Reden wir über Geld:"Mit fünf Promille im Blut kann ich mir keine Schuldfrage mehr stellen"

Reportage - Obdachlose und die Wahl

Dieter Puhl hat schon Bedürftige erlebt, "die tagelang in ihrer verkoteten Kleidung gelegen haben und erst einmal aus ihren Kleidern herausgeschnitten werden müssen".

(Foto: picture alliance / dpa)

Dieter Puhl, der Leiter der Berliner Bahnhofsmission, über hartnäckige Vorurteile gegenüber Obdachlosen und warum man lieber Geld spenden sollte als ein Wurstbrötchen.

Von Thomas Öchsner und Steffen Uhlmann , Berlin

Wenn Dieter Puhl Geschichten über seine "Schutzbefohlenen" erzählt, kann er ziemlich schonungslos sein. Der Diakon redet dann zum Beispiel von Alkoholkranken, die ihren Stoff brauchen. Von Menschen, "die tagelang in ihrer verkoteten Kleidung gelegen haben und erst einmal aus ihren Kleidern herausgeschnitten werden müssen". Und von der Mehrheit der Bürger, die "lieber etwas für krebserkrankte blonde Mädchen oder Flutopfer in Haiti" spendeten, als Obdachlosen etwas zu geben.

Puhl leitet seit 2009 die Evangelische Bahnhofsmission in Berlin am Zoo. Dort bekommen täglich Hunderte Wohnungslose ein Wurstbrötchen oder einen Kaffee oder etwas Zuwendung. Sie können duschen oder einfach mit einem der vielen ehrenamtlichen Helfer reden.

Laut Puhl halten sich zwei Vorurteile über bettelnde Obdachlose besonders hartnäckig. Einerseits, dass die Leute doch selber schuld an ihrem Schicksal seien. "Nur: Wenn ich paranoid und schizophren bin und noch fünf Promille im Blut habe, dann kann ich mir keine Schuldfrage mehr stellen", sagt der Sozialarbeiter im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Das zweite Vorurteil besage, "dass in Deutschland keiner obdachlos sein muss", was impliziere, dieser Mensch müsse nur zum Amt gehen, dann werde ihm schon geholfen. So einfach gehe das aber oft nicht.

"Es gibt unzählige Menschen, die weder Ausweis noch eine Geburtsurkunde haben. Wenn die dann zum Amt gehen und sagen: Ich bin Herr Meier und brauche Hilfe. Dann sagen die dort: Besorgen Sie sich erst einmal einen Ausweis! Nur kriegen die meisten der Bedürftigen es nicht mehr gebacken, sich neue Papiere zu beschaffen. Sie brauchen dafür einfach kompetente Unterstützung", sagt Puhl.

Warum Sozialarbeit früher einfacher war, warum auch 4,20 Euro die Not lindern können und warum Spender bettelnde Trinker nicht bevormunden sollten, erzählt er im "Reden wir über Geld"-Interview.

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