Süddeutsche Zeitung

Reichen-Studie:Millionäre in der Krise: Wer hat, dem wird gegeben

Die Zahl der Millionäre steigt, ihr Vermögen ist in der Corona-Krise stark gewachsen, zeigt eine Studie. Die Zeit des immer weiter steigenden Reichtums am oberen Ende der Skala könnte aber bald enden.

Von Jan Diesteldorf, Frankfurt

Für die Armen der Welt bahnt sich eine Katastrophe an, die Wucht der multiplen Krisen trifft sie zuerst. Zwei Jahre Corona-Pandemie, mehr als 100 Tage Angriff auf die Ukraine, wo russische Raketen Getreidesilos sprengen und Handelsschiffe die ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht verlassen können: Bis zu einer globalen Lebensmittelknappheit und Hungerkrise ist es nicht mehr weit. Wie schlimm es wird, hängt zusätzlich von den Folgen des Klimawandels ab, davon, wie trocken das Jahr wird und wie viele Naturkatastrophen noch geschehen.

Was für ein Kontrast zu den Reichsten. Die Weltlage konnte ihnen bislang wenig anhaben. Ihre Vermögen stiegen allen Krisen zum Trotz in allen Weltregionen weiter, teils deutlicher, als das Geld momentan wegen der hohen Inflation an Wert verliert. Auch die Anzahl der Menschen mit einem Millionenvermögen ist im vergangenen Jahr weiter gewachsen, und von Peking bis New York scheinen sie auch im zweiten Jahr der Corona-Krise mehr profitiert denn gelitten zu haben. Das zeigen neue Berechnungen der Beratungsgesellschaft Capgemini, die einmal im Jahr Daten zum oberen Ende der Vermögensverteilung erhebt.

Demnach ist die Zahl der Dollarmillionäre im vergangenen Jahr weltweit um 7,8 Prozent gestiegen und ihr gesamtes Vermögen um acht Prozent. 22,5 Millionen Menschen hatten mindestens eine Million Dollar an frei verfügbaren Mitteln, sie teilten sich ein Vermögen von 86 Billionen Dollar. Das entspricht in etwa dem weltweiten Bruttoinlandsprodukt, es lag laut Weltbank-Daten 2020 bei 84,7 Billionen Dollar. Es ist relativ zur Weltbevölkerung also eine verschwindend kleine Gruppe von Vermögenden, auf die sich der Reichtum der Welt verteilt.

Mehr als 1,6 Millionen Millionäre in Deutschland

Das gilt auch für Deutschland. Hierzulande haben die Berater 1,6 Millionen Dollar-Millionäre gezählt, 6,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Ihr Vermögen stieg um mehr als sieben Prozent auf fast 6,3 Billionen Dollar - was bei Weitem ausreichte, um die Inflation von 3,1 Prozent im Jahresdurchschnitt auszugleichen. Die Bundesrepublik liegt mit Blick auf die Zahl der Millionäre weltweit auf dem dritten Platz, vor dem viertplatzierten China, nur noch übertroffen von Japan und den USA. Diese Spitzengruppe habe sich seit Jahren verfestigt, sagt Capgemini-Experte Klaus-Georg Meyer: "Wir finden eine immer stärkere Konzentration in diesen Ländern."

Für ihren zum 26. Mal erscheinenden "World Wealth Report" haben die Berater Anfang 2022 mehr als 2900 Millionäre in 24 Ländern befragen lassen, Manager von Banken und Vermögensverwaltern interviewt und Sekundärquellen mit einbezogen, darunter Daten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Capgemini zählt die sogenannten "High Net Worth Individuals" (engl.: Personen mit hohem Nettovermögen) mit mehr als einer Million Dollar an investierbarem Vermögen, mit mehreren Abstufungen nach oben, bis hin zu den Superreichen ("Ultra-High Net Worth Individuals") mit einem Vermögen von 30 Millionen Dollar oder mehr. Selbstgenutzte Immobilien, Sammlerstücke, Verbrauchs- und Gebrauchsgüter lassen die Autoren der Studie unberücksichtigt.

Derlei Erhebungen gibt es etliche, verfasst von Banken, Versicherungen, anderen Beratungsfirmen oder NGOs. Sie alle haben Schwächen in der Methodik und einen Mangel an Präzision gemeinsam - schließlich gibt es keinen weltweiten Mikrozensus der Reichen, der genauen Aufschluss gäbe über deren wahre Vermögensverhältnisse, Reiche sind tendenziell wenig auskunftsfreudig und in Offshore-Gesellschaften verstecktes Geld ist kaum zu erfassen. Also arbeiten die Autoren mit Befragungen, Hochrechnungen und Näherungswerten. Die lassen dann zumindest Trends und Tendenzen erkennen - etwa, dass die besonders großen Vermögen bislang auch besonders krisensicher waren.

Vor wenigen Wochen kam die Hilfsorganisation Oxfam zu dem Ergebnis, es seien vor allem die Milliardäre der Welt, die in den Krisenjahren am meisten profitierten. Die Zahl der Milliardäre sei seit 2020 um mehr als 570 auf 2668 gewachsen, schrieb die NGO anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos. Sie teilten sich Vermögen von 12,7 Billionen Dollar. Allein während der Pandemie sei dieser Wert um 42 Prozent gewachsen und damit während der vergangenen zwei Jahre stärker als in den gesamten 23 Jahren zuvor.

Ist die Zeit der immer weiter wachsenden Vermögen jetzt vorbei?

Finanziell lief es für den reichsten Teil der Weltbevölkerung trotz der Krise also bestens, was vor allem mit den immer weiter steigenden Aktienkursen zu tun hatte. Von denen profitierten die Menschen in den USA besonders: Im größten Aktienmarkt der Welt gibt es entsprechend viele Aktionäre, die Altersvorsorge ist weitgehend kapitalmarktgestützt. Die Zahl der Dollarmillionäre in den USA stieg laut Capgemini um 13,5 Prozent.

Darunter dürften nun viele sein, die innerhalb kurzer Zeit mit Kryptowährungen, digitalen Vermögenswerten wie NFTs oder auch sogenannten Meme-Aktien reich wurden - und von denen jetzt viele in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Die Hausse an den Weltbörsen ist zum Erliegen gekommen, an den Krypto-Märkten sind die Kurse unter Druck - und unter den Reichen scheint die Risikobereitschaft abgenommen zu haben. Capgemini-Experte Meyer hat in den ersten drei Monaten 2022 bereits einen leichten Rückgang des Gesamtvermögens beobachtet. Für das laufende Jahr sei der Ausblick "deutlich verhaltener", sagt er.

Wobei die Vermögenden wohl kaum je bessere Voraussetzungen hatten, eine Rezession durchzustehen, und im Gegensatz zu Ärmeren werden sie steigende Preise für Weizen oder Treibstoff nur bedingt herausfordern.

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