Süddeutsche Zeitung

Reinhard Loske im Gespräch:"Wachstum und Wohlstand sind zwei verschiedene Dinge"

Der grüne Bremer Umweltsenator Reinhard Loske plädiert für einen radikalen Kulturwandel in den Industrienationen. Nur so seien die Klimaziele noch zu erreichen.

T. Denkler

sueddeutsche.de: Herr Loske, in Cancun streiten gerade die Staaten der Erde um die Klimaziele. Viele Industrieländer bangen um ihr Wirtschaftswachstum, wenn sie sich an das Zwei-Grad-Ziel ketten sollen. Schadet der Klimaschutz unserem Wohlstand?

Loske: Ein paar Fakten, die nicht oft genug gesagt werden können: Ein durchschnittlicher Nordamerikaner stößt 20 Tonnen CO2 pro Jahr aus, ein durchschnittlicher Westeuropäer zehn Tonnen. Ein Chinese dagegen nur vier, ein Inder zwischen zwei und drei Tonnen. Das ist eine gewaltige Asymmetrie, die die Industrieländer nicht zu Unrecht unter Druck bringt. Sie können in der Klimafrage nur glaubwürdig in Verhandlungen gehen, wenn sie sich auch zu Reduktionszielen bekennen.

sueddeutsche.de: Dafür müssten die Industrienationen den CO2-Ausstoß vom Wirtschaftswachstum abkoppeln. Ihre Partei, die Grünen, wollen das mit einem ökologischen Umbau der Industrie erreichen - also mit massiven Effizienzsteigerungen. Reicht das?

Loske: Auf kurzer und mittlerer Sicht würde ein sehr anspruchsvolles Programm des ökologischen Umbaus oder des "Green New Deals", wie wir das nennen, gewaltige Beschäftigungseffekte und ebenso gewaltige Wertschöpfungsaktivitäten auslösen. Die können dazu führen, dass wir bei stabilem Wachstum weniger CO2 ausstoßen. Sicher aber ist das nicht.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Loske: Ich rechne mit dem, was Ökonomen einen Rebound-Effekt nennen. Das bedeutet: Effizienzgewinne werden durch Wachstum wieder aufgefressen. Unsere Autos sind sparsamer, aber es gibt immer mehr davon. Wir haben effizientere Elektrogeräte, aber immer mehr Anwendungen. Wir benötigen immer weniger Heizenergie pro Quadratmeter, aber haben pro Kopf immer mehr Wohnfläche. Dieses Hase-und-Igel-Rennen zwischen Effizienz und Wachstum können wir auf Dauer nicht gewinnen.

sueddeutsche.de: Wie geht es dann?

Loske: Wir brauchen Effizienzsteigerung, gar keine Frage. Aber darauf darf die Debatte nicht verkürzt werden. Wir brauchen einen Kulturwandel im Umgang mit unseren Ressourcen und müssen diesen Kulturwandel politisch unterstützen.

sueddeutsche.de: Sie wollen weg vom Wachstumsfetisch der Industrienationen. Das klingt aber auch nach Verzicht und Askese. Machen die Bürger da mit?

Loske: Der Weg des Kulturwandels ist sicher nicht so einfach wie der rein technische Weg der Effizienzsteigerung. Wir leben in einem technischen Zeitalter. Aber Technik löst nicht alles. Es gibt diesen alten Witz: "Technology ist the answer. But what was the question?" Technik ist die Antwort, aber was war die Frage?

sueddeutsche.de: Also erst die Technik, dann der Verzicht?

Loske: Mir geht es nicht um Verzicht. Mir geht es um mehr Qualität - mehr Lebensqualität. Die Glücksforschung verrät uns, dass das persönliche Glücksempfinden, ab einem bestimmten, relativ niedrigem Einkommen durch Geld nicht mehr zu steigern ist. Das gilt auch für andere Lebensbereiche. Immer mehr vom Gleichen macht uns nicht zufriedener. Heute erkennen wir, dass ein immer mehr an Konsum sehr zu Lasten der Lebensqualität geht. Wenn Phänomene wie das Burn-Out-Syndrom zu einer Volkskrankheit zu werden drohen, sollte uns das zeigen, dass wir zu gesellschaftlichen Veränderungen kommen müssen.

sueddeutsche.de: Was heißt das konkret?

Loske: Statt jeden Tag Fleisch vom Discounter besser einmal in der Woche ein teures, aber hochqualitatives Steak aus regionaler Landwirtschaft. Wir können viel Geld und Stress sparen, wenn in den Städten nicht jeder ein eigenes Auto fährt. Da hilft Car-Sharing und ein besserer öffentlicher Personennahverkehr.

sueddeutsche.de: Mehr Lebensqualität will jeder. Nur jeder definiert das für sich anders. Der eine sieht darin den neuen Flachbildfernseher, der andere will im Einklang mit der Natur leben. Wie wollen Sie derart widerstreitende Interessen unter einen Hut bekommen?

Loske: Gott sei Dank leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft. Ich propagiere auch nicht den Grün-Grauen-Einheitsstil, wie manche Neoliberale uns vorwerfen. Darum geht es nicht. Aber Fakt ist: Wenn alle so leben würden wie wir, also auch die Chinesen und alle Inder, dann würde uns das geradewegs und sehr schnell in die Klimakatastrophe führen. Das würde uns sehr viel Geld und noch mehr Menschenleben kosten. Es geht nicht um ökologisch genormte Lebensstile. Sondern jeder Mensch soll sich mit seinem Lebensstil seinem Ressourcenverbrauch bewusst sein.

sueddeutsche.de: Ist das nicht zu viel verlangt? Car-Sharing gibt es in jeder größeren Stadt in Deutschland. Und jeder wird wissen, dass das Modell besser wäre. Aber dass den Vermittlungsagenturen die Bude eingerannt wird, ist nicht zu beobachten.

Loske: Vor allem jüngeren Menschen ist das eigene Auto heute gar nicht mehr so wichtig. Sie wollen mobil sein, wie auch immer. Also brauchen wir mehr Fahrradwege, einen engeren Takt im öffentlichen Nahverkehr und die Verzahnung von Car-Sharing mit dem ÖPNV. Noch besser, wir verknüpfen die soziale Innovation Car-Sharing mit der technischen Innovation der Elektromobilität. Wir unterstützen damit einen gesellschaftlichen Trend zu mehr Lebensqualität, den es doch schon gibt.

sueddeutsche.de: Mal angenommen, Sie hätten eine Gesellschaft, die sich des eigenen Ressourcenverbrauches immer bewusst wäre und entsprechend handelt. Dann gäbe es immer noch ein auf Gewinn und Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem.

Loske: Wachstum und Wohlstand sind zwei verschiedene Dinge und so verhält es sich auch mit Wachstum und Gewinn. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die Gewinne machen, aber bewusst auf Wachstum verzichten. Die Brauerei etwa, die ihren Absatzradius auf 50 Kilometer begrenzt, um die Logistik im Griff zu behalten. Oder die Softwareschmiede, die ihre Mitarbeiterzahl deckelt, um ein bestimmtes innerbetriebliches Klima zu erhalten.

sueddeutsche.de: Das ändert noch nichts daran, dass sich Politik immer am Bruttoinlandsprodukt orientiert, also den gesamtgesellschaftlich produzierten Waren und Dienstleistungen. Daraus ergibt sich die wirtschaftliche und soziale Leistungskraft eines Staates.

Loske: Wir müssen Wachstum anders definieren. Wir brauchen Instrumente, die Wachstum als Zusammenspiel von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren beschreiben. Die Menschen in einem Land sollen zufrieden sein mit ihrem Leben, glücklich im besten Fall. Nicht einfach immer reicher.

sueddeutsche.de: Und was machen sie mit globalen Playern wie Volkswagen oder Siemens?

Loske: Die Aussicht auf Wachstum ist vor allem bei den Kapitalgesellschaften ein wichtiger Treiber. Ohne Wachstum kann es passieren, dass Kapital aus dem Unternehmen herausgezogen wird und so die eigene Existenz in Gefahr gerät. Wir müssen es hinbekommen, diese Kapitalgesellschaften von diesem enormen Wachstumsdruck zu befreien.

sueddeutsche.de: Wie soll das gehen?

Loske: Da gibt es einige Modelle. Zum Beispiel die Umwandlung von Aktiengesellschaften in Stiftungen. Man kann auch mit Hilfe eines verschärften Kartellrechtes dem Größenwachstum von Unternehmen engere Grenzen setzen. Und Unternehmen müssen verpflichtet werden, systematisch Nachhaltigkeitskriterien zu implementieren. Das Ziel muss sein, dass wir nicht mehr auf Kosten der Natur und der Ärmsten unser Wachstum ausbauen.

sueddeutsche.de: Dazu bräuchten Sie eine neue Weltwirtschaftsordnung. Eine nationale Strategie ließe sich daraus kaum ableiten, weil andere Unternehmen dann die frei werdenden Plätze besetzen.

Loske: Die Haltung kann nicht mehr sein, nur wenn die anderen was machen, machen auch wir was. Der Kulturwandel, den ich propagiere, entwickelt sich aus der deutschen, aus den europäischen Gesellschaften heraus. Politik darf sich dem nicht entziehen. Das von Rot-Grün beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz haben wir auch allein gemacht und nicht gewartet, bis andere mitmachen. Das hat unsere Wettbewerbsfähigkeit sogar gestärkt.

sueddeutsche.de: Sie setzten auch auf regionales Wirtschaften. Das funktioniert aber schon in der Bio-Branche nicht mehr. Der Bio-Joghurt kommt aus dem westlichen Westfalen, die Bio-Tomaten aus Spanien. Bio-Kiwi werden aus Neuseeland eingeflogen. Ist da was schief gelaufen oder funktioniert so nun mal Marktwirtschaft?

Loske: Nein, Marktwirtschaft kann auch anders. Wir haben hier in der Region die Weser-Klasse eingeführt, ein Regionallabel für Waren aus der Umgebung. Die werden in Bio- und auch normalen Läden angeboten und speziell beworben. Es geht nicht um Verhindern, sondern um Ermöglichen. Es gibt einen ungebrochenen Trend zu biologischen und regionalen Produkten. Einen Trend zu mehr Lebensqualität, indem wir nicht auf immer mehr, sondern auf Maßhalten setzten.

Zu dem Thema ist jüngst ein Essay von Reinhard Loske in Buchform erschienen: Abschied vom Wachstumszwang, Konturen einer Politik der Mäßigung. Rangsdorf 2010, Basilisken-Presse

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