Herr und Frau Breuer sind gerade aus Mallorca zurückgekehrt. Jetzt sitzen sie in Hannover-Oberricklingen im Reisebüro vor dem Schreibtisch von Susanne Bandura und planen die nächste Reise: Im September soll es nach Bulgarien gehen. Gebucht haben die Breuers schon. Ihre Unterlagen haben sie in einer Klarsichtfolie dabei, heute geht es nur noch um den Check-in für den Flug. Und das wollen sie nicht im Internet erledigen. "Wir möchten den Damen und Herren ins Gesicht schauen", sagt Herr Breuer. Dann fragt er Bandura nach ihrer Mitarbeiterin, die gerade ein Kind bekommen hat: "Grüßen Sie mal schön von Ehepaar Breuer!"
Susanne Bandura ist seit 28 Jahren selbständig, sie leitet das Reisebüro in Hannover, hat ein weiteres in Seesen. Mit ihrem Team verkauft sie Reisen und das ganze Drumherum: Sehnsucht, Infos zum Urlaubsziel, das Bordmenü für den Flug. Am Bildschirm in ihrer hannoverschen Filiale zeigt sie, wie schnell sie etwa eine Pauschalreise zusammenstellen kann: "Wo ein Kunde lange sucht, komme ich mit zwei Klicks weiter." Am Schreibtisch nebenan lässt sich ein Paar mit Säugling beraten. Immer wieder bimmelt das Telefon, Bandura notiert die Rufnummer, sagt, sie rufe zurück. Der Kunde weiß, wohin er möchte, der Rest reicht ihm telefonisch.
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Eine Reise buchen kann man natürlich auch im Internet. Dort unterbieten sich Online-Reisevermittler mit billigen Flügen oder Pauschalreisen, unzählige Vergleichsportale versprechen, das beste Angebot zu finden. Die Nachfrage ist groß: Rund 1200 Euro gibt jeder Deutsche im Jahr für Urlaub aus - so viel wie noch nie. 65 Milliarden Euro waren es 2017 insgesamt, Tendenz steigend.
Eine Weile sah es so aus, als würden Reisebüros trotzdem aussterben, so wie Videotheken oder Bankfilialen. Ein Relikt aus einer analogen Zeit, allein der Name: Reisebüro - das klingt doch nach Urlaub mit Heftklammer, nach raschelnden Katalogseiten und Pappaufsteller mit Palmenmotiv. Nach HP, AI oder noch besser: DZ m. MB. Das Reisebüro passt zu diesem Land. Es ermöglicht, für ein paar Tage oder Wochen aus dem Alltag auszubrechen - sorgfältig geplant und ausgedruckt.
2002 gab es noch 14 235 dieser Orte in Deutschland, aktuell spricht der Deutsche Reiseverband von 11 116 Vertriebsstellen. Dazu gehören neben klassischen Reisebüros auch Geschäfte, die im Nebenerwerb Reisen vermitteln, zum Beispiel Lotto-Annahmestellen. Die Gesamtzahl ist also gesunken, doch Umsätze und Kundenzahlen steigen, auch im Reisebüro von Susanne Bandura. Nach wie vor buchen 60 Prozent der Deutschen lieber offline. Und finanziell macht es bei Pauschalreisen ohnehin keinen Unterschied: Für sie gilt wie für Bücher eine Preisbindung, der Pauschalurlaub darf im Reisebüro gar nicht teurer sein als im Internet. Allerdings machen Pauschal- oder Bausteinreisen nur 40 Prozent des deutschen Urlaubsmarkts aus.
Einige Online-Plattformen gingen pleite
Viele Menschen merkten auch, "dass eine Onlinebuchung am Ende doch nicht so einfach ist, wie man denkt", sagt Harald Pechlaner, der den Lehrstuhl für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt leitet. In den vergangenen Jahren machten Verbraucher immer wieder die Erfahrung, dass der Preis während der Dateneingabe plötzlich stieg, dass das günstige Angebot nur galt, wenn man eine bestimmte Zahlungsart wählte oder dass kein Kundenservice erreichbar war. "Bedingt durch solche Erfahrungen kann man als Kunde misstrauisch werden", sagt Pechlaner. Die Pleite von Unister mit den Plattformen Ab-in-den-Urlaub.de und Fluege.de und die Insolvenz von Air Berlin dürften Kunden noch weiter verunsichert haben. Fällt nämlich ein Flug aus, müssten sie sich selbst kümmern. Wer im Reisebüro gebucht hat, bekommt dort Hilfe.
Und tatsächlich hat sich durch das Internet gar nicht so viel geändert. Auch vor 30 Jahren ließ sich nur ein Teil der Deutschen professionell eine Reise organisieren. Die meisten kümmerten sich selbst. Sie hatten entweder vorab in der Pension, dem Hotel oder beim Fremdenverkehrsamt angerufen und reserviert. Oder sie fuhren einfach los und ließen sich am Urlaubsort in der Touristen-Info ein paar freie Unterkünfte nennen, die sie dann abtelefonierten. Eine Auswertung des Reiseverbands von 2015 zeigt, dass es überwiegend die Selbstorganisierer sind, die nun online buchen. Wer früher dem Reisebüro vertraute, tut es noch heute.
