Süddeutsche Zeitung

Innovationsbericht:So chaotisch geht es in der Raumfahrt zu

Die Branche hat viel Potenzial, urteilen die Innovationsexperten der Regierung. Das müsse die Bundesregierung aber besser nutzen - zum Beispiel mit einem nationalen Weltraumgesetz.

Von Dieter Sürig

Ariane-Trägerraketen, Erdbeobachtung, Navigationssatelliten - Raumfahrtpolitik ist nicht nur die Domäne des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem die Raumfahrtbeauftragte Anna Christmann angesiedelt ist. Längst führt auch das Kanzleramt regelmäßige Gesprächsrunden zu solchen Themen. Dies wohl auch, wegen der zunehmenden strategischen Bedeutung der Raumfahrt, wie der Krieg in der Ukraine zeigt - Beispiele sind Satellitenbilder und Breitband aus dem All.

Da kann es helfen, dass die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) dem Bundeskanzler Olaf Scholz an diesem Mittwoch ihre Empfehlungen an die Hand gegeben hat, was die weitere Entwicklung der deutschen Raumfahrt betrifft. Auch, weil sich die Branche zunehmend kommerzialisiert. Dafür müssten die Potenziale aber besser genutzt werden: Die EFI fordert günstigere Rahmenbedingungen, effizientere Finanzierungsformen zugunsten der Start-ups und mittelständischen Unternehmen sowie - das sei besonders wichtig - ein nationales Weltraumgesetz, um Firmen und Investoren Planungssicherheit zu geben. Das Gutachten zeige, dass die Bedeutung von Weltraumtechnologien weiter wachsen werde, so die EFI. Zum Beispiel für das Internet der Dinge, zu dem Alltagsgegenstände für das Smart-Home gehören und das autonome Fahren, aber auch für den Klimawandel und den Katastrophenschutz, oder um globale Krisen zu bewältigen.

Die Kommission befasst sich seit 2008 jährlich mit Innovationsthemen, untersucht Schlüsseltechnologien und bewertet deren Qualität hierzulande. 2022 hatten die sechs Ökonominnen und Ökonomen der Digitalisierung in Deutschland ein ziemlich schlechtes Zeugnis ausgestellt. "Wir haben in der Vergangenheit in vielen Technologiebereichen gemerkt, dass Deutschland langsam zurückfällt", sagt Kommissionsvorsitzender Uwe Cantner, Volkswirtschaftsprofessor an der Uni Jena. Neben der Digitalisierung fallen ihm zum Beispiel noch KI und Robotik als negative Beispiele ein.

Cantner hatte sich wohl schon darauf eingestellt, dass Deutschland auch bei Raumfahrttechnologien international eher abgeschlagen sein würde. Doch haben ihn seine Recherchen wohl eines Besseren belehrt: "Am meisten überrascht hat uns die Leistungsfähigkeit Deutschlands im Raumfahrtbereich im Hinblick auf Innovationen." So sei Deutschland bei der Zahl der Raumfahrt-Patentanmeldungen im Ländervergleich auf Platz drei hinter den USA und Frankreich gelandet. Die Gutachter schließen daraus "auf eine starke Innovationskraft Deutschlands in den Raumfahrttechnologien". "Hier müssen wir wirklich feststellen, Deutschland spielt da gut mit", sagt Cantner, die Dynamik sei "durchaus hoch".

"Jeder macht sein eigenes Ding, koordiniert wird vergleichsweise wenig"

Die Wissenschaftler schütten ihr ungewohntes Lob allerdings nicht gleich mit der Gießkanne aus, dafür gibt das Gutachten auch keinen Anlass. Die Stoßrichtung des Berichts wird schon beim Titel "Deutsche Raumfahrt zwischen Old und New Space" deutlich. Viel Innovation sei da, doch hinke das Land bei den Rahmenbedingungen hinterher, wenn es um eine erfolgreiche kommerzielle Nutzung der Raumfahrt gehe. Wichtig für die erste Raumfahrtstrategie seit 2010, welche die Bundesregierung gerade entwickelt, seien die Grundlagenforschung, rechtliche Regelungen oder eben auch die Digitalisierung. "Das kann nicht über das Bundeswirtschaftsministerium alleine geleistet werden", mahnt Cantner, der beim Zusammenspiel der politischen Akteure durchaus Verbesserungsbedarf sieht. "Jeder macht sein eigenes Ding, koordiniert wird vergleichsweise wenig, und dann läuft es auch nicht wirklich Hand in Hand, um zum Ziel zu kommen."

