Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:"Der Mond bietet auch die Gelegenheit, Geld zu verdienen"

Jahrzehntelang war der Mond out - jetzt wollen alle wieder dahin. Jan Wörner, Chef von Europas Raumfahrtbehörde, erzählt, was es mit seinem großen Plan vom Moon Village auf sich hat.

Interview von Hans von der Hagen und Dieter Sürig

Europas Tor zum Weltraum, wie sich die Esa selbst bezeichnet, ist in Darmstadt streng bewacht. Sind die Taschen durchleuchtet und die Schranken überwunden, empfängt einen zwischen grauen Gebäuden eine erstaunlich bunte Welt. Hier das Modell einer Ariane-Rakete, dort die Modelle von Sonden, die den Merkur oder auch mal einen Kometen ansteuern. Esa-Chef Jan Wörner, 64, Herr über die knapp sechs Milliarden Euro, die die Esa-Mitgliedsstaaten für die Raumfahrt zahlen, hat in den grauen Gebäuden sein Büro. Meist ist er aber unterwegs: Paris, Rom, Washington, Houston, Moskau. Nur nicht im Weltraum.

SZ: Herr Wörner, China hat gerade einen Rover auf der Rückseite des Mondes gelandet und damit viel Aufmerksamkeit bekommen. Würde die nicht auch der Esa ganz guttun?

Jan Wörner: Die haben wir doch. Alexander Gerst war gerade ein halbes Jahr auf der ISS, er begeistert viele Leute. Und zum Mond wollen wir auch: Mit den Raumfahrtagenturen Nasa und Roskosmos haben wir konkrete Pläne. Außerdem läuft gerade die Exomars-Mission, bei der 2020 ein Rover nach Leben auf dem Mars suchen soll.

Ist damit wie in den Sechzigerjahren der Wettlauf zwischen den Nationen um Pioniertaten im All wieder entbrannt?

Zweifellos geht es auch immer wieder um Dinge, die zum ersten Mal gemacht werden. Aber die Gesamtsituation ist heute doch etwas anders. Globale Kooperation steht im Vordergrund und ist unsere Grundlage. Das schließt China mit ein.

Warum ist der Mond plötzlich wieder so wichtig?

Der Mond ist so etwas wie ein 3,7 Milliarden Jahre altes Archiv der Erde. Wir waren noch nicht an den Polen des Mondes. Und die Rückseite des Mondes liegt im Schatten aller Strahlung, die von der Erde kommt. Darum gibt es von dort aus einen viel besseren Blick ins All. Der Mond wird vielleicht auch touristisch ein Ziel werden. Irgendwann werden wir auf dem Mond Urlaub machen. Und wenn der Mensch weiter ins Weltall geht, werden notwendige Technologien und Produktionsverfahren auf dem Mond entwickelt werden können. Dabei geht es auch um Ressourcen.

Was kann man dort finden?

Anders als in der Vergangenheit wird man in Zukunft die vorhandenen Materialien vor Ort nutzen, zum Beispiel Regolith.

Dafür wollen Sie das "Moon Village" bauen. Ein Dorf mit Kirche?

Da möchte ich gleich einem Missverständnis vorbeugen. Die Esa will dort nicht selbst etwas bauen. Es soll dort auch kein Dorf im irdischen Sinn entstehen. Das Moon Village ist für mich eine permanente Forschungsstation wie die Neumayer-Station in der Antarktis.

Für welche Branchen ist das interessant?

Für alle. Als Esa wollen wir Firmen zusammenbringen, die dort etwas machen wollen, auch Unternehmen aus dem Nicht-Raumfahrt-Sektor. Bisher haben weltweit mehr als 80 Einrichtungen Interesse bekundet. Der Mond bietet auch die Gelegenheit, Geld zu verdienen.

Wie schauen die Esa-Pläne konkret aus?

Gemeinsam mit den Amerikanern wollen wir das "Lunar Gateway" realisieren, eine kleine, nicht permanent bewohnte Station in Mondnähe. Das ist sozusagen die Bushaltestelle, um auf die Oberfläche zu kommen. Mit den Russen sind wir für zwei Landemissionen im Gespräch.

Airbus entwickelt bereits Konzepte für das "Gateway", Jeff Bezos' Blue Origin einen Mondfrachter. Was gibt es für Firmen auf dem Mond selbst zu tun?

Aus dem Mondsand lässt sich etwa Beton herstellen. So können wir strahlungssichere Strukturen für Astronauten oder ein Radioteleskop auf der Rückseite des Mondes bauen. Und aus dem Wasser, was auf dem Mond vorhanden ist, können wir Trinkwasser, aber auch Treibstoff gewinnen.

