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Nahaufnahme: "Der Kunde überlegt sich so vorab genauer, ob und was er buchen möchte", sagt Verena Ruthmann.

"Der Kunde überlegt sich so vorab genauer, ob und was er buchen möchte", sagt Verena Ruthmann.

(Foto: oh)

Weil die Einnahmequellen weniger werden, verlangen manche Reiseverkäufer nun Geld für die Beratung. Verena Ruthmann ist eine von ihnen. Doch ihr Ansatz ist in der Branche umstritten.

Von Lea Hampel, München

Ein bisschen Übung würden ihre Mitarbeiterinnen schon brauchen, davon ging Verena Ruthmann, 51 Jahre, aus. Über Geld spricht kaum jemand gern, und welches zu fordern, fällt den meisten Menschen besonders schwer. Als die Chefin der "Ferienwelt" in Hückelhoven also beschloss, fortan Gebühren für die Beratung der Kunden zu verlangen, bereitete sie für ihre Mitarbeiterinnen ein Papier vor. Darauf standen mögliche Kundenfragen, Antworten, Argumente. Sie setzte eine Besprechung an und schlug den Kolleginnen vor, zu üben. "Aber dann haben die das einfach direkt am nächsten Tag gemacht", erzählt Ruthmann.

Was die Betreiberin des Reisebüros in Nordrhein-Westfalen seit einigen Monaten praktiziert, steht für eine kleine, wenn auch bedeutende Entwicklung in der Branche. Bisher läuft das Geschäft von Reisebüros so: Sie beraten zu möglichen Reisezielen, schönen Hotels, der besten Flugverbindung. Bucht ein Kunde, erhält das Büro eine Provision vom Veranstalter, die unter anderem danach variiert, wie viele Reisen von einem Anbieter das Büro verkauft. Schon vor der Pandemie hatte dieses Modell gelitten, weil Kunden sich öfter mal haben beraten lassen, um danach selbst online zu buchen. Die Einschränkungen des Reiseverkehrs durch die Corona-Pandemie haben das Modell völlig untergraben. Da Reisen oft ausfallen oder umgebucht werden müssen, haben die Reisebüros mehr Arbeit, verdienen aber nicht mehr Geld, oft sogar gar keines.

Verena Ruthmann hat sich schon vor Corona geärgert, dass sie oft umsonst berät, und das, obwohl sie sich dauernd weiterbildet, informiert und sicher ist, zielgerichteter Informationen zu liefern als jede Suchmaschine. Durch Corona kommen noch komplexere Fragen hinzu - etwa, welche Quarantäneregeln wo herrschen und wie die Hygienemaßnahmen in einzelnen Häusern aussehen. Das hat sie überzeugt: Es ist ein guter Zeitpunkt, ihr Wissen nicht kostenlos herzugeben. Seit 1. Juli muss jeder Kunde bezahlen. 30 Euro Beratungsgebühr für Pauschalreisen, 69 Euro für Rundreisen.

Bis jetzt tun die Kunden das anstandslos, sowohl bei ihr als auch ihren Mitarbeiterinnen, sagt Ruthmann. Den Argumentationsbogen brauchen sie so gut wie nie. "Die meisten fragen nicht mal nach, sondern sagen einfach: kein Problem", sagt Ruthmann. Sie glaubt aber auch, dass das derzeit eine Ausnahme ist. "Gerade jetzt haben viele Verständnis für die Situation", sagt sie.

Innerhalb der Reisebranche gibt es zu dem Thema unterschiedliche Ansichten, aber die Zahl der Reisebüros, die Beratungsgebühren einfordern, steigt. Dabei variieren die Bedingungen stark. Manche Berater schreiben den Betrag gut, wenn der Kunde bucht; manche verlangen ihn pro Buchung, andere pro Kopf mit Ausnahme von Kindern. Und es gibt auch Verkäufer, die überzeugt sind, dass eine zusätzliche Gebühr Kunden vertreibt und sich nicht lohnt.

Verena Ruthmann kennt die skeptischen Stimmen. Und in einem Punkt haben sie recht: Bisher kompensieren ihre Beratungseinnahmen nicht ansatzweise die fehlenden Provisionen. Wichtig ist der Schritt ohnehin eher psychologisch, findet sie. "Der Kunde überlegt sich so vorab genauer, ob und was er buchen möchte", sagt Ruthmann. Sonst kommen auch Kunden einfach mal so rein, ohne beispielsweise zu wissen, ob sie Urlaub nehmen können und wann. Oder sie lassen sich Angebote von mehreren Büros erstellen, und nur einer verdient daran. Psychologisch wichtig ist es aber auch für Ruthmann selbst und ihre Mitarbeiterinnen. Aktiv zu werden, sagt die Reiseverkäuferin, fühle sich gut an, in dieser Zeit, in der die Entwicklung der Branche so stark an äußeren Faktoren hänge. "Und es ist gut, nicht immer das Gefühl zu haben, umsonst zu arbeiten", sagt sie.

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