Süddeutsche Zeitung

Reform gestoppt:Was ein Hartz-IV-Empfänger täglich braucht

Zoff um Hartz IV: Wie hoch soll die Hilfe künftig sein? Koalition und Opposition feilschen im Vermittlungsausschuss. Worum es dabei geht, wo die Streitpunkte liegen - ein Überblick.

Thomas Öchsner

Nach dem Nein des Bundesrats ist es endgültig: Die Hartz-IV-Reform kann Anfang des Jahres nicht in Kraft treten. Regierung und Opposition müssen nun im Vermittlungsausschuss verhandeln, nachdem sie wochenlang nur übereinander statt miteinander geredet haben. Worum es dabei geht, wo die Streitpunkte liegen - ein Überblick.

Die Regelsätze: Bislang erhielt ein alleinstehender Langzeitarbeitsloser 359 Euro im Monat. Die Regierung will nach ihrer Neuberechnung der Sätze den Regelsatz auf 364 Euro erhöhen. SPD, Grüne und Linkspartei kritisieren jedoch die Berechnungsmethode. Beispiel: Die Regierung hat anhand der Einkommens- und Verbrauchsstatistik ermittelt, wofür eine bestimmte Referenzgruppe von Geringverdiener-Haushalten ihr Geld ausgibt. Daraus ergeben sich verschiedene Ausgabepositionen, sie sind die Grundlage für die Ermittlung der Hartz-IV-Sätze. So werden für Tabak und Alkohol insgesamt 18,30 Euro monatlich veranschlagt.

Da es sich aber um Genussmittel handelt, die nicht zum Existenzminimum gehören, hat die Regierung diesen Betrag gestrichen. Bei der Ermittlung der 18,30 Euro wurden aber sowohl diejenigen Haushalte mitgezählt, die Alkohol und Tabak konsumieren, also auch jene, die dies nicht tun. Die SPD hält dies für methodisch nicht korrekt und verlangt: Um den korrekten Bedarf zu ermitteln, müsste die Regierung in der Referenzgruppe erst diejenigen ausschließen, die Geld für Zigaretten, Bier oder andere derartige Genussmittel ausgeben. Dies ist aber nur einer von vielen Kritikpunkten. Auch beim Kinderregelsatz wollen die Sozialdemokraten nachrechnen, weil sie die Datenbasis für zu klein halten. Das Problem dabei: Eine komplette Neuberechnung der Sätze ist äußerst kompliziert und könnte sich länger hinziehen, als dies eigentlich irgendeiner will.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will 2,3 Millionen Kinder in Haushalten von Hartz-IV-Familien und von Beziehern des sogenannten Kinderzuschlags helfen. Für sie steht zusätzliches Geld für ein Mittagessen an Schulen, für Vereinsbeiträge, Unterricht an Musikschulen und Nachhilfe zur Verfügung. Die SPD fordert, den Kreis um die 140.000 Kinder von Wohngeldempfängern zu erweitern. Das könnte etwa 50 Millionen Euro zusätzlich kosten. Hier erscheint eine Einigung leicht möglich.

Das Bildungspaket: Die Opposition kritisiert allerdings auch die Details des Bildungspakets: Für die SPD ist das Ganze ein "Bildungspäckchen". Die Partei will mehr Ganztagsschulen. Außerdem fordert die SPD für jede Schule einen Schulsozialarbeiter. Die Kosten in Höhe von zwei Milliarden Euro soll überwiegend der Bund tragen. Dabei gibt es jedoch rechtliche Probleme. Was in den Schulen passiert, ist Ländersache, der Bund soll sich hier zurückhalten. So steht es seit der Förderalismusreform im Jahr 2006 im Grundgesetz. Hinzu kommt: Schon aus finanziellen Gründen dürften die Sozialdemokraten hier große Schwierigkeiten haben, sich mit ihren weitgehenden Forderung durchzusetzen.

Die Opposition hält es für widersinnig, das Bildungs- und Teilhabepaket über die Jobcenter abzuwickeln. Als Zusatzkosten für die Verwaltung sind zunächst 135 Millionen Euro vorgesehen für 1300 zusätzliche Mitarbeiter bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Bildungsleistungen selbst haben ein Volumen von 740 Millionen Euro. Die SPD hält dies für "unverhältnismäßig". Von der Leyen erwidert, dass 1300 Stellen bei mehr als 100.000 Arbeitskräften in der BA gerade einmal ein Prozent wären. Die SPD fordert, das Bildungspaket bei den Kommunen zu organisieren, die ohnehin für die Jugendhilfe zuständig sind. Das Geld dafür soll vom Bund kommen. Allerdings sieht das Gesetz diese Möglichkeit jetzt schon vor, nicht verpflichtend, aber auf Wunsch der Kommunen. Es dürfte also darum gehen, die Kooperation zwischen der BA, die für die Zahlung der Leistungen zuständig ist, und den Kommunen möglichst unkompliziert und bürokratiearm zu gestalten.

Der Mindestlohn: Die SPD pocht auf einen flächendeckenden Mindestlohn. Union und FDP lehnen dies ab und warnen davor, die Verhandlungen mit Themen zu überfrachten, die mit der Hartz-IV-Reform direkt nichts zu tun haben. Die SPD argumentiert, bei einem Mindestlohn müsste der Staat die Gehälter von weniger Geringverdienern mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Dadurch wären Milliarden für ein BildungsInfrastrukturprogramm frei. Hier scheint eine Einigung ausgeschlossen zu sein. Ein Ausweg könnte sein, dass die Regierung sich grundsätzlich bereit erklärt, zumindest für Leiharbeiter einen weiteren Mindestlohn einzuführen.

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Quelle:
SZ vom 18./19.12.2010/mel
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