herzstück der Strategie 2020, doch selbst wenn der Verkauf klappt, woher sollen künftig die Erträge kommen? Andere Häuser sind da längst weiter. Sowohl die Commerzbank mit ihrem großen Engagement bei Finanz-Start-ups als auch die Hypo-Vereinsbank mit ihrem neuen Filialkonzept lassen die Deutsche Bank alt aussehen. Es ist fast gespenstisch, wie wenig die Deutsche Bank auf die Frage nach dem digitalen Wandel zu sagen hat.

Anshu Jain träumte noch davon, dass die Deutsche Bank zu den fünf besten globalen Banken gehören wird. Cryan nahm von diesen Träumen Abstand. Man mag es als wohltuend empfinden, wenn die Deutsche Bank nicht mehr in Machtfantasien schwelgt, doch es reicht nicht aus, sich davon zu distanzieren. Cryan muss der Deutschen Bank eine neue Vision geben. Im Moment ist völlig unklar, welche Rolle die Deutsche Bank künftig spielen soll. Was ist ihr Geschäftsmodell, was ist ihre Existenzberechtigung? Erst wenn Cryan diese Fragen beantwortet hat, kann er an den Finanzmärkten und in der Öffentlichkeit wieder mit Zustimmung rechnen.

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SZ vom 22.01.2016/hgn
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