Referendum über Unabhängigkeit:Schotten haben ein gewaltiges Haushaltsdefizit

Nicola Sturgeon Announces Plans To Hold A Second Scottish Independence Referendum

In Glasgow feiern Unabhängigkeits-Freunde, nachdem Regierungschefin Nicola Sturgeon ein neues Referendum angekündigt hat.

(Foto: Jeff Mitchell/Getty)
  • 2014 stimmten die Schotten für einen Verbleib in Großbritannien. Doch der Brexit macht aus Sicht der Schotten eine neue Abstimmung nötig.
  • An diesem Dienstag soll das Parlament in Schottland den Weg dafür frei machen.
  • Unklar ist, ob die Einnahmen aus dem Ölgeschäft reichen, um das enorme Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen.

Von Björn Finke, London

Alex Salmond gibt sich selbstbewusst: "Als eigenständiger Staat wäre Schottland beim Einkommen pro Kopf das fünfzehntreichste Land der Welt", sagt der frühere Chef der Regionalregierung in Edinburgh und der Partei der schottischen Nationalisten (SNP). "Zu argumentieren, Schottland könne sich Unabhängigkeit nicht erlauben, ist lächerlich."

Dass der prominente Parlamentarier überhaupt wieder Fragen zur Unabhängigkeit gestellt bekommt, liegt an seiner Nachfolgerin an der Spitze von Regierung und SNP, Nicola Sturgeon. Die will bis 2019 ein neues Referendum über eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich abhalten. Am heutigen Dienstag soll das schottische Regionalparlament diesem Vorschlag zustimmen; eine Mehrheit dafür gilt als sicher.

Bereits 2014 stimmten die Schotten über dieses Thema ab, und 55 Prozent waren für den Verbleib in Großbritannien. Sturgeon argumentiert aber, der harte Brexit-Kurs von Premierministerin Theresa May mache eine Wiederholung nötig. Die große Mehrheit der Schotten stimmte im vergangenen Juni gegen den EU-Austritt.

Größer als Irland

Das Referendum über die Unabhängigkeit soll den Bürgern im Norden die Wahl geben, mit den Briten die EU zu verlassen oder sich lieber abzuspalten. May will eine solche Volksabstimmung allerdings erst nach Vollzug des Brexit erlauben - darüber werden die zwei mächtigen Frauen im Königreich noch lange streiten.

Salmond, Sturgeon und die anderen Unabhängigkeits-Freunde haben recht, wenn sie erklären, dass Schottland als eigenständiger Staat bestehen könnte. Mit 5,3 Millionen Einwohnern ist der Staat größer als Irland, er beheimatet Flughäfen und Häfen, Edinburgh ist ein Finanzzentrum, und die Wirtschaftsleistung ist höher als in vielen anderen europäischen Ländern. Eine ganz andere Frage ist jedoch, ob es den Schotten nach der Unabhängigkeit besser ginge.

Die SNP bezeichnet Mays harten Brexit-Kurs als Gefahr für die Wirtschaft. Stimmten die Bürger für die Unabhängigkeit, würde Schottland trotzdem mit dem Rest Großbritanniens aus der EU austreten.

Allerdings hoffen die Nationalisten, dass Schottland ohne Unterbrechung im gemeinsamen Binnenmarkt der EU bleiben kann. Als Beispiel dient Norwegen, ein Land, das nicht in der EU, aber im Binnenmarkt ist. Darum können Firmen dort problemlos Geschäfte mit dem Rest des Kontinents tätigen. Auf lange Sicht will die SNP dann wieder die volle EU-Mitgliedschaft erreichen.

Wie Norwegen müsste Schottland als Teilnehmer am Binnenmarkt Einwanderer aus der EU und Vorgaben aus Brüssel akzeptieren. Großbritannien hingegen soll nach dem Willen Mays den Binnenmarkt verlassen, damit das Königreich Einwanderung begrenzen kann. Das könnte Grenzkontrollen zwischen England und Schottland nötig machen; zudem könnten Produktstandards voneinander abweichen. Im schlimmsten Fall würden sogar Zölle eingeführt. Die Aussicht auf Kontrollen dürfte für schottische Wähler abschreckend wirken. Salmond sagt aber, May habe versprochen, dass es zwischen Nordirland und Irland keine sichtbare Grenze geben werde. Dann müsse doch Gleiches auch für Schottland möglich sein.

Schottische Firmen wären hart getroffen, würde der Handel mit England und Wales schwieriger. Zweidrittel der schottischen Exporte gehen in den Rest des noch Vereinigten Königreichs, nur ein Sechstel landet in anderen EU-Staaten.

Ein unabhängiges Schottland müsste kräftig sparen

Eine Wirtschaftskrise könnte sich der neue Staat kaum erlauben. In Schottland leben mehr Rentner als im Durchschnitt des Königreichs, die Sozialleistungen sind üppiger, das Studium ist kostenlos. Zudem sind viele Gegenden nur dünn besiedelt. All das ist teuer. Daher beträgt das schottische Haushaltsdefizit 9,5 Prozent der Wirtschaftsleistung - griechische Verhältnisse in den Highlands. Bisher ist das kein Problem, denn die Zentralregierung in London überweist Geld. Doch ein unabhängiges Schottland müsste kräftig sparen.

Vor dem Unabhängigkeitsreferendum 2014 warb die SNP damit, dass die Einnahmen aus dem Öl und Gas der Nordsee die Wohltaten finanzieren könnten. 91 Prozent der britischen Reserven sollen auf Schottland entfallen, behaupten die Nationalisten. Allerdings hat sich der Ölpreis seitdem halbiert, und viele ältere Quellen werfen so wenig ab, dass sie teuer versiegelt werden müssen. Die Ausgaben fürs Stilllegen können sich die Konzerne teilweise vom Fiskus erstatten lassen. Der niedrige Ölpreis führte schon 2015 zu einer traurigen Premiere: Erstmals nahm der britische Staat kein Geld mit den Sondersteuern für die Öl- und Gasförderung ein, sondern musste im Gegenteil den Firmen in Summe 24 Millionen Pfund überweisen - für deren Kosten beim Abwracken.

Schottland mag also als unabhängiger Staat überleben können, aber wirtschaftlich profitieren würden die Schotten wohl nicht von diesem Schritt.

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