Reichtum in Deutschland:"Reichen wird oft unrecht getan"

Reichtum in Deutschland: Verschlossene Rollläden an einem Eigentumswohnungs-Komplex in der Schleißheimer Straße in München.

Verschlossene Rollläden an einem Eigentumswohnungs-Komplex in der Schleißheimer Straße in München.

(Foto: Jessy Asmus)

Reichtum ist in Deutschland ein Tabu: Menschen mit viel Geld scheuen die Öffentlichkeit, Daten gibt es kaum. Mehr weiß der Vermögensforscher Wolfgang Lauterbach.

Interview von Lea Hampel

Wolfgang Lauterbach schreibt den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit. Der Soziologe von der Universität Potsdam erforscht seit Jahren die wohlhabenden Deutschen.

SZ: Herr Lauterbach, was fasziniert uns so an Menschen mit viel Geld?

Wolfgang Lauterbach: Das Entscheidende ist, dass sie über etwas verfügen, was anderen nicht möglich ist: einen Alltag ohne Erwerbsarbeit. Wenn Sie Menschen nach ihren Wünschen fragen, haben mindestens vier von fünf mit Geld zu tun. Geld verschafft Freiheit - erst recht, wenn es eine Vermögensgröße erreicht, auf die man zugreifen kann.

Stehen dahinter die Träume, was man machen würde, wenn man selbst reich wäre?

Das ist zweischneidig: Einerseits würde man gern darüber verfügen, Vermögen sichert gegen Lebensrisiken ab. Andererseits schaut man mit Ehrfurcht auf die Villa, aber sagt: Haben möchte ich das nicht.

Warum?

Wohlstand ist in Deutschland mit einem Tabu belegt, gerade gegenüber Lebensstilen, die Prunk in den Vordergrund rücken. Materieller Besitz wird wenig als Ausdruck einer Lebensleistung angesehen.

Sind deutsche Reiche deshalb öffentlichkeitsscheu?

Viele möchten sich der Öffentlichkeit nicht aussetzen, weil das Bild der Reichen von in Misskredit geratenen Personen geprägt ist: Als Beispiel werden oft diejenigen genannt, die durch den Bankenskandal vermögend wurden. Auf materiell Erreichtes stolz zu sein, ist in derartigen Fällen geradezu verpönt. Zudem ist Einkommensungleichheit emotional stark besetzt. Wenn ein Manager das 50- oder 170-Fache an Jahreseinkommen eines normalen Mitarbeiters verdient, ist das in der öffentlichen Wahrnehmung schwer zu verstehen.

Woher kommt die Ablehnung des Reichtums?

In Deutschland bevorzugen Menschen eher ein sozialdemokratisch basiertes Lebensmodell. Dahinter steht ein lange verankertes Bewusstsein, dass der Staat für uns sorgt. Es darf zwar eine Differenzierung innerhalb der Gesellschaft geben, aber die Unterschiede dürfen nicht zu groß sein. Relative Einkommensgleichheit wird als sehr erstrebenswert betrachtet.

Gerade wird vor allem über Ungleichheit und das reichste Prozent diskutiert. Kann man in Deutschland überhaupt von "den Reichen" sprechen?

Nein, "die Reichen" gibt es nicht - es ist eine extrem heterogene Gruppe. Es gibt nach wie vor reiche Personen, die protzen, häufig medial auftreten und entsprechend klischeehaft dargestellt werden. Die können sich außergewöhnliche Hobbys leisten, weil sie vom Arbeitsmarkt losgelöst sind, und entwickeln eine gewisse Skurrilität - man kennt diese negativen Stereotype aus den Medien. Es gibt aber auch den seriösen mittelständischen Unternehmer mit 400 Mitarbeitern und Verantwortungsgefühl. Der engagiert sich im Verein, geht im Dorf Wein trinken und kümmert sich um die örtliche Schule. Die meisten Reichen sind philantropisch engagiert.

Für Ihre Forschung definieren Sie "vermögend" ab 200 000 Euro verfügbaren Kapitals. Wie viele Menschen haben überhaupt so viel?

Reichtum ist kaum erforscht, selbst der Begriff ist sehr unterschiedlich definiert - anders als Armut. Als relativ arm galt lange, wer unter 50 Prozent des mittleren Einkommens hatte, jetzt liegt die Grenze bei 60 Prozent. Zur darüber liegenden Mittelschicht zählt, wer 70 bis 200 Prozent des Medianeinkommens hat. Die Gruppe, die mehr als 200 Prozent hat, gilt als wohlhabend. Entscheidend ist: Hier geht's ums Erwerbseinkommen. Als sehr wohlhabend bezeichne ich Menschen, die das Dreifache des Medianeinkommens haben.

Was für Menschen sind das?

Bundesrichter, Manager, kleine Unternehmer, Paare, bei denen beide im mittleren und höheren Beamtenbereich tätig sind.

Das sind nicht die wirklich Reichen, oder?

