Reden wir über Geld:"Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg"

Regisseur Andreas Dresen über Existenzangst, Leben im Zoo - und warum Kunst in der Diktatur blühen kann.

Interview von Thomas Öchsner und Steffen Uhlmann

Ein kleines Café in Potsdam, ganz in der Nähe von Schloss Sanssouci. Drinnen ein Klavier, Büsten von Franz Schubert, Kupferstiche der Residenzstadt. Es gibt warmen Blaubeerkuchen. Andreas Dresen, 51, trinkt nur Tee. "Mit vollem Mund kann man schlecht reden", sagt der vieldekorierte Regisseur ("Sommer vorm Balkon", "Wolke 9", "Herr Wichmann von der CDU").

SZ: Herr Dresen, reden wir über Geld. Wie sieht es auf Ihrem Bankkonto aus?

Dresen: Ehrlich, nicht mal so schlecht gerade. Ich bin nicht pleite und habe sogar ein kleines Polster drauf. Da gab es schon ganz andere, viel schwierigere Zeiten.

Wann denn?

Zum Beispiel 1999, als ich "Nachtgestalten" gedreht hatte und damit zum ersten Mal im Wettbewerb der Berlinale war.

Was war damals los?

Ich schlich geradezu mit Peter Rommel, meinem Freund und Produzenten, über den roten Teppich. Wir hatten gerade unsere Frauen verloren und unser ganzes Geld. Unsere gesamte Existenz steckte in diesem Film, den keiner haben wollte.

Wir dachten, wer es auf den roten Teppich schafft, gehört zu den Erfolgreichen.

Ja, der schöne Schein. Sie glauben nicht, wie viele Leute mit geborgten Anzügen oder Kleidern über diesen roten Läufer latschen und schlichtweg pleite sind. Mal ganz oben, mal ganz unten, davor sind die wenigsten in unserer Branche gefeit.

Und wie ist es ausgegangen?

Besser als gedacht. Peter und ich hatten Jahre an dem Film gearbeitet und unsere Gagen größtenteils zurückgestellt.

Rückstellung, das klingt gar nicht gut.

Allerdings, das kennen aber alle in der Branche. Man arbeitet für wenig oder gar kein Geld und hofft, es dann später aus den Erlösen zu bekommen. Schlecht natürlich, wenn dann kein Verleiher den Film für verwertbar hält. Und bei "Nachgestalten" war das zunächst so. Dann wendete sich das Blatt quasi über Nacht für uns.

Inwiefern?

Der Film wurde auf der Berlinale ein großer Erfolg. Am Morgen nach der Aufführung saß Peter Rommel in der Lobby des Hotels Interconti, und die Verleiher standen nun Schlange bei ihm. Er hat den Film damals, glaube ich, für eine halbe Million Mark verkauft. Das war unglaublich viel Geld. Wir hatten die schlimmsten Budgetüberziehungen und unsere Gagen wieder rein. Aber dieses gute Gefühl ist spätestens bei der Geldbeschaffung für den nächsten Film vorbei.

Fällt es Ihnen schwer, Klinken zu putzen?

Nein, das gehört dazu. Peter und ich machen das ja meist gemeinsam. Ich jammere auch nicht über das Film-Fördersystem. Es gibt da einige Absurditäten, aber ohne diese Mittel wäre ein Großteil der hiesigen Produktionen gar nicht möglich. Da sollte man nicht immer nur meckern.

Warum?

Ich finde es relativ normal, sich bei Leuten und Institutionen anstellen zu müssen, die öffentliche Mittel und damit das Geld anderer Menschen verwalten. Man muss sie von seinem Projekt überzeugen. Das ist nicht einfach, hilft aber manchmal auch, weil die Auseinandersetzung ein gutes Korrektiv der künstlerischen Arbeit ist.

Haben Sie nicht spätestens nach Verleih des Bundesverdienstkreuzes eh keine Probleme mehr mit den Förderern?

(lacht) Nee, Förderer interessiert das eher wenig, die schauen mehr auf den Film, der produziert werden soll und wie verlässlich derjenige ist, der ihn machen will.

Der praktische Nutzen von so einem Kreuz ist also beschränkt.

Orden haben eine kurze Halbwertzeit in unserer Branche.

Auch Filmpreise, von denen Sie einige eingesammelt haben?

Die helfen schon eher. So ein Preis ist ja auch immer eine Bestätigung für die geleistete Arbeit. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Was war finanziell gesehen bisher Ihr erfolgreichster Film?

Sicherlich "Sommer vorm Balkon". Die Produktion war nicht teuer, und der Film hatte ungefähr eine Million Zuschauer, das ist schon eine Menge an der Kinokasse. Glücklicherweise hatte ich da eine Erlösbeteiligung ausgehandelt.

