Reden wir über Geld:Franz Kafka, der ideale Arbeitnehmer

Rotating head of writer Franz Kafka in central Prague

Ein Denkmal für Franz Kafka in Gestalt eines rotierenden Kopfes in Prag.

(Foto: dpa)

Der Literaturwissenschaftlicher Reiner Stach räumt mit vielen Vorurteilen über den Schriftsteller auf: "Er war charmant, hat sich nie in den Vordergrund gespielt."

Von Harald Freiberger und Verena Mayer

Wenn man sich mit dem Literaturwissenschaftler Reiner Stach unterhält, weiß man oft nicht, von wem er gerade spricht: von sich oder von dem Mann, dem er seinen Erfolg verdankt: Franz Kafka. Das sei aber auch nicht immer zu trennen, sagt der Literaturwissenschaftler, der mit seiner dreibändigen Biographie über den 1924 verstorbenen Schriftsteller einen internationalen Erfolg gelandet hat.

"Man kann sich nicht Jahrzehnte lang mit jemandem beschäftigen, mit dem man nicht ein bisschen Ähnlichkeit hat. Wenn ich im Großbürgertum aufgewachsen wäre, hätte ich vielleicht gar nicht wahrgenommen, wie viele Entscheidungen in Kafkas Leben vom Geld getrieben waren."

Und das waren einige. Mehrmals im Leben hat Kafka Geld verloren, das er eigentlich gespart hatte, um sich seinen Traum zu erfüllen: freier Schriftsteller zu sein. Stattdessen musste er als Beamter einer österreichischen Versicherung Akten wegarbeiten, der Frust über die monotone Arbeit floss in Kafkas Werke ein. Dabei sei Franz Kafka der ideale Arbeitnehmer gewesen, sagt sein 67-jähriger Biograph, "unglaublich zuverlässig und geschickt".

Er sei in seiner Arbeit genauso perfektionistisch gewesen wie in seinen Werken, habe freiwillig Fortbildungen gemacht. Zudem sei er sowohl im Büro als auch unter Freunden außerordentlich beliebt gewesen, "er war charmant, hat sich nie in den Vordergrund gespielt".

"Es gab bei Männern und Frauen viel Einsamkeit"

Überhaupt räumt Reiner Stach mit vielen Vorurteilen auf. Dass Kafka etwa vollkommen neurotisch gewesen sei, nicht mit Frauen umgehen konnte. "Es gab bei Männern und Frauen viel Einsamkeit, das relativiert einiges, was über Kafka gesagt wird".

Generell fallen Stach nach den 18 Jahren, in denen er über den Schriftsteller forschte, die Parallelen zwischen der Zeit um 1900 und der Gegenwart auf. Was den Umgang mit Kapital betrifft zum Beispiel: Nach dem Ersten Weltkrieg habe es eine Art rechtsfreien Raum gegeben, auf dem Schwarzmarkt, im Drogen- oder Devisenhandel konnte man große Profite machen, sagt Stach. Als Kafka in Berlin lebte, "gab es Cliquen junger Leute, die schwammen im Geld, so wie heute manche Start-up-Unternehmer. Gleichzeitig verloren alte Leute, die ihr Leben lang gespart hatten, ihr Vermögen durch die Hyperinflation. Das hat alle Werte auf den Kopf gestellt. Es herrschte das Gefühl: Alles ist erlaubt, Hauptsache, die Kohle stimmt, wie im Kasino. Und genau diese Kasinomentalität ist heute wieder vorherrschend."

Das mache ihm Angst, sagt Stach, der als Kind ostdeutscher Eltern im Schwäbischen zu großer Sparsamkeit erzogen wurde. "Die nächste Blase kommt. Wir sind ja erst eine halbe Generation weiter seit der letzten Finanzkrise, aber gelernt wurde offenbar nichts. Die Mentalität ist: Solange es möglich ist, nehmen wir mit, was geht."

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