Deren Vermögen ist unabhängig von ihrem Erwerbseinkommen und variiert. Das kann jemand sein, der drei Mietshäuser in München besitzt, aber nicht in Mecklenburg-Vorpommern. Die "materielle Elite" mit mehr als 30 Millionen Euro Vermögen macht nur 0,1 Prozent aus. Milliardäre gibt es im Jahr 2016 nach der Forbes-Liste in Deutschland nur etwa 120. Die bekommen die gesamte mediale Aufmerksamkeit, obwohl man ihren Anteil kaum in Stellen hinter dem Komma ausdrücken kann.

Die weit oben waren, bleiben dort

Und herrscht nun Ungleichheit?

Die Ungleichheit ist gestiegen bis etwa zum Jahre 2005. Seitdem hat sich im unteren Einkommensbereich viel getan, die relative Armut wurde durch das starke Wirtschaftswachstum eher abgebaut. Gleichzeitig steigt aber der Anteil der Reichen. Derzeit sind wir in einer Umbruchphase: Hochqualifizierte können mit überdurchschnittlichen Einkommenssteigerungen rechnen. Gleichzeitig findet am unteren Ende ein Abbau einfacher Tätigkeiten statt. Deshalb spüren wir die Spreizung so stark - und das prägt die öffentliche Wahrnehmung.

Stimmt es, dass auch die Aufstiegschancen geringer geworden sind?

Am obersten Rand hat eine Verfestigung stattgefunden, und die Mobilität nach oben ist in den vergangenen 30 Jahren geringer geworden. Die, die schon weit oben waren, bleiben tendenziell dort. Der Aufstieg von Menschen, die das Medianeinkommen haben, aber aufschließen zu denen, die 250 Prozent des Medianeinkommens haben, hat eben abgenommen. Zurückzuführen ist dies auf eine größere Heiratshomogamie und weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Wie unterscheiden sich deutsche Vermögende von denen in anderen Ländern?

Im Vergleich fällt auf, dass hier der Anteil derjenigen, die durch eine Erbschaft vermögend geworden sind, höher ist als international. Unter den 100 reichsten Deutschen auf der Forbes-Liste liegt der Erbenanteil bei mehr als 60 Prozent. Das hängt mit der hohen Zahl an Familienunternehmen zusammen.

Welche Folgen hat es, wenn nur ein Teil der Gesellschaft viel erbt?

Die Vermögenden erben häufiger als der Durchschnitt, die Erbschaften sind zudem höher. Das deutsche Erbrecht schützt derzeit in erster Linie die Familie. Wenn aber bis zu 400 000 Euro für Kinder und 500 000 Euro bei Ehegatten steuerfrei übertragen werden können, ergeben sich schnell Millionenbeträge, die in einer Familie bleiben. Als Leistungsgesellschaft können wir nichts dagegen haben, dass Menschen vermögend werden, aus Gerechtigkeitsgründen kann ein Erbe oder eine Schenkung aber als leistungslos erworbenes Vermögen aufgefasst werden. Andererseits: Fällt nicht der Anreiz weg, Vermögen aufzubauen, wenn die Menschen das Gefühl haben, nichts vererben zu können? Der Aufbau von Vermögen über die Generationen ist ein akzeptables Instrument vermögend zu werden und ein genuiner Aspekt von Familien. Und verteilt der Staat das Geld wirklich gerechter?

Was fasziniert Sie eigentlich nach all den Jahren noch persönlich am Thema?

Ich finde es spannend, weil es um Gerechtigkeitsfragen geht. Was ist legitim in einer Leistungsgesellschaft? Darf man vererben? Denn im Prinzip ist Erbe unverdientes Einkommen für die nachfolgende Generation. Andererseits ist die Möglichkeit, Vermögen aufzubauen ein Leistungsanreiz ungeahnten Ausmaßes. Auch die Frage, wer in unserer Gesellschaft eigentlich reich ist, hat mich immer fasziniert. Ich habe deshalb untersucht, ob es eine Art Unternehmer-Persönlichkeit gibt. Da kommt man automatisch zu den Mittelständlern, die typisch für Deutschland sind: Weltmarktführer mit 400 bis 800 Mitarbeitern.

Welche Gemeinsamkeiten haben die?

Entscheidend ist der Umgang mit Risiko. Unternehmer brennen meist für etwas. Sie sind oft aggressiver, extrovertierter und setzen sich durch. Und sie haben alle einen Faktor, der sie durchs Leben treibt. Sie haben in der Jugend, während Gleichaltrige die ersten Ferienjobs hatten, bereits mit Dingen gehandelt und eigene Ideen verkauft. Und fast alle waren im Spitzensport, kurz vor dem Sprung an die nationale Spitze, ob als Tennisspieler oder Skifahrer. Daher haben sie Durchhaltevermögen gelernt. Dieses Leistungsethos gepaart mit einer gewissen Rebellenhaftigkeit zieht sich durch die Untersuchungen. Am Ende steht die Erkenntnis: Reichen wird oft unrecht getan - und es bestehen häufig Vorurteile.

"Immer reicher, immer ärmer: Wie wächst Deutschland wieder zusammen?" Für diese Frage haben sich die SZ-Leser diesmal im Projekt Die Recherche entschieden. In einem Dossier, das Sie hier finden und als digitales Magazin hier und in Ihrer App zum Download, wollen wir sie konstruktiv beantworten - mit Beiträgen wie diesen:

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: