Im Grunde geht es nur um eine Frage: Muss eine souveräne Republik Katalonien, wie sie ein Parteienbündnis für den Fall eines Sieges bei den Regionalwahlen an diesem Sonntag anstrebt, die EU verlassen oder nicht? Die konservative Zentralregierung in Madrid unter Mariano Rajoy malt dieses Horrorgemälde: Die wirtschaftsstarke Industrie- und Touristikregion am Mittelmeer müsste sich neu um die EU-Mitgliedschaft bewerben, die Nachbarstaaten würden Zölle für katalanische Waren erheben, die Grenze dürfte nur mit Reisepass überschritten werden.
Infolgedessen würde die katalanische Wirtschaft, die zuletzt eine Jahresbilanz von mehr als 200 Milliarden Euro aufwies und somit ein Fünftel zum gesamtspanischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beitrug, um ein Drittel einbrechen. Der frühere sozialistische Premierminister Felipe González, der Spanien in die EU und die Nato geführt hat, warnte sogar, Katalonien könne das "Albanien des 21. Jahrhunderts" werden.
EU-Veträge sehen eine Abspaltung nicht vor
Die Regionalregierung in Barcelona unter dem Liberalkonservativen Artur Mas, die die Sezession von Madrid vorantreibt, verweist indes darauf, dass die EU-Verträge den Fall der Abspaltung von einem Mitgliedsstaat überhaupt nicht vorsehen; somit könne auch von einem automatischen Ausschluss Kataloniens aus der EU nicht die Rede sein. Vielmehr müsste dann mit Brüssel über die Ausgestaltung der Mitgliedschaft als souveräner Staat verhandelt werden.
Während der frühere EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Katalanen einst noch vor einer Abspaltung gewarnt hatte, hält sich die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker sehr bedeckt. In Barcelona wird dies als Bestätigung aufgefasst, dass der Region im Fall einer Abspaltung keineswegs der Ausschluss aus der EU droht. Nach den Worten von Mas erfüllt Katalonien sämtliche Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft, es sei in die Strukturen bestens integriert, es gebe für Brüssel keinerlei Grund, etwas daran zu ändern. Die Experten des Wirtschaftsministeriums in Barcelona haben errechnet, dass die 7,5 Millionen Einwohner zählende Region als eigener Staat eine Wirtschaftsleistung in der Größenordnung der Niederlande erreichen würde; überdies wäre sie Nettozahler in das EU-Budget.
Führende Unternehmen sind sich uneinig
Die Wirtschaftselite in Katalonien ist gespalten: Die Traditionsbank Caixa, dem Umsatz nach das drittgrößte Geldhaus Spaniens und nach der Zahl der Kontenbesitzer die Nummer eins, hat gedroht, ihren Sitz nach Madrid zu verlegen. José Luis Bonet, Präsident der Spanischen Handelskammer und Chef des Sektproduzenten Freixenet, hat gemeinsam mit Juan Rosell, dem Präsidenten des spanischen Unternehmerverbandes CEOE, in einem offenen Brief den Sezessionsplan der Regionalregierung scharf kritisiert. "Wir fühlen uns als Katalanen, Spanier und Europäer", hieß es darin, jegliche Kleinstaaterei sei ein Anschlag auf den europäischen Geist. Dagegen sprechen sich vor allem die meisten Vertreter der mittelständischen Unternehmen für die staatliche Souveränität ihrer Region aus.
Das Hauptargument der Regionalregierung ist der Finanzausgleich zwischen den spanischen Regionen. Nach seinen Worten zahlt Katalonien alljährlich von seinem Steueraufkommen 15 Milliarden Euro mehr in den von Madrid verteilten Fonds ein, als es zurückbekommt. Dies sei der Hauptgrund für die hohe Verschuldung Kataloniens von derzeit rund 60 Milliarden Euro. Sollte Barcelona künftig über keinen Finanzausgleich mehr leisten müssen, könnte es sukzessive Schulden abbauen und überdies ein ausgeglichenes Budget vorlegen. Die Katalanen gelten als besonders sparsam und gut organisiert, sie selbst verweisen gern auf die Verschwendung ihrer Steuergelder in den hochverschuldeten und von gigantischen Korruptionsaffären heimgesuchten Regionen Andalusien und Valencia.
Unsicherheit schreckt internationale Investoren ab
Gespalten sind auch die internationalen Analysten: Während die Ratingagenturen Moody's und Standard & Poor's katalanische Anleihen als Ramsch einstufen, hält Fitch die Region durchaus für investitionswürdig. Allerdings sind sich die Analysten darin einig, dass internationale Konzerne wegen der Unsicherheit über die Perspektiven Kataloniens geplante Milliardeninvestitionen zurückhalten.
Das gilt aber auch für die anderen Regionen Spaniens; Unruhefaktor ist hier der Aufstieg der linksalternativen Protestpartei Podemos, deren Führung über neomarxistische Wirtschaftsmodelle debattiert. Einig sind sich Analysten auch darüber, dass ein souveränes Katalonien wirtschaftlich auf festen Beinen stünde, sollte Madrid ein Votum für die Unabhängigkeit akzeptieren und keine Probleme bei der Neuordnung der Beziehungen sowohl im Innenverhältnis wie auch zwischen Barcelona und Brüssel machen. Angesichts der Madrider Einheitsfront von links bis rechts gegen Mas ist allerdings kaum mit einer derartigen Entwicklung der Dinge zu rechnen.
Die Debatte um den möglichen EU-Ausschluss Kataloniens aus der EU ist den Umfragen zufolge nicht wirkungslos geblieben. Die Befürworter der Sezession haben zuletzt an Zustimmung verloren, liegen aber immer noch vorn. Die Position der Regierung Rajoy, die der Verteidigung der staatlichen Einheit absolute Priorität einräumt und jegliche Gespräche über einen Kompromiss ablehnt, wird zusätzlich gestärkt durch die positive Wirtschaftsentwicklung: Für 2015 wird mit einem Wachstum von drei Prozent gerechnet, ein europäischer Spitzenwert.