RaumfahrtEU droht Blamage mit Internetsatelliten

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Start der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 vor zwei Wochen am Esa-Startplatz in Kourou/Französisch-Guayana. Die Rakete soll die Iris²-Satelliten in den Orbit bringen.
Start der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 vor zwei Wochen am Esa-Startplatz in Kourou/Französisch-Guayana. Die Rakete soll die Iris²-Satelliten in den Orbit bringen. (Foto: S. Corvaja/dpa)

Mit Iris² sollten Europa und Afrika ein schnelles und sicheres Internet bekommen. Doch das Projekt steht womöglich vor dem Aus. Wie es dazu kommen konnte.

Von Dieter Sürig

Eigentlich plant die Europäische Kommission in den kommenden Jahren ein Breitbandsatellitennetz namens Iris² im Erdorbit aufzubauen. Als Antwort auf das Starlink-Netz von Elon Musk soll es Hunderte Satelliten umfassen und bis 2027 online sein. Die EU will damit vor allem Europa und Afrika mit einem schnellen und sicheren Internet versorgen. Doch seitdem es um die Kosten geht, ist das Projekt ins Stocken geraten.

Nach Angaben aus Brüssel sollte Iris² über eine Laufzeit von zwölf Jahren sechs Milliarden Euro Steuergeld kosten, weitere 2,5 Milliarden Euro sollte die Industrie investieren. Nachdem aber die Kommission einen verbindlichen Festpreis gefordert und das beteiligte Konsortium aus verschiedenen Firmen den Preis erheblich gesteigert haben soll, liege trotz der bisherigen Frist 1. Juli noch kein Angebot auf dem Tisch, so ist zu hören. Von einem Gesamtpreis von zwölf Milliarden Euro ist bereits die Rede. Verhandlungen sollen nun das Projekt retten, die Beteiligten haben noch Zeit bis zum 2. September. Dies sei der letzte Termin, um die Verträge noch während der Amtszeit der bisherigen Kommission unterzeichnen zu können. Sollte dies nicht klappen, könnte die Kommission das Verfahren stoppen.

Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, hat schon 2020 europäische Breitbandsatelliten gefordert.
Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, hat schon 2020 europäische Breitbandsatelliten gefordert. (Foto: Johannes Neudecker/dpa)

Steht das dem Projekt nun bevor? Denn Airbus und Thales Alenia Space (Tas), die bisher in dem Konsortium mit dem Namen Spacerise (Space Consortium for a resilient, interconnected and secure Europe) den Ton angaben, kündigen an, aussteigen und sich nur noch als Zulieferer beteiligen zu wollen. Zuvor hatte La Tribune darüber berichtet. Das Schreiben, das der SZ vorliegt, ging an die anderen beteiligten Firmen des Konsortiums, die Satellitenbetreiber Eutelsat, Hispasat und SES. Man sei „zu dem Schluss gekommen, dass die Mindestvoraussetzungen für ein erfolgreiches Projekt unter vernünftigen wirtschaftlichen Bedingungen und für die Abgabe eines Angebots nicht erfüllt sind“, heißt es.

Zwar benötige Europa dringend ein souveränes Breitbandsatellitennetz. Doch „der geringe Reifegrad des technischen Konzepts“, große Unsicherheiten bei den Investitionsbedingungen sowie Projektkosten und Finanzierung würden es weder Airbus noch Thales Alenia erlauben, „ein solches Angebot einzureichen“. Von einem „unkalkulierbaren Risiko“ ist die Rede, zumal das Konsortium das Satellitennetz auch noch betreiben müsste. Voraussetzung für eine ausgereifte technische Lösung sei eine zwölfmonatige Vorvertragsphase, fordern Airbus und Thales Alenia. Beide Konzerne würden dann als Zulieferer ohne Gesamtverantwortung in das Kernteam stoßen, auf das sich das Konsortium stützt. Dazu gehören bisher die Deutsche Telekom und OHB sowie Orange, Hisdesat, Telespazio und der Tas-Mutterkonzern Thales Group. Weder Airbus noch Tas wollten sich zu dem laufenden Ausschreibungsverfahren äußern.

