Gipfelstürmer:Präzisionsmanöver im All

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In Aufbruchstimmung (von links): die beiden Chefs von Smart Small Satellite Systems, Professor Norbert Menke und Oliver Ruf, sowie Professor Klaus Schilling vom Telematikzentrum Würzburg mit dem Montageroboter für die Netsat-Satelliten, die an diesem Montag starten sollen. (Foto: oh)

Ein Würzburger Start-up bereitet sich auf eine Weltpremiere vor: Erstmals sollen vier Kleinsatelliten eigenständig eine Formation in der Erdumlaufbahn organisieren.

Von Dieter Sürig, München

Wenn an diesem Montag vom Raketenstartplatz Plessezk im Nordwesten Russlands eine Sojus-Trägerrakete ins All abhebt, dann steigt in Würzburg eine kleine Party. An Bord der Rakete befinden sich neben drei russischen Telekomsatelliten und diversen Kleinsatelliten auch vier schuhkartongroße Satelliten mit jeweils vier Kilo Gewicht, die das Würzburger Zentrum für Telematik gemeinsam mit dem Start-up Smart Small Satellite Systems GmbH (S⁴) gebaut hat. Die Absender haben diese Mini-Konstellation "Netsat" genannt und wollen demonstrieren, dass sich Satelliten mit der richtigen Technologie im Erdorbit erstmals selbst organisieren können. Und dieses Know-how kommt aus Würzburg.

Das Ziel sei es, "dass sich die Satelliten dann selbständig untereinander koordinieren und kontrollieren, um im Team möglichst optimale Beobachtungspositionen im dreidimensionalen Raum abzustimmen", erläutert der Vorstandsvorsitzende des Telematikzentrums, Professor Klaus Schilling. "Dies eröffnet neue Ansätze für die Erdbeobachtung und Klimaforschung, aber auch für künftige Telekommunikationsnetze." Über Funk tauschen die Satelliten in etwa 600 Kilometern Höhe Daten zu Position, Ausrichtung und geplanten Manövern aus und können die Formation so selbst justieren. Die Missionskosten von 3,5 Millionen Euro werden größtenteils mit einem hoch dotierten Forschungspreis des European Research Council finanziert, den Schilling 2012 für das Netsat-Projekt erhalten hat.

Möglich machen die Mission kleine Präzisions-Reaktionsräder, die von S⁴ entwickelt worden sind, Professoren und Absolventen haben das Start-up 2016 am Telematikzentrum ausgegründet. "Dabei handelt es sich um einen kleinen Motor mit Schwungmasse, der dafür sorgt, dass sich der Satellit im Orbit auf eine bestimmte Richtung ausrichten kann", sagt S⁴-Technikchef Oliver Ruf. Der Satellit kann sich stabilisieren, seine Elektrotriebwerke ausrichten oder auch eine Kamera für die Erdbeobachtung justieren - beispielsweise auf Waldgebiete. "So kann ich ein bestimmtes Objekt gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven beobachten", sagt der 31-jährige Luft- und Raumfahrt-Informatiker. Dies sei beispielsweise interessant, um ähnlich wie bei der medizinischen Computertomografie detaillierte Aufnahmen der 3-D-Struktur von Wolken möglich zu machen. Somit könne man den Einfluss auf das Klimasystem besser verstehen. Voraussetzung sei aber eine Konstellation, die sich selbst organisieren kann.

Mit den günstigeren Kleinsatelliten eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten

Der Vorteil der Miniatursatelliten ist die Größe. "Normale Satelliten wiegen viele Hundert Kilogramm", sagt Ruf. "Wir versuchen, das deutlich günstiger mit nur einem bis zehn Kilo Masse anzubieten, aber trotzdem mit Hochleistungschips und Redundanz", falls etwas kaputtgehen sollte. "Konstellationsflüge an sich sind nichts Neues, jedoch gab es selbst-organisierende Formationen bisher nur mit zwei Satelliten", sagt Robotik-Professor Schilling, der bereits an Missionen wie der Kometensonde Rosetta und einem Esa-Mars-Rover beteiligt war. Mit den günstigeren Kleinsatelliten eröffnen sich also ganz neue Möglichkeiten, Schilling macht eine Rechnung auf: Für das Wolkenprojekt bräuchte man zehn Satelliten, das wären bei normaler Größe Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro. Nun soll die Mission, die für 2022 geplant ist, 14 Millionen Euro kosten.

Hier wird auch deutlich, dass S⁴ entsprechend große Stückzahlen erwartet, sobald Kunden verschiedene Anwendungsbereiche definiert haben. Das Start-up arbeitet bereits mit den Großen der Branche zusammen. "Wir können in einem kurzen Zeitraum Satellitenkonstellationen erstellen", wirbt der S⁴-Seniorchef, Professor Norbert Menke. Das sei etwa für kritische Infrastruktur wie Energiesektor und Transportwege interessant, aber auch für Umwelt- und Klimabeobachtung oder Katastrophenschutz. Es gebe sogar Konzepte, das Navigationssystem Galileo mit Kleinsatelliten zu ergänzen.

(Foto: SZ)

"Die Satelliten sind hochstandardisiert, das ist die Grundlage für große Stückzahlen", sagt Menke. Er sieht einen Strukturumbruch in der Branche hin zu Kleinsatelliten. "Jetzt ist die Zeit, um sich zu positionieren", sagt der Elektrotechniker. Bisher finanziert sich S⁴ mit dem Verkauf von Kleinsatelliten und Bordsystemen, doch suchen Ruf und Menke nach weiteren Geldgebern, um eine "Zukunftsfabrik" für die automatisierte Serienproduktion von Satelliten zu bauen. "Wir dürfen da nicht hinter die Amerikaner zurückfallen", warnt Schilling, der neben dem Telematikzentrum zu einigen privaten Gesellschaftern zählt. "Strategische Investoren sollen die Produktion größerer Stückzahlen ermöglichen und zugleich Abnehmer sein." Einen Investor, der nur an einem schnellen Börsengang interessiert sei, wolle man jedenfalls nicht, ergänzt Menke. Er geht von einem zwei- bis dreistelligen Millionenbetrag aus, um die Pläne zu realisieren. Sie hoffen dabei andererseits auf einen deutschen oder europäischen Geldgeber. "Wir verzweifeln ein bisschen an Europa, da sind Chinesen viel aggressiver", sagt Schilling. S⁴ hat nach eigenen Angaben bereits die Einladung, sich mit Know-how an einer chinesischen Mondmission zu beteiligen, auch in den USA gebe es Begehrlichkeiten. "Wir wollen aber Arbeitsplätze in Deutschland schaffen."

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