War Ihre Ausbildung als Bauingenieur eine treibende Kraft beim Moon Village?

Als ich erstmals davon gesprochen habe, dachte ich gar nicht daran, was daraus werden würde. Meine Überlegung war nur, dass sich dort Länder und Akteure zusammenfinden und zusammenarbeiten könnten. Der eine liefert die Energie, der andere den Transport, der Dritte den Bohrer.

Reicht die Raumstation ISS nicht mehr?

Die Überlegung war tatsächlich: Was hat die ISS bisher geliefert und was davon brauchen wir, wenn die ISS nicht mehr genutzt werden kann? Sie liefert Versuche in der Schwerelosigkeit. Die sind wichtig, weil sich Materialien, aber eben auch die Biologie in der Schwerelosigkeit anders verhalten als auf der Erde. Das werden wir weiter brauchen. Eine weitere Funktion der ISS ist die Internationalität. Auf der Raumstation wurden bisher Versuche von etwa 100 Ländern umgesetzt. Aber aufgrund der geltenden Regelungen sind die direkten Beteiligten lediglich die USA, Russland, Kanada, Japan und Europa.

Und das soll beim Moon Village anders funktionieren?

Ja, denn der Zugang zum Mond ist für jeden offen. Dann können auch Länder wie China und Indien dabei sein, was auf der ISS bisher nicht möglich war. Wir treffen uns dort und bauen gemeinsam etwas auf.

Und wann werden wieder Astronauten auf dem Mond landen?

In weniger als zehn Jahren.

Elon Musk will sogar zum Mars fliegen. Ist das realistisch?

Sicherlich. Aber die große Frage ist: wann? Eine Reise zum Mars und zurück dauert mit heutigen Möglichkeiten zwei Jahre, das ist aus gesundheitlicher Sicht neben der Frage der Strahlung sehr lang. Wenn ein Astronaut nach sechs Monaten Reise in der Schwerelosigkeit auf dem Mars ankommt, müsste er allein zurechtkommen.

Bei Musk, Bezos & Co. stecken ja immer auch Träume hinter dem wirtschaftlichen Kalkül und vielleicht auch ein bisschen Wahnsinn. Bei Ihnen auch?

Ich bin am Anfang auch für die Moon-Village-Idee sehr kritisiert worden. Das war damals, 2015, für einige schon ein Schritt zu weit. Ich bekomme häufig die Frage nach dem nächsten großen Ding. Das wird erwartet von der Raumfahrt. Die aktuelle Merkur-Mission Bepicolombo halte ich für ein großes Ding. Im Nachhinein gilt auch die Rosetta-Kometenmission als gutes Beispiel dafür. Sie hat 20 Jahre gebraucht, bis sie von der Öffentlichkeit entdeckt wurde. Ich war noch Unipräsident, als ich über Rosetta geredet habe, da hatte es keinen interessiert. Am Schluss war es ein toller Hype.

Sie waren da schon raumfahrtaffin?

Das bin ich seit 1957, als die Russen den ersten Satelliten ins All geschossen haben. Mein Vater hat mich auf den Arm genommen und gesagt, Junge da oben fliegt Sputnik. Ich hab's nicht gesehen, aber wenn Ihr Vater das sagt, dann glauben Sie das. Danach habe ich alle Raumfahrtmissionen verfolgt. Ich war total fasziniert von der Raumfahrt.

Früher haben spektakuläre Ereignisse die Raumfahrt spannend gemacht, heute sind es Menschen wie Elon Musk. Ist das jetzt nicht auch Ihr Job?

Die Mitgliedsländer erwarten, dass die gesamte Breite der Raumfahrt abgedeckt wird, Raumfahrt ist heute eben auch täglich genutzte Infrastruktur. Aber zu Musk gäbe es natürlich viel zu sagen, was er macht oder was er nicht macht und wie das am Ende in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Was meinen Sie konkret?

Als wir 2016 zum Mars flogen und die Landung von Schiaparelli, dem Marslander, am Ende nicht vollständig funktionierte, hieß es: erneutes Versagen der Esa. Wir wollten das Landen auf dem Mars "lernen". Fast alles lief ja auch glatt: das Eintreten in die Marsatmosphäre, die Öffnung des Fallschirms. Dann gab es ein Softwareproblem, und das Triebwerk stellte sich nach drei Sekunden wieder ab. Darum sind wir aus 3,7 Kilometern Höhe auf die Marsoberfläche gefallen.

