Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Mission in Gefahr

Projekte verzögern sich, Investoren halten sich zurück: Die Aufbruchstimmung bei den deutschen Start-ups der Raumfahrtbranche ist wenige Monate nach der erfolgreichen Esa-Ministerratskonferenz schon wieder dahin. Die Finanzierungsklemme könnte für viele das Aus bedeuten.

Von Dieter Sürig

Sie wollen Kleinraketen bauen, Minisatelliten oder zum Mond fliegen: Nach der Ministerratskonferenz der Raumfahrtagentur Esa im November waren die deutschen Start-ups der Branche zuversichtlich - zumal die Mitgliedsstaaten ein Rekordbudget für die kommenden Jahre beschlossen hatten. Doch nun könnte die Corona-Krise für die jungen Unternehmen einen herben Rückschlag bedeuten. "Investoren und Kunden sind gerade sehr zurückhaltend", sagt Matthias Wachter vom Industrieverband BDI, "die Krise trifft diesen Sektor überproportional".

Der BDI hat gerade 75 Firmen befragt, die im deutschen New-Space-Bereich unterwegs sind. Demnach sehen sich die Start-ups durch Planungsunsicherheit, Umsatzeinbrüche, verzögerte Ausschreibungen und Förderprogramme gebremst. Vom bisherigen Optimismus ist jedenfalls nicht viel übrig geblieben, immerhin 36 Prozent der Gründer bewerten die jetzige Situation als "dramatisch und existenzbedrohlich", weitere 53 Prozent sehen zumindest "weitreichende" Konsequenzen auf sie zukommen.

"Die Zahlen sind alarmierend", sagt BDI-Raumfahrtexperte Wachter, der jedoch auch eine Chance in der Krise sieht - und eine mögliche Lösung. So sei die Kommunikation über das Internet - wie jetzt in Krisen- und Home-Office-Zeiten - ohne Satelliten nicht denkbar. Ein Beleg für die Chancen könnte die Firma Mynaric sein: Das börsennotierte Laserkommunikationsunternehmen aus dem Süden von München baut seine Mannschaft trotz der Krise gerade aus und beginnt mit der Serienfertigung von Laserterminals für Satelliten. "Die globale Pandemie hat nur allzu deutlich gemacht, wie wichtig Konnektivität für die Gesellschaft ist, wenn traditionelle Methoden der menschlichen Interaktion unmöglich sind", so das Unternehmen.

"Wenn die Krise zu lange dauert, könnten viele Start-ups auf der Strecke bleiben."

Die Frage ist nur, wie viele deutsche Gründer mitmischen können. "Wenn die Krise zu lange dauert, könnten viele Start-ups auf der Strecke bleiben", sagt Wachter. Laut BDI fürchten 30 Prozent der Firmen, dass die Finanzierung nun schwieriger werde, Geldgeber würden sich auf bestehende Investments konzentrieren. Abhilfe schafft da womöglich ein Zwei-Milliarden-Euro-Programm, das die Bundesregierung speziell für Start-ups aufgelegt hat, um die Finanzierung mit Wagniskapital auch im New-Space-Bereich zu erleichtern. Damit "stellen wir sicher, dass innovative Start-ups aus Deutschland weiterhin ihre Finanzierungsrunden erfolgreich bestreiten können", sagt der Raumfahrtbeauftragte der Regierung, Thomas Jarzombek.

So soll die private Finanzierung mit Hilfe öffentlicher Kapitalgeber wie KfW-Bank und Europäischer Investitionsfonds abgesichert werden. Ferner soll die KfW einen Zukunftsfonds für Start-ups mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro über zehn Jahre aufsetzen. Wachter begrüßt das Programm als "sehr zielgerichtet und hilfreich". Zumal viele Space-Start-ups mit den bisherigen Corona-Hilfen des Bundes nicht viel anfangen können, wie die BDI-Studie ergab. 44 Prozent halten die Hilfen für nicht oder wenig hilfreich.

Beispiel Kredite: "Meine Bank sagt, dass sie das KfW-Geschäft nicht interessiert, und zudem fordert sie für 100 Prozent des Kredits eine gesamtschuldnerische Haftung aller Gesellschafter", sagt Ernst Pfeiffer, Sprecher des deutschen Raumfahrtmittelstandes, der den Münchner Raumfahrtzulieferer HPS führt. Dies sei für Start-ups unrealistisch. Womöglich kann hier die diskutierte volle Staatshaftung greifen.

Pfeiffer sieht aber weitere Risiken, die aufgefangen werden müssen. Da sich Projekte verzögern, blieben Zahlungen aus: "Wir erreichen unsere Meilensteine erst später, haben aber die Kosten." Zumindest die Raumfahrtagentur Esa biete nun "vorgezogene Teilzahlungen, da basiert viel auf Vertrauen". Im Sommer könnte in der Branche zudem Kurzarbeit angesagt sein, weil Programme wie die neue Generation des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus wohl erst später starten. In 80 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen werde es "schlimmstenfalls bis Ende 2020 eine Unterbeschäftigung geben", so Pfeiffer. Zudem sinke im Homeoffice die Effizienz um 30 bis 50 Prozent. Pfeiffer fürchtet einen Dominoeffekt: Banken verweigern Kredite, Investoren ziehen sich zurück.

Matthias Wachter vom BDI sieht jedoch eine Lösung: Er schlägt vor, Abschied von langwierigen Förderverfahren zu nehmen und die jungen Firmen stattdessen direkt zu beauftragen. "Mehr als 90 Prozent der Gründer in dieser Branche wünschen sich da einen Systemwechsel wie in den USA." Dort trete der Staat als "Ankerkunde" auf, anstatt nur Fördermittel zu vergeben. Möglichkeiten sieht Wachter etwa in Forschung, Erdbeobachtung, Verteidigung und Entwicklungspolitik. Das Raketenprogramm der Esa vergebe zum Beispiel Aufträge direkt an Firmen. Auch das DLR, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder die Bundeswehr seien als Auftraggeber denkbar. "Die Krise sollte genutzt werden, um den Einstieg in den Systemwechsel zu starten."

Damit würde für Start-ups auch eine andere Hürde wegfallen: "Bei Förderungen müssen sie bislang einen Eigenanteil nachweisen, was ein Problem ist, wenn noch keine Einnahmen da sind", sagt der Kölner Raumfahrtjurist Ingo Baumann. Erleichterungen würden hier helfen, er fordert deshalb auch: "Weniger fördern und dafür mehr beschaffen". Berater Rainer Horn von Spacetec Partners sieht darin auch eine Chance, dass Start-ups unabhängiger von den öffentlichen Fördertöpfen werden: "Wir müssen sehen, dass sich die Firmen auch kommerziell ausprobieren können". Zumal die Zeit risikofreudiger Geldgeber erst einmal vorbei sei. "Warum sollte sich ein Investor gerade jetzt in die Raumfahrt vertiefen, wenn er in anderen Branchen Start-ups findet, deren Geschäftsmodell er versteht?", so Horn. Und eines ist für ihn auch absehbar: "Firmen werden in der nächsten Finanzierungsrunde wohl niedriger bewertet werden als bisher." Weniger Geld, weniger Innovationen, weniger Kunden - die Branche steckt in einem Teufelskreis.

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SZ vom 06.04.2020
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