Rekordstrafen für Europas Banken in USA:Wer blecht die nächsten Milliarden?

Viele europäische Banken fürchten sich vor den hohen Strafen der US-Justiz. Sind diese gerechtfertigt? Oder aber wollen die Amerikaner nur Konkurrenten schwächen?

Von Claus Hulverscheidt, Berlin, Nikolaus Piper, New York und Andrea Rexer, Frankfurt

Die europäischen Banken haben Angst. "Wer ist der Nächste?", raunen sie sich zu. Gerade eben hat die französische Großbank BNP fast neun Milliarden Dollar an US-Behörden zahlen müssen, weil sie das Embargo gegen Iran und andere Staaten verletzt hat. Gerüchten zufolge ist die Commerzbank die nächste. Mindestens 500 Millionen, vielleicht aber auch 800 Millionen Euro sind bei ihr im Feuer. Und wie viel auf die Deutsche Bank zukommt, wagt keiner zu schätzen. Klar ist nur, dass auch auf das größte deutsche Bankhaus wohl eine saftige Strafe zukommen wird.

Doch wie gerechtfertigt sind die Strafen? Versucht die US-Politik, über die Banken Industriepolitik zu machen? In mehreren europäischen Hauptstädten hegt man den Verdacht, dass die US-Justiz mit ihrem harschen Vorgehen gleich zwei Ziele verfolgt: Zum einen will sie vor den Kongresswahlen im Herbst Härte gegenüber der Finanzindustrie demonstrieren, zum anderen nutzt sie die Gelegenheit, die europäischen Konkurrenten großer amerikanischer Banken ein wenig in die Schranken zu weisen.

In der vorsichtigen Sprache der Diplomatie heißt es in Kreisen der EU-Regierungen: "Wenn europäische Institute gegen amerikanische Gesetze verstoßen haben, dann ist es völlig richtig, Sanktionen zu verhängen." Doch dann kommt ein Zusatz: "Darüber hinaus stellt sich aber die Frage: Haben die Bankenaufsicht und die Justiz in den USA daneben auch eine politische Agenda?"

Vor allem Frankreich hat im Vorfeld der BNP-Entscheidung versucht, die Europäer gemeinsam gegen Washington in Stellung zu bringen. Finanzminister Michel Sapin sprach unter anderem bei seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble vor, der wiederum den Besuch des amerikanischen Ressortchefs Jacob Lew in Berlin dazu nutzte, Fairness im Umgang mit europäischen Geldhäusern in den USA anzumahnen.

Von lautstarker Kritik an den USA hält man in Berlin wenig

Von lautstarker Kritik an den USA allerdings hält man etwa in Berlin allerdings wenig. Polterei sei eher kontraproduktiv, heißt es in Regierungskreisen. Und selbst wenn man Präsident Barack Obama von einem gemäßigteren Vorgehen überzeugen könnte, habe dieser doch kaum Einfluss auf das Vorgehen der Justiz.

Auch in der Welt der Banken hält man den Mund. Nicht weil man nicht Groll hegen würde, sondern weil die Angst umgeht. Allen ist das Beispiel der BNP vor Augen: Dort ist die Politik für die Bank in die Bresche gesprungen - doch der Schuss ging nach hinten los. Nach der politischen Intervention ging die Strafe sogar noch nach oben.

Die Franzosen hatten offen angesprochen, dass die USA womöglich die Tatsache ausnützten, dass der Dollar Weltwährung ist. Denn die Geschäfte, die von den Banken finanziert worden sind, waren in Europa völlig legal. Da im internationalen Handel aber nicht der Euro zählt, sondern der Dollar, wickelten die Banken die Zahlungen über New York ab. Auf diese Weise kann die amerikanische Justiz mit ihren Strafen praktisch jede global relevante Bank erreichen.

Das Argument ließen die Amerikaner nicht gelten. Sie legten Belege vor, die zeigen, dass die BNP bewusst Zahlungsströme verschleiert hat, um die Behörden zum Narren zu halten.

Um die Logik hinter dem Vorgehen der amerikanischen Staatsanwälte zu verstehen, muss man sich einen Satz in Erinnerung rufen: "There is no such thing as too big to jail." Frei übersetzt: Macht schützt nicht vor Gefängnis. Präsident Barack Obamas Justizminister Eric Holder sagte ihn, und zwar im vorigen Mai, als die schweizerische Großbank Credit Suisse eine Strafe von 2,6 Milliarden Dollar wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung akzeptierte. Holder wollte und will zeigen, dass sein Ministerium furchtlos im Umgang mit der Wall Street ist. Insofern ist das Vorgehen der Staatsanwälte in New York und Washington durchaus politisch. Holder ist von Amts wegen oberster Strafverfolger des Landes und will seinen Wählern zeigen, dass die Regierung die richtigen Schlüsse aus der Finanzkrise gezogen hat. Banken sind auch in Amerika denkbar unpopulär - auf der Rechten wie auf der Linken.

Auch US-Institute müssen blechen, in Milliardenhöhe

Dabei trifft es inländische ebenso wie ausländische Institute. Im vorigen Jahr zahlte JP Morgan Chase, die größte Bank Amerikas, für Verfehlungen im Vorlauf zur Finanzkrise 13 Milliarden Dollar, die bisher höchste Strafe in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Bank of America war mit 11,6 Milliarden Dollar dabei, Citigroup muss nach Presseberichten mit sieben Milliarden Dollar rechnen. In diesem Jahr waren Credit Suisse mit ihrem Steuerfall dran und BNP Paribas mit ihrer Rekordstrafe von 8,9 Milliarden Dollar. Bereits 2012 zahlte die britische HSBC 1,9 Milliarden Dollar, weil die Kontrollen der Bank gegen Geldwäsche nicht funktioniert hatten. Im selben Jahr musste die schweizerische UBS für ihre Beteiligung am Manipulationsskandal um den Londoner Interbankenzins Libor 1,5 Milliarden Dollar zahlen.

Das eigentliche Problem ist jedoch, dass die Fälle nie vor Gericht entschieden wurden. Das Muster ist immer gleich: Die Staatsanwälte erheben eine zivil- oder strafrechtliche Klage, dann beginnen Verhandlungen, am Ende steht ein Deal. Den akzeptieren Richter meist ohne weitere Verhandlungen. Die beklagten Banken haben ein massives Interesse daran, ein langwieriges Gerichtsverfahren mit der entsprechenden negativen Publicity zu vermeiden. Die Höhe der Strafen hängt vom Umfang der kriminellen Transaktionen, von der Kooperationsbereitschaft mit den Strafverfolgern und der ökonomischen Potenz der Bank ab. Dabei ist BNP Paribas vergleichsweise gut weggekommen. Nach einer Berechnung des Wall Street Journal muss BNP nur 30 Cent Strafe pro Dollar inkriminierten Geschäfts zahlen. Die britische Bank Standard Chartered musste 2012 in einem ähnlich gelagerten Fall einen Dollar zahlen, die Royal Bank of Scotland sogar 3,13 Dollar.

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