Raumfahrt:Experimente in der Schwerelosigkeit

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In solchen Boxen haben die Gründer des Start-ups Yuri für die Universität Magdeburg Experimente mit Tumorzellen aus der Schilddrüse auf der Raumstation ISS untergebracht. (Foto: Jesper Rais)

Das Start-up Yuri schickt Zellkulturen und andere wissenschaftliche Versuche in die Schwerelosigkeit. In ein paar Jahren wollen die Gründer selbst zur Biotechfirma werden.

Von Dieter Sürig, München

Mark Kugel hält einen Quader vor die Webkamera. Der Behälter ist zehn mal zehn mal zehn Zentimeter groß und kann drei wissenschaftliche Experimente aufnehmen. Mit der "Sciencebox" können Forscher zum Beispiel Zellkulturen auf die Internationale Raumstation ISS schicken. Wissenschaftler, die unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit forschen wollen, müssen sich nicht an die US-Raumfahrtbehörde Nasa wenden, sondern können Vermittler solcher Forschungsplätze kontaktieren. Dabei werden sie auch im oberschwäbischen Meckenbeuren nahe Friedrichshafen fündig. Dort sitzt das Start-up Yuri, das Mark Kugel mitgegründet hat. Neben einem Wirtschaftsingenieurstudium hatte der 30-Jährige schon die Verleih-Plattform Useley betrieben. Dann traf er bei einem Gründerevent seine künftigen Mitstreiter: die Raumfahrtingenieure Maria Birlem, Christian Bruderrek und Philipp Schulien, die bei Airbus Erfahrungen mit Nutzlasten für die ISS gesammelt hatten. Gemeinsam mit Kugel bauen sie seit 2019 Yuri auf und bringen biologische Forschung auf ISS, Raketen oder Parabelflüge.

"Wir haben viel Potenzial gesehen, die Schwerelosigkeit für die Bedürfnisse kommerzieller Kunden zu nutzen", sagt Kugel zu den Motiven der Gründer - dies insbesondere in der Biotechnologie. "Zellkulturen für die Medikamentenforschung wachsen dort zum Beispiel in alle Dimensionen, das kann sogar auch Tierversuche ersetzen - besser als in der Petrischale." Oder Proteinkristalle: Die wachsen in Schwerelosigkeit in besserer Qualität, so könnten Medikamente oder Impfstoffe effektiver entwickelt werden. Und da es zunehmend Bedarf dafür gibt, wollen die Gründer mittelfristig nicht nur Spediteur ins All sein, sondern selbst Biotech-Produkte entwickeln. "Das könnten komplexe 3-D-Zellkulturen, Stammzellen oder Organoide sein", ergänzt Business-Development-Manager Frederik Keuch, 25. Yuri will diese Produkte dann an Pharmafirmen verkaufen, die diese für die Medikamentenentwicklung brauchen.

Schon jetzt entwickelt das Unternehmen Bioreaktoren, in denen Zellexperimente automatisiert ablaufen. Dazu haben die Gründer von der Luxemburger Raumfahrtagentur einen Förderauftrag über vier Millionen Euro erhalten. Diese "Science Taxis" von der Größe einer Mikrowelle sind jedoch nicht für die ISS gedacht, sondern für Raumkapseln wie Dragon von Space-X, und sollen erstmals 2023 fliegen. Diese seien flexibler und können auch die Gravitation auf Mond und Mars simulieren. Für Keuch sind solche Reaktoren der erste Schritt für eine Fabrik mit Bioprintern im Orbit. "Langfristig könnten wir hier sogar ganze Organe in 3-D drucken", sagt er. "In einer Art und Weise, wie es auf der Erde nie möglich sein wird." In der Schwerelosigkeit könnten große biologische Strukturen ohne künstliche Gerüste und wesentlich schneller gedruckt werden.

Forscher bekommen eine Rundumbetreuung

Schwerpunkt der Firma Yuri, deren Name an den ersten Menschen im All, Yuri Gagarin, erinnern soll, bleibt aber zunächst der Transport. "Wir wollen die Schwerelosigkeit demokratisieren", sagt Kugel - sprich: Wissenschaftliche Versuche im All sollen für die Kunden erschwinglich sein. Yuri kooperiert dafür mit diversen Firmen, die Kapazitäten auf der ISS haben, und legt neben dem Platz und den Bioreaktoren noch einen Rundumservice drauf. Wem drei Minuten Schwerelosigkeit für ein Experiment reichen, der ist pro Kilogramm mit 10 000 Euro auf einem suborbitalen Flug dabei. Für Versuche auf der ISS werden nach Angaben Keuchs 95 000 Euro fällig, um eine Ein-Kilo-Sciencebox mit bis zu vier Experimenten 30 Tage lang im Labor der Raumstation zu betreiben. "Die Wissenschaftler werden trainiert, fliegen zum Startplatz nach Cape Canaveral in unser Labor und kultivieren dort die Zellen", sagt Keuch. Aus der ISS erhalten sie täglich Daten, Bilder und Videos, nach der Rückkehr der Experimente zur Erde bekommen sie diese innerhalb von zwei Tagen ins Haus. Yuri arbeitet zudem an einem Echtzeit-Mikroskop, mit dem die Wissenschaftler Experimente live verfolgen können. ISS-Astronauten sind meist nicht beteiligt, es sei denn, eine Fruchtfliegenpopulation muss verkleinert werden, was auch schon passiert sei.

Die Gründer haben bereits Versuche mit neuronalen Stammzellen der Nasa und der University of California auf die ISS gebracht und für den Pharmakonzern Glaxo Smith Kline ein Proteinexperiment, das helfen soll, die Lebensdauer von Medikamenten zu verbessern. Im Juni will Yuri für die University of Technology in Sydney Krebszellenkulturen zur Raumstation schicken, um dort zu untersuchen, inwiefern Zellen in der Schwerelosigkeit schneller absterben.

Im Sommer ist eine Investitionsrunde geplant

Den bislang größten Auftrag im Wert von einer knappen Million Euro haben die Gründer gerade erst bekommen: Gefördert von DLR und Bundeswirtschaftsministerium, soll ein Experiment der Berliner Charité den Einfluss des Weltraums und der Schwerelosigkeit unter anderem auf menschliche Muskelzellen untersuchen. Ferner wollen Wissenschaftler der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt bei Knochenmarkexperimenten neue Erkenntnisse über das menschliche Immunsystem gewinnen. "Ankeraufträge vom Staat sind sinnvoll, damit Start-ups nicht so behandelt werden wie ein Projekt für 'Jugend forscht'", sagt Kugel.

Solche Aufträge haben bislang für den Aufbau des Unternehmens ausgereicht, doch planen die Gründer nun eine Investitionsrunde. "Bis zum Sommer wollen wir bis zu zwei Millionen Euro bei Investoren einsammeln", sagt Kugel. Das Geld soll dann auch den Wandel zur Biotechfirma vorantreiben - für die Zeit nach der ISS, wie er sagt. "2025 wollen wir eine reguläre Biotechfirma sein, die im All produziert." Kugel sieht dafür ein riesiges Potenzial, "wenn wir es schaffen, bessere Medizinprodukte im All zu produzieren".

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