Reform der Arbeitsvermittlung:Wo das deutsche Jobwunder herkommt

Noch vor wenigen Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Heute staunen die Nachbarländer über die geringe Arbeitslosigkeit hierzulande. Wie kommt's? Das deutsche Jobwunder hat Kehrseiten.

Thomas Öchsner

Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik werden die Zukunft Europas entscheiden. Was treibt Spaniens protestierende Jugend an? Wie können Bildungssysteme voneinander lernen? Was wird aus dem Bologna-Prozess? Die Süddeutsche Zeitung widmet diesen Fragen ein Dossier, das in Zusammenarbeit mit El País, The Guardian, Gazeta Wyborcza, La Stampa und Le Monde entstanden ist. Das Dossier finden Sie auf dieser Seite.

Jobangebote in Europa

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Im Pleitestaat Griechenland werden mehr und mehr Menschen erwerbslos. In Spanien und Frankreich suchen junge Leute verzweifelt einen Job. Selbst in den Niederlanden, einst ein europäischer Musterstaat, nimmt die Arbeitslosigkeit zu. Nur in Deutschland trotzt das German Miracle den Krisenzeiten. Voller Bewunderung staunt die Welt über das sogenannte deutsche Jobwunder.

In Europas Wirtschaftsmacht Nummer eins lag die Zahl der Arbeitslosen im April 2012 bei knapp unter drei Millionen. Die Arbeitslosenquote betrug 7,0 Prozent, in der Eurozone sind es 10,8 Prozent. Mehr als 41 Millionen Menschen sind erwerbstätig - so viele wie noch nie in der wiedervereinigten Bundesrepublik.

Ein Wunder? Mitnichten. Deutschland hat wie einige andere Länder zuvor die Arbeitsvermittlung reformiert, aber das ist nur ein Teil der Erfolgsgeschichte. Es ist gerade einmal zehn Jahre her, da gab es in Deutschland noch Arbeitsämter. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die Bundesanstalt für Arbeit als seine "größte Baustelle". Deutschland galt als "kranker Mann Europas".

Schröder setzte mit den Hartz-Reformen den radikalen Umbau durch. Die ehemalige Bundesanstalt entwickelte sich zur vielleicht modernsten Behörde Deutschlands, effizient organisiert wie ein Unternehmen. Die Arbeitsämter wurden zu Agenturen, in dem die Vorgesetzten alles daran messen, wie schnell es gelingt, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Die Regierung legte 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen. Wer keine Ansprüche mehr aus der Arbeitslosenversicherung hat und langzeitarbeitslos ist, bekommt nur noch Hartz IV, also 374 Euro für einen Alleinstehenden plus Mietkosten. Das hat die Bereitschaft gesteigert, auch schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. "Die Bewerber sind zu mehr Kompromissen hinsichtlich Lohn und Arbeitsbedingungen bereit", sagt der Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller.

Neu sind seit 2005 auch die Jobcenter, die sich um die Langzeitarbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger kümmern. Wer hier erstmals auftaucht, wird genau durchleuchtet. Profiling heißt das im Fachjargon, wie bei der Kriminalpolizei. Möglichst alles soll auf den Tisch, die Vorgeschichte der Arbeitslosigkeit, die Ausbildung, Krankheiten, Suchtprobleme, bis ein Profil entsteht. Um die besonders schweren Fälle, diejenigen mit mehreren Vermittlungshemmnissen, kümmern sich die Fallmanager.

Das Jobwunder hat auch eine Kehrseite

Die Jobsuchenden gelten in den Jobcentern als Kunden. Sie kommen zu einem bestimmten Termin, Warteschlangen soll es nicht mehr geben. Das Prinzip dahinter heißt "Fördern und Fordern". Jeder soll sich um Arbeit bemühen oder zumindest an sich arbeiten, sich weiterqualifizieren, um die Chancen auf einen Job zu verbessern. Und die Vermittler und Fallmanager helfen dabei. Diese Reformen blieben nicht ohne Erfolg: Seit Beginn der Hartz-Reformen ist die Arbeitslosigkeit um etwa zwei Millionen zurückgegangen. Mehr als eine halbe Million Langzeitarbeitsloser hat einen Job gefunden.

Das deutsche Jobwunder hat aber eine Kehrseite: Viele der neuen Stellen sind unsicher oder schlecht bezahlt. Die Leiharbeit hat sich seit 1994 verfünffacht. Der Niedriglohnsektor ist rasant gewachsen. Mehr als vier Millionen Menschen verdienen weniger als sieben Euro brutto die Stunde. Andererseits haben gering Qualifizierte jetzt deutlich bessere Chancen, eine Stelle zu ergattern als noch vor sieben Jahren, wenn auch die Jobs oft nicht von langer Dauer sind und der Aufstieg in eine stabilere und besser entlohnte Tätigkeit nur schwer gelingt.

Das "Fördern und Fordern" gibt es so oder so auch in anderen Ländern. In Dänemark sind es die "Rechte und Pflichten", in den Niederlanden "Leistung und Gegenleistung". Viele Länder haben sich an Arbeitsmarktreformen versucht. Der Erfolg hängt jedoch nicht nur davon ab, wie Arbeitsagenturen und Vermittler arbeiten. Entscheidend ist, wie alle Kräfte zusammenspielen: Das hat in Deutschland zuletzt besonders gut funktioniert.

Zu den Arbeitsmarktreformen "kommt eine beschäftigungsfreundliche Lohnpolitik, die insbesondere in Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs die Arbeitsnachfrage beflügelt und im Abschwung den Kostendruck gebremst hat", heißt es beim Forschungsinstitut IAB. Außerdem hätten Unternehmen und Regierung durch ein erfolgreiches Krisenmanagement qualifiziertes und gut eingearbeitetes Personal "in einem noch bisher nicht gekannten Maße gehalten".

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