Reisen 2017:Unterwegs ins Ungewisse

Reisen 2017: Kleine Abenteuer gehören für viele zu einem gelungenen Urlaub, aber sie sollen kalkulierbar bleiben - so wie hier beim Windsurfen auf Teneriffa.

Kleine Abenteuer gehören für viele zu einem gelungenen Urlaub, aber sie sollen kalkulierbar bleiben - so wie hier beim Windsurfen auf Teneriffa.

(Foto: mauritius images)

Ob in den Urlaub oder geschäftlich unterwegs - beim Reisen zählt 2017 vor allem die gefühlte Sicherheit.

Von Michael Kuntz

Es war nach den terroristischen Anschlägen vor 15 Jahren in New York, als Amerikaner sich fortan nicht mehr nur eine gute Reise wünschten, sondern: eine sichere und gute Reise. Sicher am Ziel ankommen und sicher nach Hause zurückkehren, das war nicht mehr so selbstverständlich wie früher.

Die veränderte Sicherheitslage nun auch in Europa hat 2016 erstmals das Reiseverhalten der Deutschen massiv verändert. Von einem "sehr herausfordernden Jahr" spricht Norbert Fiebig, der Präsident des Deutschen Reiseverbandes. "Der Aspekt Sicherheit ist der erste, der Urlaubsströme verändert", sagt Fiebig. Und alles deutet darauf, dass für die Reiseanbieter auch künftig die Ausnahmesituationen die neue Normalität sein werden.

Viele reisten 2016 an das westliche Mittelmeer und nicht mehr an das östliche. Viele zögerten mit der Buchung ihres Urlaubs. Oder sie blieben gleich in Deutschland, setzten sich ins Auto, besuchten Verwandte und Freunde. Ohne Reisebüro, ohne Reiseveranstalter, auf eigene Faust.

Das hatte gravierende Auswirkungen auf die Reiseindustrie im weitesten Sinne, nicht nur auf die Anbieter von Pauschalreisen, sondern auch auf die Fluggesellschaften und auf die Hotellerie in einigen bisher beliebten Ferienländern.

Vor allem die Türkei ist betroffen, ebenso die Länder in Nordafrika. Ägypten, Tunesien und Marokko waren Sonnenziele, in die Deutsche gerne aufbrachen. Aber dorthin reisten nie so viele wie in die Türkei. Sie ist nach Spanien und Italien das drittbeliebteste Reiseland der Deutschen. 2015 fuhren noch 5,6 Millionen Gäste hin. In diesem Jahr dürften es mindestens zwei Millionen weniger gewesen sein.

Das hatte es vorher noch nicht gegeben: Eines der beliebtesten Urlaubsländer fiel zeitweise weitgehend aus, nach einer Serie von Anschlägen, der Tötung deutscher Touristen in Istanbul am 12. Januar und den politischen Unruhen nach dem Putschversuch im Juli. Mindestens zwei Millionen Menschen wollten zwar weiter Urlaub machen, aber diesmal nicht in der Türkei.

Das war besonders heikel für den Reisekonzern Thomas Cook, der sich vor ein paar Jahren extra noch Öger Tours gekauft hatte, den Türkeispezialisten. Marktführer in der Türkei zu sein, das war nun auf einmal ein wirtschaftlicher Nachteil. Jahrelang hatte sich dort gutes Geld verdienen lassen. Das Land hatte mit vielen neuen Fünf-Sterne-Hotels und als Vorreiter bei der All-inclusive-Verpflegung in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Und dank eines beispiellos günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses scharenweise Urlauber aus vergleichsweise alten und oft weniger komfortablen Hotels in Spanien, Italien oder Griechenland weggelockt.

In diesem Jahr bewegten sich die Urlauberströme wieder in die Gegenrichtung. Selbst weniger attraktive Betonorte an der spanischen Festlandsküste wie Lloret de Mar oder Marbella waren wieder gefragt und die Inselgruppen der Balearen und die Kanaren ausgebucht. Hier fühlen sich die Menschen sicherer. Die Tui, der größte unter den Reiseveranstaltern, hatte sich umgehend zusätzliche Bettenkontingente in Spanien und Portugal gesichert. So viel Flexibilität zahlte sich aus, denn es verreisten zwar weniger Gäste mit der Tui, die aber gaben mehr aus, als sie es in der Türkei getan hätten. Noch recht ordentlich fiel der Gewinn unter anderem aus, weil die Kreuzfahrtschiffe zu mehr als hundert Prozent ausgelastet waren, wegen der Zusatzbetten in einigen Kabinen.

Auch bei den Reisebüros waren es vor allem die Schiffsreisen, die noch größere Umsatzverluste verhinderten. Mit einer Traumschiff-Passage lässt sich ein Mehrfaches verdienen von dem an einer normalen Flugreise zum Mittelmeer. Dennoch: Erstmals seit der Finanzkrise 2009 schrumpfte das Geschäft der stetes Wachstum gewohnten Reiseindustrie um nahezu vier Prozent.

"Bei uns war 2016 praktisch jede Woche eine Art Krise", sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr, der nun mit einem zentralen Krisenzentrum die Auswirkungen für Kunden und Mitarbeiter möglichst gering halten will. Krisenstäbe gibt es inzwischen auch bei jedem größeren Reiseveranstalter. Kommen Urlauber unterwegs zu Schaden, starten sogenannte Kriseninterventionsteams und helfen vor Ort. Die Branche betreibt einen gemeinsamen Krisenstab, der eng mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeitet und telefonisch konferiert.

Mehr noch als früher betonen die Reiseveranstalter nun die Vorteile der gesetzlich geregelten Pauschalreise, bei der Flüge, Unterkunft und Transfers, also mehrere Leistungen, gebündelt verkauft werden. Sie ist mit dem Versprechen verbunden, dass sich immer jemand um den Kunden kümmert, auch wenn Probleme auftreten.

Probleme treten eher mehr als weniger auf. Darauf deuten Zahlen der Global-Monitoring-Firma A3M, die Ereignisse erfasst, die Einfluss auf Touristik und Geschäftsreisen haben. Für 2016 zählte man 1380 Terrorakte, nach 810 im Jahr davor.

Man einigt sich an Weihnachten, wohin man im Sommer fährt - das war einmal

Der Aspekt Sicherheit veränderte bereits die Gewohnheiten vieler Urlauber und damit auch das langjährige Geschäftsmodell der Reiseindustrie. Viele Familien einigten sich traditionell während der Weihnachtszeit auf das Ziel im kommenden Sommer und buchten dann zügig. Ein Verhalten, das die Veranstalter mit Frühbucher-Rabatten belohnten. Sie bekamen die Anzahlung, und der Hotelier gewährte günstige Konditionen für die Gewissheit, in der Hochsaison ein volles Haus zu bekommen. Die Deutschen wollten den Urlaub möglichst zeitig planen: Noch 2015 wurden Reisen in einem stationären Laden durchschnittlich 113 Tage vor Beginn gebucht, und auch online waren es 79 Tage vorher.

Wer sich bei der Wahl seines Reisezieles allerdings unsicher ist, der zögert - und bucht jedenfalls nicht viele Monate im Voraus. Gefragte Ziele sind oft ausgebucht, und last minute reizt dann doch der günstige Urlaub in der Türkei oder Ägypten. Dieser Effekt dürfte sich 2017 wiederholen, erwarten Experten. Denn die spanischen Hoteliers haben die Preise angehoben und die türkischen ihre nochmals gesenkt.

Reiseveranstalter und Reisebüros werden sich bemühen müssen, Kunden wieder zurückzugewinnen. Jene also, die daheim blieben, zu Verwandten oder Freunden reisten oder sich für Deutschlands Küsten oder Berge entschieden haben. Also für eine Unternehmung, die meist ohne professionelle Hilfe stattfindet. Mehr als die Hälfte aller Urlaube wurden auch bislang bereits ohne Reiseveranstalter oder Reisebüros auf eigene Faust organisiert.

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