Martinsried ist gar nicht weit - das Biotechzentrum im Südwesten Münchens. Doch im Gewerbegebiet der 11 000-Seelen-Gemeinde Planegg siedelt sich gerade ein Start-up an, das in einem anderen Bereich Hightech betreiben will: Die 2021 gegründete The Exploration Company möchte hier mehrfach nutzbare Raumkapseln bauen, die in den Erdorbit und auch in Richtung Mond fliegen sollen. Erst mit Fracht, später auch mit Passagieren.
Noch steht die Fabrikhalle in Planegg fast leer, doch für die Ingenieure Niklas Mechtersheimer und Nils Hebborn hat dort die Zukunft bereits begonnen. "Vor einigen Wochen saßen wir noch an den Plänen, jetzt sieht man schon, was hier entsteht", sagt Hebborn. Gemeinsam mit Mechtersheimer inspiziert er die 800-Quadratmeter-Halle, die sie bald beziehen. "Wenn wir hier einen Fußabdruck in der Raumfahrtgeschichte Europas hinterlassen können, dann ist das schon echt einzigartig", schwärmt Hebborn. Bisher haben sie mit 70 Mitarbeitern im Esa-Gründungszentrum in Oberpfaffenhofen gearbeitet. Sie haben lange nach einer Produktionshalle gesucht, nun geht es also raus aus dem Nest. "Das ist toll, den ersten Standort eines Unternehmens mitgestalten zu können, das kann man wohl nur einmal in seiner Karriere", sagt Mechtersheimer.
Früher hat hier eine Firma Plastikstühle hergestellt, die Halle ist unspektakulär. "Wir gehen mit 40 Millionen Euro nicht in irgendein Riesengebäude", sagt Mechtersheimer, "sondern wir gehen sparsam damit um und fangen an zu arbeiten". Damit meint er das Geld, das die Exploration Company gerade eingesammelt hat. Unter Führung der Investoren EQT Ventures und Red River West kamen 40,5 Millionen Euro zusammen, um Prototypen bauen zu können.
The Exploration Company will auch mit dem Transport von Menschen Geld verdienen
In Planegg will das Team bald mit der Montage einer mittelgroßen Testkapsel beginnen, Gründerin Hélène Huby nennt sie liebevoll "Teenagerkapsel". Das erste Mal ins All fliegen soll sie Ende 2024 mit einer Rakete des US-Konzerns Space-X. Agenturen wie die Esa und das DLR, aber auch Airbus, wollen mit der Kapsel Nutzlasten ins All befördern. "Wir müssen den Investoren schnell zeigen, dass wir das schaffen und damit Kunden bekommen", sagt Huby. Noch vorher soll eine kleinere "Baby-Kapsel" ins All, um Daten für das Hitzeschild zu sammeln. Das Start-up hat den 40 Kilogramm leichten Prototypen an seinem zweiten Standort im französischen Bordeaux gebaut.
2026 soll dann die große Kapsel namens Nyx folgen. Sie wird mit grünen Treibstoffen angetrieben, wiegt zehn Tonnen, und Kunden können mit ihr bis zu 5000 Kilogramm schwere Lasten ins All bringen . Beim Erstflug soll sie ein halbes Jahr lang um die Erde fliegen. "Wir gehen Schritt für Schritt vor: Space-X konnte mit einem Nasa-Vertrag gleich eine große Kapsel entwickeln, das können wir nicht machen", sagt Gründerin Huby. Sie hat Wirtschaftswissenschaften und Mathematik studiert und arbeitete bis 2021 bei Airbus für das Orion-Versorgungsmodul der Nasa. Während die mittelgroße Frachtkapsel finanziell gesichert ist, möchte Huby 2024 für Nyx Geld bei Investoren einsammeln. "Dafür brauchen wir wohl mehr als 100 Millionen Euro." Bis zum Erststart seien weitere 200 Millionen Euro nötig. Diese Summe könnte zum Teil auch mit ersten Aufträgen finanziert werden.
