Lange Menschenschlangen, überfüllte Wartezonen, erschöpfte Passagiere - in den deutschen Flughäfen herrscht derzeit allzu oft mehr Frust als Ferienfreude. Immer mehr Maschinen sind teilweise massiv verspätet, die Zahl der Flugausfälle steigt rapide, die Flugpläne sind durcheinander, die Reisenden verzweifelt, egal ob sie mit Eurowings, Condor, Lufthansa oder Tuifly unterwegs sind. In dieser Woche musste Ryanair Hunderte Flüge streichen, weil das Personal streikt. Die Lage ist gerade jetzt, mitten in der Ferienzeit, so schlimm wie lange nicht mehr. Aber die Beteiligten schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
2018 wurden nach den neuen Zahlen des Verbraucherportals EUclaim bereits 18 749 Flüge von und nach Deutschland sowie innerhalb Deutschlands annulliert, gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Anstieg von 67 Prozent. Fast 5000 Flüge waren um drei Stunden und mehr verspätet. Erst dann steht Passagieren nach EU-Recht unter bestimmten Bedingungen eine Entschädigung von bis 600 Euro zu, auch wenn die Airlines nicht gerne zahlen. Die Gründe für das Chaos am Himmel addieren sich: Managementfehler, die Pleite von Air Berlin, ungünstige Wetterbedingungen, ein übervoller Himmel über Europa, überlastete Sicherheitskontrollen.
Entspannung ist nicht in Sicht. "Die Probleme können sich im kommenden Jahr sogar noch verstärken", warnt Matthias Maas, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF). Denn es fehlen Fluglotsen. Bis 2020 gingen einige Hundert in den Ruhestand, für sie braucht es Nachfolger, doch die Ausbildung dauert bis zu vier Jahren, so Maas. Die europäische Flugsicherung Eurocontrol erwartet für die kommenden Jahre deutlich mehr Verspätungen, die Kapazität der Flughäfen wachse einfach nicht schnell genug.
Die Fluggesellschaften machen das Wetter und vor allem die Fluglotsen für einen Großteil der Probleme verantwortlich. Immer wieder gebe es Engpässe, in Frankreich und Belgien kamen zuletzt Streiks hinzu, genau über diese Länder gehen die meisten Urlaubsflüge Richtung Spanien und Portugal. Die Fluglotsen wollen dies nicht gelten lassen. Zum einen wirke sich der Sparkurs der vergangenen Jahre aus, sagt GdF-Chef Maas. Aber er betont: "Die Airlines sind für einen Großteil der Verspätungen selbst verantwortlich, da wird nur von eigenen Problemen abgelenkt. Viele haben nicht richtig geplant."
Die Probleme haben vor allem seit dem Aus für Air Berlin im vergangenen Sommer drastisch zugenommen. Viele Fluggesellschaften hatten sich danach wertvolle Start- und Landerechte gesichert und Flüge angeboten, denn sonst verfallen diese sogenannten Slots schnell wieder. Aber es gab nicht ausreichend Flugzeuge und Mitarbeiter, um alle Strecken auch zuverlässig bedienen zu können. Die Übernahme der Air-Berlin-Maschinen und ihrer Crews durch die Konkurrenten verzögerte sich. Alleine 78 Maschinen gingen an Eurowings, die letzte erst in der vergangenen Woche. Die Tochterfirma von Lufthansa hatte sich zu viel vorgenommen, es gab besondere viele Annullierungen und Verspätungen. Nun stabilisiere sich die Lage allmählich, beteuert ein Eurowings-Sprecher. Sauer sind auch die Reiseveranstalter. Die unverhältnismäßig hohe Anzahl von Flugabsagen und Flugzeitenänderungen vor allem bei Eurowings führten seit Wochen zu mehr Aufwand und Arbeit, so der Deutsche Reiseverband: "Das Ausmaß hat eine Dimension erreicht, die absolut nicht mehr tragbar ist." Die Reisebüros fordern Entschädigungen für die Mehrarbeit und den Ärger mit den Kunden.
Leidtragende sind die Kunden. "Urlauber erwarten zu Recht einen stabilen Flugplan, flugbereite Maschinen und motivierte Mitarbeiter", sagt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands.
Was Experten der Politik raten, um die Lage in den Griff zu bekommen
Die Insolvenz von Air Berlin habe den deutschen Flugmarkt durcheinandergewirbelt, erklärt Achim Wambach, Chef der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät. "Die derzeitigen Probleme im Luftfahrtmarkt sind aber auch Ausdruck der eingeschränkten Wettbewerbsintensität in Deutschland im Flugverkehr insgesamt", kritisiert der Wirtschaftsprofessor. Es wäre sinnvoller, Start- und Landerechte zu versteigern. So würde potenziellen Wettbewerbern der Markteintritt erleichtert. Kunden hätten dann mehr Auswahl, und die Fluggesellschaften müssten bessere Leistungen anbieten.
Das Problem ist aber auch, dass es in der Luft immer voller wird. Und die Passagiere wollen so günstig fliegen wie möglich. Also versuchen die Fluggesellschaften, die Kosten zu drücken - nicht nur bei Dienstleistern, sondern auch beim eigenen Personal. Die Folge: schlechte Arbeitsbedingungen auch in der Luftfahrt. Die Lage entspreche nicht "dem Qualitätsversprechen und auch nicht dem eigenen Anspruch", schreibt die Luftfahrtindustrie. Aber so wird es vorerst wohl bleiben.