Reform:Rentenpräsident warnt vor steigender Altersarmut

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"Es gibt eine erhebliche Umverteilung": Der neue Rentenpräsident kritisiert in seinem ersten Interview das Rentenpaket der Bundesregierung und warnt vor Altersarmut. Bei den Auszahlungen rechnet er mit Verzögerungen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Deutsche Rentenversicherung rechnet damit, dass es auch bei der Auszahlung der Rente ab 63 teilweise zu Verzögerungen kommen wird. "Bei der Umsetzung gehen wir im Moment davon aus, dass etwa zwei Drittel der Antragsteller die nötigen 45 Beitragsjahre ohne Zeiten der Arbeitslosigkeit nachweisen können. In diesen Fällen dürfte alles reibungslos klappen und die Zahlung im Juli auf den Weg gebracht werden. Beim restlichen Drittel kann es länger dauern, weil uns bestimmte Informationen nicht vorliegen und hier teils aufwendige Recherchen nötig sind", sagte der neue Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann, der Süddeutschen Zeitung.

Reimann wies darauf hin, dass die Rentenversicherung in einzelnen Fällen nachforschen müsse, um welche Zeiten der Arbeitslosigkeit es sich handelt. Da aber die nötigen Daten für eine solche Prüfung nicht vorlägen, sei die Behörde auf die Mithilfe der Versicherten oder auch der Krankenkassen angewiesen. "All das kann eine Zeit dauern. Die Renten werden dann rückwirkend ausgezahlt", sagte Reimann .Nach seinen Angaben sind bei seiner Behörde bereits 6000 Anträge für die Rente ab 63 eingegangen.

Scharfe Kritik an der Finanzierung der Mütterrente

Die Bundesregierung erwartet, dass im Jahr der Einführung 200.000 Pflichtversicherte die Rente ab 63 beanspruchen werden. 40.000 freiwillig Versicherte könnten dazu kommen. "Wir können uns aber auch durchaus vorstellen, dass das Angebot noch mehr Versicherte nutzen werden", sagte der Rentenpräsident, ohne genaue Zahlen zu nennen.

Der Kompromiss, Zeiten der Arbeitslosigkeit im Regelfall in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand nicht zu berücksichtigen, werde dazu beitragen, eine zusätzliche Welle von Frühverrentungen mit 61 oder 62 Jahren zu verhindern. Die Neuregelung insgesamt hält er für problematisch, insbesondere weil sie durch Rentenbeiträge und nicht durch Steuermittel finanziert wird.

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Auch bei der Mütterrente wird es nachträgliche Auszahlungen geben. "Bei den 9,5 Millionen Müttern, die bereits eine Rente erhalten, brauchen wir wegen der hohen Zahl der Betroffenen Zeit, um die Reform umzusetzen. Das wird auch deshalb länger dauern, weil bei einer gewissen Zahl von Fällen neu zu ermitteln ist, wie der Zuschlag zum Beispiel auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen ist", sagte Reimann. Der Großteil der Fälle werde voraussichtlich im dritten Quartal abgeschlossen sein. Für den Rest werde das vierte Quartal benötigt. Die Rentenversicherung wolle "aber alles daran setzen, bis Ende des Jahres fertig zu sein".

Reimann kritisierte die Finanzierung der Mütterrente scharf: "Es gibt nicht nur eine erhebliche Umverteilung von den Jüngeren zu den Älteren, sondern auch innerhalb einer Generation." Vielen sei nicht klar, dass die Verbesserungen bei der Mütterrente sowie auch die neue Rente ab 63 nicht nur die Beitragszahler belastet, sondern auch die Rentner selbst. Rentner würden dadurch bis zum Jahr 2030 eine um 1,6 Prozent niedrigere Standardrente haben als ohne Reform. "In heutigen Werten gerechnet sind das für den Standardrentner etwa 20 Euro pro Monat. Gleichzeitig steigen die Beiträge schneller als bislang kalkuliert", sagte Reimann.

Der Rentenpräsident warnte vor einer steigenden Altersarmut in Deutschland. Die Millionen Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich könnten mit ihren Beiträgen notgedrungen nur geringe Rentenansprüche erwerben und seien bei dauerhaft niedrigem Einkommen in Zukunft von Altersarmut bedroht, warnte er.

"Der Mindestlohn kann hier zum Teil Verbesserungen bringen. Allerdings wird auch ein Arbeitnehmer, dessen Verdienst sich auf Dauer auf dem Niveau des Mindestlohns bewegt, über die Grundsicherung kaum hinauskommen", sagte Reimann. Auch viele Solo-Selbständige, die ein geringes Einkommen haben, würden nicht oder nicht ausreichend fürs Alter vorsorgen. Deshalb spreche viel für eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige, die nicht anderweitig abgesichert sind.

Mit Skepsis sieht Reimann die noch in dieser Legislaturperiode geplante solidarische Lebensleistungsrente für langjährig Versicherte in Höhe von 850 Euro. "Den Aufschlag soll es ja nur für diejenigen geben, die es wirklich brauchen, also nicht für Versicherte, die zusätzlich am Einkommen des Ehepartners oder auch des Lebensgefährten in einer eheähnlichen Gemeinschaft partizipieren."

Die Rentenversicherung wolle aber nicht untersuchen, wie und ob Menschen zusammenleben. "Wenn wir ermitteln müssten, ob in einem Haushalt zwei Zahnbürsten sind, würde dies die Akzeptanz der Deutschen Rentenversicherung vermutlich nicht verbessern", sagte der Präsident. Hinzu käme, dass in vielen Fällen doch der Weg zum Sozialamt nötig sei, weil in zahlreichen Städten die Grundsicherung über den angedachten 850 Euro liege.

Reimann warnte deshalb davor, "Rentenversicherung und Grundsicherung zu vermischen und bürokratische Doppelstrukturen zu schaffen". Gleichzeitig machte er sich dafür stark, die nach 25 Jahren Einheit immer noch unterschiedlichen Renten in West- und Ostdeutschland weiter zusammenzufassen: "Es ist wirklich an der Zeit, das Problem anzugehen."

Das vollständige Interview lesen Sie in der Pfingstausgabe der Süddeutschen Zeitung oder auf dem iPad.

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