Regierungsberater Fuest über die Schuldenkrise:"Griechenlands Wirtschaft muss schrumpfen"

Das Euro-Referendum in Griechenland ist vom Tisch. Finanzwissenschaftler Clemens Fuest empfiehlt einer neuen "Regierung der Einheit" in Athen aber dennoch, das Volk zu befragen. Der Berater der Bundesregierung erklärt, warum er einen Kollaps der Eurozone nicht für wahrscheinlich, harte Einschnitte bei den Löhnen in Griechenland aber für unumgänglich hält.

Harald Freiberger

Er zählt zu den Wirtschaftswissenschaftlern, die das Ohr von Finanzminister Wolfgang Schäuble haben: Clemens Fuest, 43, der derzeit an der Universität von Oxford lehrt, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung; von 2007 bis 2010 war er dessen Vorsitzender. Gesetze wie die Schuldenbremse gehen auf seinen Rat zurück. Mit der SZ sprach er über das griechische Drama.

Tourists walk in front of the Parthenon temple at the archaeological site of the Acropolis hill in Athens

Parthenon-Tempel in Athen. Die griechische Bevölkerung steht vor herben einschnitten ins Sozialsystem - auch unter einer neuen Regierung.

(Foto: REUTERS)

SZ: Herr Fuest, seitdem Griechenlands Präsident Papandreou am Montag ein Referendum angekündigt hat, herrscht an den Finanzmärkten wieder Panik. Schreckensszenarien wie eine Pleite Griechenlands und ein Zusammenbruch des Euro werden immer konkreter. Sind Sie darüber schockiert?

Clemens Fuest: Nein, ich habe schon erwartet, dass es in Griechenland nicht weitergehen konnte wie bisher. Der schwere Weg, der dem Land bevorsteht, lässt sich nicht gehen mit einer Mehrheit von drei Stimmen im Parlament und einer Opposition, die sich gegen den Sparkurs ausspricht.

SZ: Jetzt macht Papandreou einen Rückzieher: Das Referendum ist abgesagt, stattdessen geht er auf die Opposition zu und will eine "Regierung der nationalen Einheit" bilden. Ist das der richtige Weg?

Fuest: Die Folgen eines Referendums wurden in meinen Augen zu sehr dramatisiert. Die Risiken bestanden vor der Ankündigung genauso. Im besten Fall könnte ein Referendum sogar eine befreiende Wirkung haben.

SZ: Wie sieht dieser beste Fall aus?

Fuest: Ein Referendum zusätzlich zu einer Regierung der nationalen Einheit hätte den Vorteil, dass man sich die Unterstützung des Volkes sichern könnte - auch wenn dies das Risiko in sich birgt, dass das Volk den Sparkurs ablehnt. Es muss der Regierung gelingen, der Bevölkerung zu erklären, dass an verschärftem Sparen kein Weg vorbeiführt.

SZ: Aber die Erfahrung des letzten Jahres zeigt, dass die Verschuldung noch stärker steigt, je mehr gespart wird, weil es die Konjunktur abwürgt. Welchen Ausweg gibt es aus diesem Teufelskreis?

Fuest: Die griechische Wirtschaft muss schrumpfen, weil sie nicht in einer vorübergehenden Krise steckt, sondern in einer strukturellen. Der Wohlstand ist nicht so groß, wie man glaubte. Am besten spart man an Stellen, wo es mögliches künftiges Wachstum nicht behindert. Das sind, so hart das für die Bevölkerung ist, staatliche Ausgaben wie Pensionen und Sozialleistungen. Die verkrusteten Wirtschaftsstrukturen müssen aufgebrochen werden, es kann nicht sein, dass sich Taxischeine und Lkw-Lizenzen über Generationen vererben. Nur mehr Wettbewerb schafft langfristig mehr Wachstum. Die Löhne müssen sinken, damit zum Beispiel der griechische Tourismus konkurrenzfähig wird. Gleichzeitig braucht die griechische Wirtschaft aber auch sinnvolle Investitionen in Bereiche wie Infrastruktur, Rechtssicherheit und die Effizienz der Verwaltung, eine Art Marshall-Plan.