Was ist dabei rübergekommen?

'As We Were Dreaming' Photocall - 65th Berlinale International Film Festival

Andreas Dresen bei der Vorführung von "Als wir träumten" auf der Berlinale im Februar 2015.

(Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images)

Wenn ich mich recht erinnere, haben mir die Kinoerlöse noch einmal 7000 bis 8000 Euro eingebracht.

Mit Verlaub, eine überschaubare Summe. Verdienen Sie neben Ihrer Gage nicht auch an jeder verkauften Karte mit?

Schön wär's. So eine Gage hängt ja sowieso von Film und Budget ab, kann 30 000 bis 150 000 Euro betragen. Das weiß man nie und hört sich viel an. Wenn man aber mal die Stunden zusammenzählt, die der Regisseur über Jahre an seinem Film arbeitet, müssten wir manchmal über den Mindestlohn reden, jedenfalls bei vielen Kollegen, die für extrem wenig Geld unterwegs sind. Und bei der Erlösbeteiligung sind erst einmal andere dran. Der Verleiher und die Kinobetreiber, die ihre Kosten decken müssen. Dann der Produzent, der das Geld wiederbekommen will, das er selbst in die Produktion gesteckt hat. Schließlich die Förderer, die bei Erfolg zu Recht ihre Investition zurückhaben möchten. Erst danach fängt der Produzent an, Gewinn zu machen. Und an dem bin ich dann manchmal auch irgendwie beteiligt.

Denken Sie da nicht ständig an den Kassenschlager, der das große Geld bringt?

Natürlich will ich immer einen Film machen, der an der Kinokasse Erfolg hat . . .

Und ein bisschen die Welt verändern.

Daran glaube ich nicht, dass das Filme können. Aber ich wünsche mir schon, dass sie die Menschen bewegen, zum Denken anregen und möglichst viele sie sehen wollen. Wenn das nicht funktioniert, bin ich einfach traurig.

Also müssen Sie als Filmemacher doch immer den Markt im Blick haben - oder?

Auch, aber meist nützt es nichts. Erstens brauche ich Stoffe, die mich berühren. Sonst könnte ich mich nicht zwei oder drei Jahre mit so einem Projekt beschäftigen. Das ist doch alles Lebenszeit. Zweitens gibt es keine Garantie für den erfolgreichen Film. Niemand hat dafür ein Universalrezept. Das wird immer ein großes Geheimnis sein. Es bleibt nur der Versuch, stets einen guten Film zu machen.

Und wenn das nicht klappt, dann kommen die Existenzängste?

Es gibt keine Sicherheiten, das muss man lernen. Ich komme aus dem Osten, da war man schon als junger Regisseur beim Fernsehen oder der Defa fest angestellt. Mein Ende des Studiums fiel allerdings schon in die Nachwendezeit. Ich konnte damals schnell meinen ersten Film "Stilles Land" machen. Danach fiel mir plötzlich auf, dass ich ja gar nicht weiß, wie es jetzt weitergeht, ohne sicheres Einkommen wie zu DDR-Zeiten. Das war anfangs extrem ungewohnt für mich. Aber ich bin überzeugt, dass es, so wie es jetzt ist, besser für mich und meine Arbeit ist.

Besser im Dschungel als im Zoo?

Ja, das hat mal ein Kollege von mir so gesagt. Und es stimmt. Im Zoo hat man immer zu essen und ist keinen großen Lebensamplituden ausgesetzt. Doch für die Kunst braucht es mehr - mehr Extreme, auch im Empfinden. Dazu gehören existenzielle Situationen. Damit muss man lernen, umgehen zu können.

Vermissen Sie nicht jetzt das Subversive in der Kunst, das es zu DDR-Zeiten gab?

Kunst ist unter den Bedingungen von Diktatur zu Höchstleistungen fähig, weil sie dann etwas leisten muss, was ihr guttut, nämlich eine poetische Erzählperspektive zu entwickeln, um Schleichwege durch die Zensur zu finden. Schauen Sie nur nach Iran, das Kino blüht dort. Ich ziehe aber die Freiheit vor.

Dafür können Sie nun Filme machen, ohne an die Zensur zu denken. Träumen Sie stattdessen manchmal vom Oscar?

Wer würde den nicht gerne haben? Aber lieber würde ich die Goldene Palme von Cannes nehmen. Die Filme dort interessieren mich meist mehr als die aus dem Oscar-Wettbewerb. Meine Träume sind allerdings eher privater Natur. Und mit deren Erfüllung bin ich derzeit ganz zufrieden.

Wir nehmen an, es geht dabei weniger um materielle Dinge.

