Razzien in Berlin und München:Schlag gegen Schwarzarbeit

Bei Razzien in Berlin und München werden sieben mutmaßliche Drahtzieher und Helfer eines europaweiten Netzwerks festgenommen. Sie kosten den Staat Millionen - und beuten ihre Arbeiter aus.

Von Klaus Ott, Berlin

An dem Hauptverdächtigen, einem Bauunternehmer aus dem Großraum München, waren Fahnder schon länger dran. Der zwielichtige Geschäftsmann gilt als führender Kopf einer mutmaßlichen Bande, die in großem Stil Schwarzarbeit organisiert und betrieben haben soll. Über Jahre hinweg, mit mehreren Dutzend Firmen und mehreren Tausend Beschäftigten.

Den offenkundigen Chefstrategen dieser Organisation wollten die Ermittler unbedingt erwischen. Er sollte keine Chance haben, sich im letzten Augenblick noch abzusetzen; auf den Balkan etwa, wo er herstammt. Am Dienstag schlug die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), eine Spezialtruppe des Zolls, schließlich zu.

Bei Razzien in München und Berlin, an denen fast 200 Beamte von Zoll, Polizei und Steuerfahndung beteiligt waren, wurden nach Angaben der Münchner Staatsanwaltschaft sieben Bandenmitglieder festgenommen. Darunter der Bauunternehmer, auf den es die Ermittler besonders abgesehen hatten.

Neun Haftbefehle, 20 Durchsuchungsbeschlüsse

Mit neun Haftbefehlen und rund 20 Durchsuchungsbeschlüssen waren die Fahnder ausgerückt. Die beiden Verdächtigen, die ebenfalls festgenommen werden sollten, aber nicht vorgefunden wurden, stehen nun auf der Fahndungsliste. Weitere Razzien könnten folgen. Viele Spuren führen ins Ausland.

Es ist eine der größten Aktionen gegen Schwarzarbeit seit Gründung der FKS vor zehn Jahren. Zöllner und Steuerfahnder haben ein, wie Ermittler erzählen, schier "undurchsichtiges Konstrukt" enttarnt. Mithilfe von Scheinfirmen und Scheinrechnungen sollen Jahr für Jahr 50 bis 100 Millionen Euro in schwarze Kassen geleitet worden sein, aus denen dann wohl Maurer und Fliesenleger, Gipser, Dachdecker und andere Bauarbeiter schwarz bezahlt wurden.

Mit Hungerlöhnen von 700, 600 oder gar nur 500 Euro im Monat, ohne Steuern und Sozialabgaben. Die Arbeiter wurden nach Erkenntnissen der Behörden ebenso betrogen wie der Staat und die Sozialkassen.

Wie es der Zufall so will, feiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das zehnjährige Bestehen der FKS an diesem Mittwoch mit einem Festakt in Berlin. Arbeitgeber, Gewerkschaften und Abgeordnete sind geladen, dazu Zöllner aus dem ganzen Bundesgebiet. Schäuble, der als Erster spricht, hat einiges zu verkünden. Zum 1. Oktober wird die Arbeit der 6700 Zöllnerinnen und Zöllner, die bei der FKS Dienst tun, nach Angaben des Ministeriums neu geordnet.

Die Netzwerke richten großen Schaden für den Staat an

Ein künftiger Schwerpunkt: der Kampf gegen Schwarzarbeiter-Netzwerke. In den vergangenen Jahren hat das Ministerium einen "hohen Grad organisierter Wirtschaftskriminalität" registriert. Die hier tätigen Banden seien europaweit bestens aufgestellt und agierten "höchst konspirativ", was dem Zoll die Arbeit schwermache.

Die mit einem Erlass vom 7. Mai in die Wege geleitete Reform der FKS ist nach Ansicht von Fahndern höchst überfällig. Bis zu 340 Milliarden, so schätzen Experten, werden jährlich mit Schwarzarbeit umgesetzt. Der Zoll hat 2013 aber lediglich Schäden in Höhe von insgesamt 777 Millionen Euro aufgedeckt. Das könnte, glauben Ermittler, deutlich mehr werden. Man müsse sich weit stärker als bisher um die großen Fälle von organisierter Kriminalität kümmern, statt viel zu oft Hartz-IV-Empfängern hinterherzujagen, die sich nebenbei schwarz etwas dazuverdienten.

Meist seien es Clans mit mafiösen Strukturen

Das Finanzministerium legte bisher großen Wert auf möglichst zahlreiche eingeleitete und erledigte Verfahren. Das habe dazu geführt, dass die "Statistik viel zu sehr im Vordergrund" stehe, klagt ein Ermittler. Zehn kleine Fälle, die man "ruckzuck vom Schreibtisch" habe, seien wichtiger als ein großer Fall, der sich lange hinziehe. "Masse statt Klasse" nennt das ein anderer Fahnder.

Den großen Schaden für Staat und Sozialkassen, den richten aber die kriminellen Netzwerke an. Ermittler berichten, meist seien das Clans mit mafiösen Strukturen, die oft aus dem Ausland stammten, vor allem vom Balkan. Viele der ausgebeuteten Schwarzarbeiter kommen ebenfalls von dort.

Den Razzien am Dienstag in Berlin und München gingen mehrjährige Ermittlungen voraus. Im April 2010 hatte die Einsatzgruppe Titan der FKS Magdeburg bei der Durchsuchung eines dortigen Bauunternehmens mehrere Computer konfisziert. Die darauf gespeicherten Dateien führten zu der jetzt aufgeflogenen Organisation und deren Drahtziehern. Einer der Chefs in Berlin wird "Papa" genannt. Er und seine Leute sollen sich ebenso wie der Hauptverdächtige aus dem Raum München zahlreicher Helfer und Helfershelfer bedient haben.

Einer der Gehilfen hat nach Erkenntnissen der Behörden Scheinrechnungen in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro geschrieben, um Geld in schwarze Kasse abzweigen zu können. Gegen ihn, er war nicht der einzige Rechnungsschreiber, ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft. Zu dem Netzwerk gehört auch ein vorbestrafter Buchhalter. Andere Gehilfen sollen die Aufgabe gehabt haben, Hunderttausende Euro von rasch wieder aufgelösten Firmenkonten abzuheben und in bar zu verteilen. Darunter einer, der den FKS-Fahndern weiszumachen versuchte, er habe doch nur "Kaffee gekocht und geputzt".

In dieser Szene gelte "ein Menschenleben nicht viel", erzählt ein Ermittler

Das klingt harmlos, hat aber nichts mit der Realität zu tun. In dieser Szene gelte "ein Menschenleben nicht viel", erzählt ein Fahnder. Vor einigen Jahren brach sich ein illegal beschäftigter Arbeiter auf einer Baustelle in Karlsfeld bei München einige Knochen. Anstatt gleich den Krankenwagen zu holen, zogen die kriminellen Hintermänner dem Schwerverletzten die Baukluft aus, kleideten ihn neu ein und schleppten ihn in eine Gaststätte. Erst dort wurden Sanitäter gerufen. Ihnen wurde weisgemacht, der Mann sei über eine Schwelle gestolpert. Ein anderer Schwarzarbeiter, der auf derselben Baustelle vom Gerüst stürzte, starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Bei der FKS erhofft man sich von der Organisationsreform mehr Schlagkraft für große Aktionen wie jene am Dienstag. Der Hauptverdächtige muss wohl, nicht als einziger, länger ins Gefängnis.

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