"Nicht zu helfen, ist keine Lösung"

SZ: Und wann soll es dann aufwärts gehen in Griechenland?

Regierungsberater Fuest über die Schuldenkrise: Clemens Fuest

Clemens Fuest

Fuest: Das ist ein langwieriger Prozess, wie man in Deutschland bei der Agenda 2010 gesehen hat, die auch erst nach fast einem Jahrzehnt wirkte. Nach ein bis zwei Jahren tritt in der Regel eine Stabilisierung ein, aber danach folgt noch eine längere Phase der Stagnation. Erst ab dem Jahr 2020 wäre Griechenland wohl aus dem Gröbsten heraus, sodass die Wirtschaft wächst und die Neuverschuldung zumindest nicht mehr steigt.

SZ: Das war jetzt das Szenario für den besten Fall. Haben Sie auch eines für den schlechtesten?

Fuest: Man kann in der derzeit kritischen Lage nicht ausschließen, dass es zum Schlimmsten kommt: Griechenland muss eine ungeordnete Insolvenz erklären und tritt aus dem Euro aus - mit allen Ansteckungsgefahren für andere Schuldenländer wie Portugal, Italien und Spanien. Die Zinsen in den Ländern steigen, es wird noch schwieriger für sie, die Schulden zurückzuzahlen, es droht eine ähnliche Spirale nach unten wie jetzt bei Griechenland. Im schlimmsten Fall laufen die Italiener und Spanier zu ihren Banken, um alles Geld abzuheben, weil sie ebenfalls einen Austritt aus dem Euro fürchten. Dann müssten die Euro-Mitgliedsländer und die Europäische Zentralbank eine unbegrenzte Garantie für Bankguthaben in den Südstaaten aussprechen.

SZ: So wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Lehman-Krise im Jahr 2008 - nur dass sie heute nicht mehr so viel Geld zur Verfügung hat.

Fuest: Ob die Staaten in diesem Fall mehr Geld oder Garantien für die Rettung des Euro bereitstellen wollen oder können, ist keineswegs sicher. Falls nicht, könnte die Folge sein, dass weitere Länder zum Austritt aus dem Euro gezwungen sind. Dies hätte gravierende negative Folgen für den gesamten Euro-Raum. Das wäre für mich der schlimmste Fall.

SZ: Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür?

Fuest: Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, aber die Gefahr ist auf jeden Fall da. Sie wird umso geringer, je mehr Länder wie Portugal, Italien und Spanien klarmachen können, dass die Situation bei ihnen eine andere ist als in Griechenland. Dass sie den Reformweg gehen wollen und den Anstieg ihrer Auslandsverschuldung aufhalten. Italien und Spanien haben auch große Sorgen, aber die industrielle Substanz ist viel besser als in Griechenland. Deshalb besteht die Aussicht, dass sie es schaffen. Irland hat das schon fast geschafft. Solange die Staaten aber laufende Defizite aufrechterhalten, werden auch immer größere Rettungspakete verpuffen.

SZ: Aber nicht zu helfen, scheint auch keine Lösung.

Fuest: Das ist das Dilemma des Helfens: Nicht zu helfen, ist keine Lösung, zu viel zu helfen auch nicht. Es führt dazu, dass in den Ländern des Südens die Bereitschaft sinkt, dringend nötige Reformen durchzusetzen. Die Politik wird nach längere Zeit einen steinigen Mittelweg gehen müssen.

SZ: Wird die Politik in einem halben Jahr auch noch so herumschwimmen wie zurzeit?

Fuest: Ja, aus dem Dilemma kommt man so schnell nicht heraus. Es sind schwierige Entscheidungen zu treffen, um die Euro-Zone zu retten. Aber die Ankündigung des Referendums hatte zumindest ein Gutes: Sie beschleunigte diese Entscheidungen. Ohne die Ankündigung wären sie nur vertagt worden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: