Süddeutsche Zeitung

Handel:Der Real-Verkauf ist ein Fiasko

Schlimmer hätte es für die Mitarbeiter und den Wettbewerb in Deutschland kaum kommen können. Bei der Supermarktkette hat jetzt ein russischer Oligarchensohn das letzte Wort. Armes Deutschland.

Kommentar von Michael Kläsgen

Bei Real ist so ziemlich alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte, und zwar von Anfang an. Nicht erst vor ein, zwei Jahren fing das Drama an, als der Verkaufsprozess eingeleitet wurde. Viel früher hätte die Supermarktkette Stück für Stück veräußert werden müssen. Für alle Beteiligten wäre das das Beste gewesen. Jetzt endet der Verkauf in einem Fiasko, dessen Leidtragende in erster Linie die 34 000 Beschäftigten sind.

Viele von ihnen werden noch in diesem Jahr ihren Job verlieren, einige in zwei, drei Jahren. Das wäre vermeidbar gewesen, ebenso wie die Zerschlagung der Kette, die nun ansteht. Ja, auch die Arbeitnehmervertreter haben Fehler gemacht. Sie waren in den jahrelangen Verhandlungen unnachgiebig, vielleicht in manchen Punkten zu starr. Aber es wäre falsch, ihnen an dem Desaster eine Mitschuld zu geben. Das Angebot, das die Geschäftsführung ihnen machte, war schlicht inakzeptabel. Sie sollten, wohlgemerkt in wirtschaftlichen Boomzeiten, auf einen Großteil ihres ohnehin geringen Lohns verzichten. Die Gewerkschaft Verdi hat sich dagegen gesträubt, aber nicht lautstark genug dagegen angekämpft. Sie hätte Real zum Exempel für den Kampf gegen Tarifflucht statuieren können. Gegen Amazon poltert sie, doch bei Real blieb sie merkwürdig still. Dabei dürfen Dumpinglöhne kein Mittel dazu sein, Wettbewerber vom Markt zu drängen. Aber genau das geschieht im Einzelhandel seit Jahren.

Eine bittere Erkenntnis des Real-Dramas ist daher: Teilzeit-Verkäuferinnen haben in diesem Land keine Lobby. Bei Schlecker und Kaufhof war das nicht anders. Wenn sie ihre Arbeit verlieren, interessiert das kaum jemanden. Krokodilstränen werden zwar vergossen, niemand will herzlos erscheinen, aber das war es auch schon.

Teilzeit-Verkäuferinnen haben in diesem Land keine Lobby

Auch die Politik hält sich auffällig zurück. Dabei geht es hier um mindestens 10 000 Arbeitsplätze, die voraussichtlich ersatzlos gestrichen werden. Sicher, es handelt sich weder um eine Schlüssel- noch um eine sicherheitsrelevante Industrie. Trotzdem ist frappierend, mit welch unterschiedlichem Maß die Politik misst. Vor Fotografen scheint die Regierung größeren Respekt zu haben. Als es neulich hieß, nur noch Ämter sollen Passbilder machen dürfen, räumte Innenminister Seehofer den Gesetzentwurf schneller wieder ab, als er ihn vorgestellt hatte. Bei Real macht das zuständige Wirtschaftsministerium keinen Mucks. Warum? Weil es ein Psychodrama wie beim Hickhack um die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann tunlichst vermeiden will. So weit, so nachvollziehbar. Aber so zu tun, als wolle man hier den Marktkräften freien Lauf lassen, ist heuchlerisch. Den deutschen Lebensmitteleinzelhandel dominieren zu 85 oder gar 90 Prozent vier Konzerne: Aldi, Lidl, Edeka und Rewe. Das Gros der Real-Märkte wird wieder an diese Konzerne gehen. Die Konzentration wird also weiter zunehmen. Mit Wettbewerb hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Er ist nach den Beschäftigten das zweite Opfer des Verkaufs.

Noch hat die enorme Marktmacht in den Händen weniger Konzerne nicht zu überhöhten Verbraucherpreisen geführt. Das hat seinen Grund: Unter den großen Vier sind mit Aldi und Lidl zwei Discounter, die für Preisdruck sorgen. Aber wer sagt, dass das ewig so bleibt? Zuletzt sind die Lebensmittelpreise schon um acht Prozent im Durchschnitt gestiegen, ohne dass sich die höheren Preise in nennenswertem Maße dort positiv bemerkbar gemacht hätten, wo es sinnvoll gewesen wäre: bei Tierhaltung und Öko-Landwirten.

Der zunehmenden Konzentration im Lebensmittelhandel hätte Real entgegenwirken können - zuletzt vor anderthalb Jahren, als der Verkaufsprozess begann. Dem Management lag ein finanziell attraktives Angebot vor, das auch die Arbeitnehmervertreter favorisierten. Doch Metro-Chef Olaf Koch, der über das Schicksal von Real entscheidet, bevorzugte die Zerschlagung, weil sie kartellrechtlich am wenigsten problematisch ist. Das ist zynisch. Zynisch ist auch, die Supermarktkette erst herunterzuwirtschaften und sie dann einem russischen Oligarchensohn zu überlassen, der anonym bleibt, dessen Geldquellen Fragen aufwerfen, der ersichtlich nur an den Immobilien verdienen will und jetzt auch noch Metro zappeln lässt, indem er seine finale Zusage hinauszögert. Das macht das Fiasko komplett. Gewiss, der Deal mag irgendwie clever eingefädelt sein, weil die Akteure so das Kartellamt umgehen, aber klug ist das nicht. Es entsteht ein Makel für den Standort Deutschland. Es sieht jetzt so aus, als würden Deutschlands milliardenschwere Handelskonzerne vor nichts zurückschrecken. Blamabel für das Land.

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SZ vom 17.02.2020/hgn
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