Raumfahrt:Neuer Schub für Ariane 6

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Modell der Kickstage, die die Ariane-Group in Bremen entwickelt und baut. Sie soll die neue Trägerrakete Ariane 6 ergänzen. (Foto: Frank T. Koch/Ariane Group/oh)

Während sich der Erstflug der europäischen Rakete weiter verzögert, arbeitet die Industrie daran, sie zu verbessern - und günstiger zu machen.

Von Dieter Sürig

Ein Video der Ariane-Group erlaubt einen kurzen Blick in die Zukunft: Wenige Minuten nach dem Start der Ariane-Rakete setzt sie im Erdorbit einen großen Satelliten aus. Anschließend klinkt sie die sogenannte Kickstage aus, eine kleine zusätzliche Raketenstufe mit weiteren Satelliten, die durchstartet und andere Umlaufbahnen ansteuert, um diese dort zu platzieren. 2024 soll die Stufe namens Astris erstmals im Einsatz sein und die Asteroidensonde Hera in die Tiefe des Alls schießen, um bei einem Projekt der Raumfahrtagenturen Esa und Nasa Möglichkeiten der Asteroidenabwehr zu testen.

Die Ariane-Group hat nun den Zuschlag von der Esa für die Entwicklung und den Bau der Kickstage bekommen. Budget: 90 Millionen Euro. Neben dem Rostocker Mittelständler RST und dem börsennotierten österreichischen Aerospace-Unternehmen FACC ist auch das Berliner Start-up PTS als Zulieferer an Bord. Die Gründer, die vor ihrer zwischenzeitlichen Insolvenz als PT Scientists eine Mondfähre entwickelt hatten, können ihre Expertise bei der Avionik einbringen. Dazu zählen Betriebssystem, Flugsoftware und Elektronik. "Wir haben damit die Möglichkeit, unsere gesamte Avionik im Weltall zu zertifizieren", sagt Gründer Robert Boehme.

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Das Konsortium wird mindestens vier Kickstufen pro Jahr bauen. "Die zusätzliche optionale Stufe erweitert das Ariane-Profil", sagt Deutschland-Chef Pierre Godart. So seien damit Doppelstarts möglich, um zusätzlich mehrere Orbits ansteuern zu können. Dies ist zum Beispiel für Internet-Satelliten interessant, die in verschiedenen Orbits platziert werden müssen. Und Satelliten mit elektrischem Antrieb kann Astris schneller in ihre Umlaufbahn bringen.

Die Zusammenarbeit mit Start-ups soll neue Ideen ins Unternehmen bringen

Während die Kickstufe in Bremen entwickelt wird, kommt das mehrfach zündbare Berta-Triebwerk aus Ottobrunn bei München und Lampoldshausen. "Diese Bündelung unserer Kompetenzen stärkt die Rolle Deutschlands beim Bau der Ariane 6", sagt Godart. Und es gibt bereits Überlegungen, die Kickstage auch nach ihrem eigentlichen Einsatz zu nutzen. "Das ist ein cooles Potential, zumal noch genug Treibstoff und Energie vorhanden ist", sagt Robert Boehme von PTS, "zum Beispiel als Technologieplattform oder um gezielt Weltraumschrott zum Verglühen zu bringen."

Godart freut sich über solche Vorschläge. "Wir arbeiten mit Start-ups zusammen, damit sie neue Ideen ins Unternehmen bringen", sagt er. "Wir haben zwar die Technologie und das Know-how, aber wir sind nicht unbedingt diejenigen, die wie Start-ups agieren." Zumal die Ariane-Group nicht nur sehnlichst auf den Erststart der Ariane 6 wartet, der sich wegen letzter Tests und Corona womöglich bis Ende 2022 verzögert, sondern bereits an Technologien für künftige Raketen arbeitet. Dazu zählen Konzepte, Festtreibstoffe mit umweltfreundlicherem Flüssig-Sauerstoff und -Wasserstoff zu ersetzen. Und die Esa hat erst im Mai 130 Millionen Euro für das wieder verwendbare Methan-Triebwerk Prometheus genehmigt. Dies könnte auch durch 3D-Druck 90 Prozent günstiger werden als das bisherige Vulcan-Triebwerk. "Ob wir das hinbekommen, wissen wir noch nicht, aber selbst 80 Prozent wären ein Wort", sagt Godart.

Mit dem Projekt Themis will das Unternehmen bald das vertikale Landen einer Raketenstufe testen, so wie US-Konkurrent Space-X es vorgemacht hat. Ferner zahlt die Raumfahrtagentur 15 Millionen Euro für eine leichtere Carbon-Oberstufe. OHB-Tochter MT Aerospace und Ariane-Group entwickeln diese, um zwei Tonnen mehr Nutzlast mitnehmen zu können und so Kosten zu senken.

Für Space-X gelten andere Marktbedingungen

Godart will Space-X aber nicht kopieren. "Dass die Ariane 6 schon veraltet sei, weil sie nicht wiederverwendbar ist, das stimmt einfach nicht", sagt er. Auch wenn die Esa-Länder den Bau bereits 2014 beschlossen haben. Er fühlt sich dadurch bestätigt, dass von den ersten 14 Ariane-6-Raketen bereits fast alle verkauft seien. "Wir würden heute die gleiche Entscheidung wieder treffen, weil wir in Europa ganz andere Marktbedingungen haben als in den USA." Damit meint er, dass es dort jedes Jahr etwa 25 institutionelle Flüge der Nasa und anderer Auftraggeber gibt, in Europa aber nur ein Fünftel davon. Ariane-Group sei zu 70 Prozent von kommerziellen Aufträgen abhängig, Space-X mit nur 30 Prozent könne "extrem aggressive Preise" fahren. "Wenn Sie wenige Raketen starten und wiederverwendbar machen, dann bauen Sie eine, zwei pro Jahr", sagt Godart. "Damit haben Sie Ihre Produktion aber nicht ausgelastet, und Sie bekommen Qualitätsprobleme. Das trägt sich wirtschaftlich nicht." Trotzdem müsse Ariane-Group diese Technologie beherrschen, "weil sich der Markt entwickelt und verändern kann."

Solche Ideen fließen bei Studien für ein Raumtransportsystem der Dreißigerjahre mit ein, die die Esa an drei Konsortien vergeben hat, auch an Ariane-Group. "Wir müssen uns noch mehr Gedanken darüber machen, was neben Kosten, Wiederverwendbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit wichtig ist", sagt Esa-Direktor Daniel Neuenschwander. Er kann sich etwa auch eine CO₂-freie Rakete vorstellen - im Sinne des "Green Deals" der EU. Er plädiert aber auch für eine effizientere Organisation beim Bau der Ariane und der kleineren Schwester-Rakete Vega in Italien. "Wir kennen die Stärken und Schwächen der jetzigen Systeme und haben eine klare Vorstellung, wie wir die Industriestruktur optimieren können", sagt er, ohne Details zu nennen.

"Wir müssen beim Bau der europäischen Trägerrakete noch schneller und effizienter werden", sagt auch Godart, dazu sei ein Schulterschluss von Industrie und Raumfahrtagenturen nötig. Es sei aber wichtig, die "hohe Kreativität und Ingenieure aus vielen Kulturen" einzubeziehen - "das gehört zu den Wurzeln Europas." Bestes Beispiel sei Airbus: "Die sind erfolgreich mit mehreren Standorten und Kulturen." Godart wünscht sich eher eine weitere Spezialisierung der Produktionswerke - ohne Redundanzen.

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