Ob die Europäische Kommission das Projekt in der jetzigen Form noch retten kann, ist unklar. „Da das öffentliche Ausschreibungsverfahren noch läuft, können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Informationen geben“, sagt eine Sprecherin. „Die Kommission versucht bisher, eine neue Ausschreibung zu vermeiden. Es knirscht jedoch an allen Ecken und Enden“, sagt Matthias Wachter vom Industrieverband BDI zur SZ. Sollte es zu keiner Verständigung zwischen Industrie und Kommission kommen, „sollte eine neue Ausschreibung mit einem neuen Ansatz kein Tabu sein“, sagt er. „Klar ist, Europa braucht für seine Souveränität eine eigene Satellitenkonstellation für Kommunikationsdienste.“

Das Finanzierungsmodell hat schon beim EU-Navigationssystem Galileo nicht funktioniert

Wachter sieht seine früheren Bedenken wegen des fehlenden Wettbewerbs bestätigt. Zudem seien potenzielle Nutzer wie in Deutschland Industrie und Bundeswehr nicht eingebunden worden. „Wir haben die Ausschreibungsbedingungen und den Ausschluss von Start-ups von Anfang an kritisch gesehen“, sagt Wachter. Schon während der Ausschreibungsphase hatte es zwischen Berlin und EU-Kommissar Thierry Breton Streit über die Beteiligung von Start-ups und mittelständischen Unternehmen (KMU) an dem Projekt gegeben. Auch der Vorwurf, Breton überstürze sein Vorgehen, stand im Raum.

Die Kommission hat trotzdem nur ein Industriekonsortium damit beauftragt, ein Angebot aufzusetzen, die ersten Verträge sollten längst unterzeichnet sein. BDI-Raumfahrtexperte Wachter kann andererseits nachvollziehen, „dass die Unternehmen, die die Konstellation aufbauen, nicht auch die Finanzierung organisieren wollen“. Dieses Modell habe bereits bei den EU-Galileo-Navigationssatelliten nicht funktioniert, bei der zunächst auch eine öffentlich-private Partnerschaft gescheitert war. Und das Problem mit den kleineren Firmen, die einen Anteil von 30 Prozent an dem Projekt erhalten sollen, hat Breton so gelöst, dass das Konsortium Start-ups und KMU entsprechend beteiligen soll.

Wachter findet, dass die Bundesregierung endlich klar definieren sollte, ob und wie sie Iris² eigentlich nutzen will. Zumal die Bundeswehr schon gesagt habe, sie brauche die Konstellation nicht. „Aus Sicht der Industrie könnte man Iris² beispielsweise auch für Zukunftsthemen wie das vernetzte Auto, autonomes Fahren oder die Industrie 4.0 nutzen“, sagt er. „Die Bundesregierung hat hinsichtlich einer eigenen Satellitenkonstellation zu wenig Ambitionen“, kritisiert er. „Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit zu wenig gelernt.“ Die Bundesregierung unterstützt das Projekt aber weiterhin: Sichere und robuste Satellitenkommunikationsdienste seien „für die institutionellen und kommerziellen Nutzer in Europa unentbehrlich“, hieß es am Mittwoch aus dem Bundeswirtschaftsministerium. „Aus diesem Grund unterstützen wir die Europäische Kommission, den laufenden Prozess zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.“

Bleibt die Frage, ob die verbleibenden Konsortiumsmitglieder die geforderte Verantwortung und Finanzierung stemmen können. Airbus und Tas dürften auch deswegen umschwenken, weil sie sich im Spacebereich keine unkalkulierbaren Verluste aufbürden wollen. Nicht zuletzt reden beide nach Reuters-Angaben über einen Zusammenschluss ihres Satellitengeschäfts. Und auf die Schnelle ein anderes Konsortium zu verpflichten, dürfte alles andere als trivial sein.

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