Das Start-up will zunächst vor allem mit dem Transport von Fracht zu Raumstationen und zum Mond Geld verdienen. Nyx wäre dann wohl die einzige europäische Kapsel, die an die ISS andocken und zudem im Erdorbit aufgetankt werden könnte, sagt Huby. Sie soll mit verschiedenen Raketen starten können und mittelfristig auch Astronauten transportieren. Die Zahl der Ziele wächst: Neben der ISS seien mindestens sechs private Raumstationen geplant. Dabei peilt das Start-up einen Kilogrammpreis von bis zu 25 000 Euro an. Zum Vergleich: Nach früheren Informationen kalkuliert die Nasa bei ISS-Zubringerflügen von Space-X mit rund 70 000 Dollar.
Die Exploration Company hat für die verschiedenen Missionen ein Modulsystem entwickelt. "Wenn wir Astronauten fliegen, brauchen wir zum Beispiel eine Druckkammer und ein Andocksystem", sagt Huby. Bei Flügen von Nutzlasten zur Mondoberfläche ist ein Landemodul nötig. "Wir machen das wie Lego oder Ikea: Die Bausteine können je nach Erfordernis kombiniert werden."
Investoren finden dieses Konzept vielversprechend. Zumal weder die Esa-Rakete Ariane noch die von Start-ups geplanten Kleinraketen solche Optionen bieten. Europa habe keine Lösung, um den künftigen Bedarf an Raumschiffen für den Transport ins All zu decken, sagt Ted Persson, Partner beim Investor EQT Ventures. Mit der Exploration Company gebe es eine Chance, "einen europäischen Akteur zu schaffen, der eine Alternative auf dem Weltmarkt darstellt" - also mit Space-X konkurrieren kann. Persson schätzt das Potenzial in diesem Bereich bis 2035 auf 70 Milliarden Dollar. "Mit dem Aufschwung privater Raumstationen wächst der Bedarf an erschwinglicher und flexibler Transportinfrastruktur."
Gründerinnen wie Hélène Huby haben das erkannt, doch brauchen sie mitunter auch Hilfe aus der Politik. Das mag ein Grund sein, warum ihr Start-up ein deutsch-französisches Unternehmen ist - damit sie gleich auf zwei Regierungen hoffen kann. "Wir brauchen die Unterstützung unserer Länder", sagt sie. Die Entscheidung, Menschen mit Esa-Programmen ins All zu fliegen, sei zum Beispiel eine politische.
Polaris will ein Raumflugzeug bauen
Nicht nur Huby hofft auf ein Signal der Politik. Rund 770 Kilometer weiter nördlich entwickelt Alexander Kopp in Bremen auch Flugmaschinen, die Menschen ins All bringen sollen. Sein Unternehmen Polaris Raumflugzeuge, ein Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), testet gerade Prototypen. Zum Beispiel eine dreieinhalb Meter lange und 120 Kilo schwere Drohne und bald auch ein neues Raketentriebwerk. Polaris untersucht für die Bundeswehr Möglichkeiten für suborbitale Überschall-Aufklärungsflüge. "Der Durchbruch kam Mitte 2021 mit dem ersten Auftrag der Bundeswehr", sagt der Ingenieur. Er hat bereits einige Investoren gefunden und will demnächst weiteres Geld im einstelligen Millionenbereich einsammeln.
Die braucht er für das eigentliche Raumflugzeug. Das 28 Meter lange dreieckige Fluggerät namens Aurora soll wie ein Flugzeug starten und an der Grenze zum All auf etwa 100 Kilometern Höhe eine Oberstufe mit Satelliten ausklinken. Die Oberstufe könne dann mit eigenem Antrieb bis zu eine Tonne vom suborbitalen Bereich in den Erdorbit fliegen, während das Raumflugzeug zur Erde zurückkehrt. Der Erstflug ist für 2026 geplant.