Ich bin in dieser Hinsicht relativ anspruchslos. Ich habe eine exorbitant preiswerte Wohnung in einem noch unsanierten Haus hier in Potsdam. Ich fahre ein kleines, gebrauchtes Auto. Ich versuche, mit irgendwelchen Mischfonds etwas zu sparen, weil es ja Phasen gibt, in denen ich kein Einkommen habe. Dann muss ich mich aus diesem Topf bedienen. Luxus ist für mich, dass ich beim Einkauf im Supermarkt nicht auf die Preise achten muss und mit meinen Freunden Essen gehen kann, wenn ich das will. Das ist für viele Menschen nicht selbstverständlich. Trotzdem bin ich nicht frei von Unzufriedenheit.

Sind Sie traurig, dass es mit dem Sozialismus in der DDR nicht geklappt hat?

Die DDR ist sang- und klanglos untergegangen, und ich bin froh darüber. Aber die Utopie von einer gerechteren Welt war ja deswegen trotzdem nicht der schlechteste Gedanke. Insbesondere wenn man die heutigen Zustände betrachtet. Also sollte man sich doch mal anschauen, was da falsch gelaufen ist mit dem Experiment DDR. Die meisten von uns sind aber zur neuen Tagesordnung übergegangen und waren damit beschäftigt, sich schnell anzupassen.

Sie auch?

In gewissem Sinne schon. Ich war in der Umbruchzeit nicht wirklich mutig, bin in Leipzig erst auf die Straße gegangen, als schon Tausende dort waren. Vorreiter waren andere. Aber man lernt sich in solchen Momenten, in denen die vertraute Welt aus den Fugen gerät, ganz gut kennen. Im Nachhinein empfinde ich das als große Bereicherung, damals war ich eher verwirrt.

Kann man Filme, die von der DDR und ihrem Zusammenbruch erzählen, 25 Jahre nach der Einheit noch machen?

Natürlich, es gibt noch viel zu erzählen, aber es ist schwieriger geworden, braucht originelle Ansätze. Wenn sich solche Filme nur darauf beschränken, die damalige Welt und die Vorgänge jener Zeit zu rekonstruieren, dann braucht es sie nicht. Man muss eine Geschichte erzählen, die ins Heute zielt, mit deren Hilfe man sein Leben in der jetzigen Gesellschaft reflektiert. Museale Filme ergeben wenig Sinn.

Sie haben mit Ihrem neuesten Film "Als wir träumten" versucht, eine solche Geschichte zu erzählen. Die Zuschauer sind allerdings weggeblieben.

Stimmt, der Film läuft nicht gut, aus vielerlei Gründen. Ich muss mich jetzt erst einmal fragen, was ich falsch gemacht habe, wenn der Film am ersten Wochenende gerade mal 20 000 Zuschauer anlockt, so viel wie bei miesem Wetter ein grottenschlechter Drittliga-Fußballkick. Das macht mich traurig, ganz klar. Und das wird auch nicht folgenlos bleiben.

Machen Sie trotzdem mit diesen Geschichten weiter?

Man darf sich nicht entmutigen lassen. Scheitern gehört auch zum Leben dazu. Aber jetzt will ich die Geschichte von "Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen" neu erzählen. Das wird ein ganz anderer und hoffentlich erfolgreicherer Film.

Es steht ja noch einiges andere an. Sie inszenieren im Theater, bereiten in München gerade eine Oper vor, geben mit Schauspieler Axel Prahl Konzerte und arbeiten als Laienrichter am Brandenburger Verfassungsgericht. Was treibt Sie an?

Erst einmal Neugier, die Tätigkeit am Verfassungsgericht ist übrigens überaus spannend. Und ich bin für zehn Jahre gewählt.

Zwei Jahre davon sind rum, was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Die Haupterkenntnis ist . . .,

. . . dass der Rechtsstaat anstrengend ist.

Nein, ich finde Rechtsstaat toll, auch wenn er bisweilen viel Mühe macht. Ich selbst hätte Vertrauen in unseren Spruchkörper, weil die Beschwerdeführer dort anständig und fair behandelt werden. In der DDR hatte man zwar eine Verfassung, aber kein Verfassungsgericht. Das macht den Unterschied.

Was haben Sie eigentlich mit Ihren 100 Mark Begrüßungsgeld nach dem Mauerfall gemacht?

Ich habe alles in Kinobesuche umgesetzt. Zuerst in Peter Greenaways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber". Eine ziemlich abstruse Geschichte. Hinterher war ich wutentbrannt, zwölf Mark meines schönen Westgelds waren weg. Zum Glück hat mich der zweite Film, "Mystery Train" von Jim Jarmusch, wieder versöhnt.

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