Süddeutsche Zeitung

Hightech: Streit um das Weltraumgesetz

Wirtschafts- und Finanzministerium können sich nicht auf ein Gesetz für die Space-Branche einigen. Für Start-ups ist das fatal - genau wie für den deutschen Steuerzahler.

Von Dieter Sürig

Wenige Wochen nachdem Union und SPD im Frühjahr 2018 das Weltraumgesetz in den Koalitionsvertrag aufgenommen hatten, "um Investitions- und Rechtssicherheit für nicht-staatliche Raumfahrtaktivitäten zu schaffen", wurden die deutschen Raketen-Start-ups Isar Aerospace, Hyimpulse und Rocket Factory Augsburg gegründet. Man könnte meinen, die große Koalition habe also mal rechtzeitig erkannt, dass der Hightech-Standort Deutschland eines Weltraumgesetzes bedarf, um die aufstrebende Space-Branche mit einem Rechtsrahmen auszustatten - und um für den deutschen Steuerzahler Schadenersatzansprüche nach Abstürzen oder Kollisionen zu begrenzen.

Mit einem solchen Gesetzentwurf hatte sich 2017 allerdings auch schon die vorherige schwarz-rote Bundesregierung befasst - und ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl ist er immer noch in Arbeit. Nach eigenen Angaben stimmt das Bundeswirtschaftsministerium gerade die Eckpunkte für jenes Weltraumgesetz mit anderen Ressorts und mit Industrievertretern ab. Einen Beschlusstermin nennt es jedoch nicht - und ob ein solcher noch vor der Wahl angesetzt wird, ist fraglich. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wolle verhindern, dass der Bund überhaupt für Schäden durch Raketen oder Satelliten privater Unternehmen zahlen müsse, ist zu hören. Sein Ministerium kommentiert nur, man wolle "das neue Weltraumgesetz noch in der laufenden Legislaturperiode dem Bundestag zur Entscheidung" vorlegen. "Zur Frage nach den finanziellen Auswirkungen stehen beide Ministerien in Gesprächen."

Dabei hätte Scholz mit dem Weltraumgesetz auch die Chance, den potenziellen Schaden für den Steuerzahler zu verkleinern. Mit einer Haftungsobergrenze, bis zu der das verantwortliche Unternehmen zahlen müsste, falls etwas passiert. In Frankreich liegt diese Grenze zum Beispiel bei 60 Millionen Euro. Bislang würde hierzulande nämlich genau das eintreten, was Scholz offenbar nicht will: "Solange es keine gesetzliche Regelung gibt, haftet der Staat alleine, ohne Rückgriff auf das Unternehmen, welches den Schaden verursacht hat", sagt Raumfahrtjurist Ingo Baumann.

Er fürchtet andererseits, dass gerade junge Space-Firmen Nachteile wegen des fehlenden Rechtsrahmens haben könnten. "Wenn Satelliten oder Raketen von deutschen Unternehmen, aber aus dem Ausland gestartet werden, muss es zwischen den betroffenen Ländern auch eine Abstimmung geben, wie die internationalen Pflichten verteilt und umgesetzt werden", sagt er. Dies sei nicht geregelt. "Ein im Raum stehendes Gesetz, von dem keiner weiß, wann und wie es kommt und was dann drinsteht, schafft Rechts- und Investitionsunsicherheit", kritisiert er. Da gehe es um Genehmigungsprozesse, Haftungs-, Versicherungs- und Weltraummüllauflagen.

Dass ein Weltraumgesetz auch im internationalen Standortwettbewerb relevant sei, daran erinnert Walther Pelzer von der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: "Wir müssen eine Balance finden zwischen einerseits einem angemessenen Haftungsrisiko für die Unternehmen und den damit verbundenen Versicherungskosten und andererseits einer vertretbaren Belastung des Bundes." In diesem Sinne fordert Raumfahrtexperte Matthias Wachter vom Bundesverband der Deutschen Industrie "wettbewerbsfähige Haftungsgrenzen, um Investitionen und Innovationen zu befördern". Für Stephan Hobe, Direktor des Instituts für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht der Uni Köln, wären weitere Verzögerungen fatal. "Das ist eine Katastrophe, wir haben ja eine gute Weltraumindustrie, die schon immer weit unter ihren Möglichkeiten geblieben ist", sagt er. Gerade deshalb müsste der Staat eigentlich auf ein Weltraumgesetz drängen, findet er.

Auch ein deutscher Startplatz bräuchte wohl ein Weltraumgesetz

Manche Start-ups haben es andererseits gar nicht so eilig. "Für uns ist es sogar vorteilhafter, da derzeit der deutsche Staat voll für von uns verursachten Schäden an Dritten haftet", sagt Vorstand Jörn Spurmann von der Rocket Factory Augsburg. Sicher ist aber: Irgendwann kommt das Gesetz, und dann müssen sich die Firmen darauf einstellen. Daniel Metzler, Chef von Isar Aerospace, plädiert dafür, dass die Haftung zumindest ab einer bestimmten Obergrenze weiter vom Staat übernommen werden sollte, "da ansonsten auch Versicherungen nicht mitspielen".

Und auch der viel diskutierte Startplatz in der Nordsee bräuchte wohl ein Weltraumgesetz. Ein Start dort wäre sonst "nicht planbar, weil kein Genehmigungsverfahren vorhanden wäre", sagt Christian Schmierer, Co-Chef von Hyimpulse. Stephan Hobe bestätigt dies: "Ohne Gesetz kann man im Prinzip auch keine Start-Plattform in der Nordsee genehmigen." Bei der German Offshore Spaceport Alliance, die eine solche Plattform plant, erscheint dies noch unklar: "Nach heutiger Bewertung ist ein Weltraumgesetz für einen Offshore-Spaceport nicht zwingend notwendig, da wir nach vorläufiger Einschätzung auch mit Einzelfallgenehmigungen Starts durchführen könnten." Wie dem auch sei: Das Bundeswirtschaftsministerium will in seinem Weltraumgesetz eine Regelung für einen deutschen Startplatz berücksichtigen - irgendwann.

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