Die Ursprünge für dieses Konzept stammen aus jahrzehntelanger Forschung, aus der unter anderem ein Prototyp des europäischen Raumgleiters Phoenix hervorging. Eine Esa-Studie habe in den Neunzigerjahren ergeben, "dass horizontal startende Raumflugzeuge die wirtschaftlichste Lösung für den Raumtransport der Zukunft sind", sagt Kopp. Dieses Konzept habe sich aber wegen der Konkurrenz zur Ariane-Rakete nicht durchsetzen können. Kopp hat sich zehn Jahre lang beim DLR mit dem Raumtransport beschäftigt. Nun also Polaris. Vorteile gegenüber den Kleinraketen, die einige Gründer demnächst erstmals starten wollen, seien die Wiederverwendbarkeit und geringere Kosten, da keine aufwendige Start-Infrastruktur nötig sei. "Wir sind vom Preis her deshalb deutlich unter den Microlaunchern", sagt Kopp.
Er kann sich vorstellen, mit Aurora auch Menschen in den suborbitalen Bereich zu befördern, beispielsweise für Astronautentraining und Forschung. Eine größere Version des Raumflugzeugs soll dann von 2030 an Passagiere zu Raumstationen fliegen. Und mit einer zusätzlichen Stufe auch Frachten zum Mond.
Und die Marktchancen scheinen zu wachsen: Der Bank of America zufolge soll sich der Umfang der globalen Raumfahrtindustrie bis 2030 mehr als verdoppeln - auf 1,1 Billionen Dollar. Niedrigere Kilopreise, um Fracht ins All zu bringen, sollen es möglich machen, dort Geld zu verdienen. Außerdem werde Raumfahrt wohl die größte Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Und für all das werden Transportvehikel gebraucht.
Bei Spacecopter starten Satelliten zunächst mit Propellern
Die starten bislang per Trägerrakete, doch auch der Raumfahrtingenieur Sascha Larch, Mitgründer des Augsburger Start-ups Additive Space, hat mit seinem Spacecopter-Konzept eine neue dreistufige Variante entwickelt: Um Satelliten mit bis zu einer Tonne Gewicht in eine Erdumlaufbahn zu bringen, soll dabei eine kegelförmige Hauptstufe samt integrierter Oberstufe zunächst mit einer Art Drohne abheben, die 16 elektrische Propeller antreiben. Auf etwa 15 Kilometern Höhe sollen Haupt- und Oberstufe dann mit einem Triebwerk für Flüssigsauerstoff und Methan bis auf etwa 80 Kilometer Höhe durchstarten, von wo aus die Oberstufe mit den Satelliten in den Orbit weiterfliegt.
"Der Hauptvorteil ist, dass wir die Raketentriebwerke in großer Höhe nutzen, wo sie besonders effizient arbeiten können", sagt der Ingenieur, der jahrelang an Tests für die Ariane 5 beteiligt war. Drohne und Hauptstufe kehren mit Propellerkraft zur Erde zurück, "das ist ein neues Landeverfahren, das bisher noch keine andere Firma nutzt", sagt Larch. Bei Space-X lande die Falcon-Raketenstufe dagegen senkrecht im eigenen heißen Abgasstrahl. "Das ist eine hohe thermische Belastung und führt zu hohen Kosten für die Überholung der Stufe", sagt er.
Die Oberstufe von Spacecopter soll zunächst in der Atmosphäre verglühen. Langfristig möchte Larch aber das komplette System mehrfach nutzen können. Er sieht deutliche Vorteile zu Einweg-Kleinraketen von Start-ups wie Isar Aerospace. Bevor er sein Konzept verwirklichen kann, sucht auch er Investoren, zunächst für 1,5 Millionen Euro. "Bis zum ersten Start brauchen wir dann etwa 160 bis 180 Millionen Euro", sagt er. Der ist für etwa 2027 geplant.