Die Menschen, die zu Susanne Bandura kommen, sind zum Teil langjährige Stammkunden aus der Gegend, sie schätzen die persönliche Beratung und kennen die Mitarbeiter im Reisebüro per Namen. Einige kommen auf Empfehlung von Freunden und Nachbarn, manche nennen der Reise-Expertin nur noch, wann sie für welchen Preis verreisen möchten und fragen: "Was empfehlen Sie?" Bandura stellt dann gezielte Fragen: Worauf genau legt der Kunde wert? Möchte er nur Strandurlaub oder gern gemischt mit Sightseeing? Gern eine Kreuzfahrt?
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Weil das Reisen immer komplexer wird und stationäre Anbieter sich vom Internet abgrenzen wollen, müssen sie für das gleiche Geld mehr bieten als früher. Sie übernehmen den Check-in im Internet oder denken daran, frühzeitig alle Gepäckstücke anzumelden, um später hohe Kosten zu vermeiden. Sie richten ein Callcenter und eine Webseite ein, damit die Kunden auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten buchen können. So macht es auch Bandura. Und sie drückt ihren Kunden nicht nur einen schnöden Ausdruck in die Hand, sondern verpackt die Reiseunterlagen in einer ordentlichen Mappe mit eigenem Logo. Manchmal sind es die kleinen Dinge.
Im vergangenen Jahr machten Reisebüros 26,4 Milliarden Euro Umsatz. Goldgruben sind sie deswegen aber nicht. Reisebüros verdienen ihr Geld durch Provisionen der Reiseveranstalter, die zwischen sieben und zwölf Prozent liegen. Ein Vermittler, der Reisen im Wert von einer Million Euro an die Menschen bringt, bekommt davon also etwa 100 000 Euro - vor Abzug der Personal- und Mietkosten. "Die Gewinnmarge von Reisebüros liegt vor Steuern bei etwa einem Prozent", sagt Martin Hein. Er besitzt ein Reisebüro mit fünf Filialen in Berlin und in Brandenburg und berät andere Reisevermittler. Um ihre Gewinnspanne zu steigern, lassen sich manche Reisebüros inzwischen für ihren Service bezahlen. Die Reisebüro-Allianz QTA beispielsweise verpackt Sitzplatzreservierungen und Flughafentransfers inzwischen in ein Paket mit mehreren Versicherungen und verdient damit nicht mehr nur am Veranstalter, sondern auch am Kunden.
Nur wenige Reisebüros arbeiten unabhängig. 95 Prozent sind Teil einer Kette, arbeiten - so wie Bandura - als Einzelunternehmer auf Lizenzbasis mit den Konzernen oder kooperieren im Verbund mit anderen Reisebüros. Das heißt aber nicht, dass alle das Gleiche anbieten. In den Fußgängerzonen und Einkaufszentren bauen Reisebüros vor allem auf Laufkundschaft und vermitteln Urlaube für die breite Masse. Jetzt im Sommer geht es oft nach Bulgarien, Ägypten oder auf die Kanaren. Abseits der belebten Ecken spezialisiert man sich dagegen eher: auf Singles, Sportler, Kreuzfahrten. Da ist das Kölner Reisebüro, das auf Reisen für lesbisch-schwule Gruppen spezialisiert ist oder der Luxusanbieter, der natürlich nicht "Reisebüro" heißt, sondern "Atelier" oder "Boutique".
Der Branche fehlt der Nachwuchs
Martin Hein, der Coach, sagt, ein Reisebüro brauche "eine klare Zielgruppe und ein erkennbares Konzept". Sein eigenes Geschäft sieht er als Generalist, präsentiert es aber als Wohnzimmer, in dem Lounge-Musik läuft, Kaffee serviert wird und die Kunden vor der Beratung gefragt werden, wie sie sich einen perfekten Urlaub vorstellen. Nicht allen Anbietern gelinge es, den Kunden zu zeigen, weshalb man ausgerechnet hier buchen sollte. "Die meisten Reisebüros leben heute von ihrer Substanz", sagt Hein. Solange die Stammkunden da sind, überlebt auch das Reisebüro. Viele junge Menschen aber steuerten das Reisebüro um die Ecke längst nicht mehr so selbstverständlich an - und das liegt nicht nur am Internet, glaubt Hein. "Wenn Sie in der Google-Bildersuche 'Reisebüro' eingeben, dann bekommen Sie manchmal das Grauen." Tatsächlich sieht ein Reisebüro meist so aus: drei Schreibtische in Eiche massiv, darauf ein Bildschirm und eine Topfpflanze, davor zwei Stühle und an der Wand ein paar Palmen- und Strandfotos.
Das schreckt nicht nur potenzielle Neukunden ab. Vor dreißig Jahren war es ein Traum junger Menschen, Reisen zu verkaufen. Auf einen Ausbildungsplatz kamen 50 Bewerber, viele hofften, so die Welt zu sehen. Heute werden sie abgeschreckt von niedrigen Gehältern und schlechten Arbeitszeiten. Dabei können viele Mitarbeiter noch immer Info-Reisen an exotische Orte machen. Gerade sei einer ihrer Kollegen in die Dominikanische Republik geflogen. "Für mich ist es immer noch der Traumberuf", sagt Bandura. Dann checkt sie das Ehepaar Breuer auf den Flug nach Bulgarien ein.