Das ist ja auch nicht schön, ein Absturz ...

Stopp! Die Landung war nur als Zusatzaufgabe gedacht, das hilft uns für die nächste Mission 2020. Ich habe versucht, das auf seriöse Art deutlich zu machen. Dann wurde ich dafür kritisiert, dass ich etwas schönreden wolle. Einer wie Musk hingegen twittert nach dem Verlust der Rakete: Schiff ist in Ordnung, kleinere Reparaturen, aufregender Tag. Wenn ich so etwas gesagt hätte, wäre ich an die Wand genagelt worden.

Wie ist dann die Wörner-Taktik?

Möglichst transparent und umfassend zu informieren. Über Fakten, aber eben auch über die Faszination. Ich halte Vorträge, wo ich nur kann.

Sie reden dann auch über die Zukunft der Esa. Was ändert sich denn dort?

Die Raumfahrt ändert sich, die Funktionen der Esa erweitern sich. Früher gaben die Mitgliedsländer Geld, und wir haben dann überlegt, mit welcher Firma wir ein Projekt umsetzen. So etwas machen wir heute nur noch dann, wenn wir aus Neugier irgendwohin fliegen. Aber wenn es zum Beispiel um das Thema Telekommunikation geht, dann investiert die Esa nur noch 30 bis 50 Prozent der Mittel, der Rest kommt von der Industrie. Der Markt ist da. Wir bieten sogar mittlerweile Versuche für jedermann im All an.

Was kostet ein Versuch?

Eine Firma zahlt 50 000 Euro, eine Universität 30 000 Euro. Dann fliegen wir ein Experiment auf die Internationale Raumstation. Das ist ein Beispiel für die Veränderung der Raumfahrt, die ich Space 4.0 nenne.

Und wofür steht das 4.0?

Wir haben heute mehr als 70 Raumfahrtnationen weltweit und haben Unternehmen wie Space-X oder den Satellitenhersteller OHB in Bremen, die selbst Missionen machen. Raumfahrt ist da viel weiter gefasst als in den Sechzigerjahren. Wir schicken nicht nur einen Menschen auf den Mond, sondern machen alles: Erdbeobachtung, Navigation, Telekommunikation. Raumfahrt liefert heute Infrastruktur. Space 4.0 steht für den kompletten Paradigmenwechsel - einschließlich "New Space".

Auch solche Start-ups können dann Geld verdienen?

Die Industrie investiert, wir setzen Geld ein, und zusammen wird es etwas Besseres. In unseren Gründerzentren unterstützen wir junge Firmen darin, Jobs mit der Raumfahrt zu schaffen. Die Start-ups bekommen vor allem Zugang zu unseren Techniken und Daten. Wenn bestimmte Bereiche der Raumfahrt von der Wirtschaft zum Teil übernommen werden, gibt es uns die Möglichkeit, zum Beispiel die Exploration stärker auszubauen.

Die jungen "New Space"-Firmen sind unkonventioneller. Ist dies überhaupt kompatibel mit der Esa, die bis zur letzten Schraube alles überprüfen muss?

Auch dies ist Teil des Paradigmenwechsels. Dort wo es möglich ist, wollen wir Unternehmen unterstützen, die Raumfahrt weiterzuentwickeln.

Wo sehen Sie denn die Chancen für junge Unternehmen?

Beim Moon Village etwa können sich auch kleine Firmen beteiligen. Andere nutzen Satellitendaten aus verschiedenen Quellen, um daraus Big Data zu machen. Da sind schon viele Firmen entstanden - ob es nun im Maritimen, im Energiebereich oder in der Landwirtschaft ist.

Ist das ein Weg, die Raumfahrt noch mehr in der Gesellschaft zu verankern?

Wir müssen es halt auch kommunizieren, schließlich wird die Esa über Steuergelder finanziert. Die Raumfahrt ist "all"-gegenwärtig, sie wird häufig nur nicht als Raumfahrt erkannt. Ob Sie nun Daten für Ihr Navi brauchen, Fernsehsignale empfangen oder eine Wettervorhersage benötigen. Woher sonst kommen die Daten, wenn nicht von den Satelliten?

Jan Wörner, 64, ist seit Juli 2015 Generaldirektor der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Er stammt aus Kassel, studierte Bauingenieurwesen, arbeitete für ein Ingenieurbüro. 1990 erhielt er eine Professur der TU Darmstadt, die er von 1995 bis 2006 als Präsident leitete. 2007 wurde er Chef des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2019/hgn
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