Die Bundesregierung müsse die Raumfahrtstrategie zügig umsetzen und "geeignete Strukturen" schaffen, wozu für Cantner auch ein nationales Weltraumgesetz gehört. "Das braucht man ja, um Investitionssicherheit zu schaffen", sagt er. "Für Schäden muss ein Unternehmen bis zu einer bestimmten Höhe selbst geradestehen, das ist bisher nicht geregelt." Die Akteure müssten aber wissen, worauf sie sich einlassen, wie die Haftungs- und Genehmigungsregelungen sind. "Das hat uns schon sehr irritiert, dass es kein nationales Weltraumgesetz gibt" - für ihn ein großes Versäumnis der Bundesregierung, das vor allem kleineren Unternehmen schade. Seit 1967 verpflichte der völkerrechtliche Weltraumvertrag sogar dazu. "Wir haben auch noch nicht herausgefunden, ob die Regierung wirklich Interesse hat, das zu tun", kritisiert Cantner. Zumal das Weltraumgesetz nicht im Koalitionsvertrag aufscheint. Er hält sogar ein einheitliches EU-Weltraumgesetz für sinnvoll: "Wir müssen Raumfahrt aus verschiedenen Gründen sowieso europäisch denken."

Kritikwürdig ist aus Sicht der Kommission auch die Neigung, Raumfahrtprojekte ineffizient aufzusetzen. "Was uns irritiert, ist der geografische Mittelrückfluss bei der Esa", sagt Cantner. Damit meint er bei der Europäischen Weltraumorganisation das Prinzip des Georeturn, wonach Industrieaufträge je nach Höhe des nationalen Esa-Budgets in die Mitgliedsländer vergeben werden. Auch der Bau der europäischen Ariane-Rakete ist deswegen auf viele Standorte in Europa verteilt. Während Esa-Chef Josef Aschbacher erst kürzlich wieder betonte, dass damit auch der Wettbewerb gefördert werde, fürchtet Cantner das Gegenteil. "Wir sehen auch, dass davon die Großunternehmen profitieren, die diese Mittel mit Niederlassungen in den verschiedenen europäischen Ländern abgreifen." Das Prinzip Georeturn sollte deswegen zumindest gelockert werden, fordert er.

Die EFI findet sowieso, dass die Rahmenbedingungen für Start-ups und kleine mittelständische Firmen eher ungünstig sind, um im Raumfahrtgeschäft Fuß zu fassen. Oft fehle das Wagniskapital. "Die Finanzierungsstrukturen in Deutschland und Europa sind noch nicht so gut entwickelt wie in den USA", sagt Cantner. "Da müssen Fonds geschaffen werden, die auch große Investitionen ermöglichen." Um Gründern zu helfen, sollte die Regierung vermehrt als Ankerkunde auftreten, aber sich beizeiten auch wieder zurückziehen. "Wenn Firmen nur deswegen überleben können, dann sind sie nicht effizient und wettbewerbsfähig genug", sagt er. Richtig angewendet, könne das aber sinnvoll sein.

Die EFI kritisiert nicht nur die Esa, auch beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das sich unter anderem auch mit Verkehrsforschung, Energie, Maritimes oder Werkstofflösungen beschäftigt, seien Reformen nötig. "Dass die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR angeschlossen ist und dadurch bestimmte Fördermaßnahmen gar nicht richtig zum Zuge kommen, das ist ineffizient", sagt Cantner. Aufträge könnten nicht direkt an Forschungsinstitute vergeben werden, diese könnten sich nur als Unterauftragnehmer an der Vergabe beteiligen.

Die EFI sieht die Gefahr von Doppelstrukturen

Ein Punkt, der Cantner immer wieder antreibt, ist die technologische Souveränität, der seiner Meinung nach aus strategischen Erwägungen gerne auch zu weit getrieben werde. "Weltrauminfrastruktur ist mittlerweile auch eine kritische Infrastruktur, militärisch und zivil", sagt er. Deutschland müsse aber eine gute Balance finden "zwischen den Weltraumtechnologien, die man selbst fördert und denjenigen, die man sich vom Ausland einkauft". Er sieht die Gefahr, dass die Tendenz, lieber wieder mehr selbst zu machen, teure Doppelstrukturen schaffen könnte. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass das Konzept der technologischen Souveränität auf einmal dazu führt, dass man überall Industriepolitik und Subventionswettlauf machen möchte, um unbedingt der Erste zu sein. Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist." Eine eigene Astronautenkapsel, wie von der Esa zum Beispiel diskutiert, brauche Europa wohl eher nicht, solche Kapazitäten könne man bei der Nasa einkaufen.

Was er jedoch ausdrücklich für gut befindet, ist der derzeitige Wettbewerb der drei deutschen Microlauncher-Start-ups Hyimpulse, Isar Aerospace und Rocket Factory Augsburg. "Wir sehen es vor allem positiv, dass es junge deutsche Unternehmen sind, die diese Technologien entwickeln", sagt Cantner. Da könne man fördern, da sei kreatives Potenzial da.

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