Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Boeing versucht noch einmal, die ISS zu erreichen

Nach einer Reihe von Rückschlägen ist das "Starliner"-Raumschiff gestartet. Der Konzern möchte endlich Astronauten zur Raumstation befördern. Allerdings ging auch diesmal nicht alles glatt.

Von Dieter Sürig

Der Boeing-Konzern hat seit Jahren erhebliche Probleme mit seinen Zivilflugzeugen, nun könnte dieser Tag entscheidend für das weitere Vorankommen in der Raumfahrtsparte werden: Boeing hat einen neuerlichen Versuch gestartet, mit seiner Starliner-Kapsel die Raumstation zu erreichen, bevor mit ihr die ersten Nasa-Astronauten zur ISS fliegen dürfen. Ein erster Test dieser Art war im Dezember 2019 gescheitert, die Kapsel konnte im Erdorbit wegen Problemen mit Bord-Uhr, Software und Kommunikation nicht mehr in Richtung ISS geschossen werden und landete zwei Tage später in New Mexico. Es folgten weitere Probleme, zuletzt mit korrodierten Antriebsdüsen.

Sollte es wieder nicht klappen mit dem Flug zur ISS, stellt sich die Frage, wie lange die Raumfahrtbehörde Nasa da noch bei ihrer Suche nach privaten ISS-Zubringern mitspielt. Bislang ist das der Fall: "Es klingt wie ein Klischee, aber die bemannte Raumfahrt ist hart", sagte Nasa-Managerin Kathy Lueders vorige Woche. Umso wichtiger sei es, vor dem ersten Flug mit Astronauten "sicherzustellen, dass wir die Risiken reduzieren und das System gründlich testen". Konkurrent Space-X hat Boeing jedenfalls schon weit hinter sich gelassen und mit seiner Dragon-Kapsel gerade die vierte reguläre Crew zur ISS geflogen sowie zuletzt private Astronauten für eine Mission der texanischen Firma Axiom Space.

Nun also der zweite unbemannte Testflug für Boeing. Am Mittwoch ist die Kapsel samt Rakete aus dem Fertigungsgebäude in Cape Canaveral im Bundesstaat Florida per Transportplattform zur Startrampe 41 gerollt. Die Starliner-Kapsel startete dort um 18.54 Uhr Ostküstenzeit auf einer Atlas-V-Rakete der United Launch Alliance (Boeing/Lockheed Martin). Die Kapsel ist für vier Astronauten ausgelegt, hat aber bei diesem Testflug neben einem Dummy namens "Rosie the Rocketeer" nur etwa 230 Kilogramm an Verpflegung und Ausrüstung für die derzeit sieben ISS-Astronauten an Bord. Etwa 24 Stunden nach dem Start soll die unbemannte Astronautenkapsel an die ISS andocken.

Bei dem Flug sollen unter anderem die Navigation beim Rendezvous mit der Raumstation und die Sensoren für das Andocken getestet werden. Die Kapsel soll dann der Nasa zufolge nach fünf bis sieben Tagen zur Erde zurückkehren und dabei rund 270 Kilogramm Last inklusive dreier leerer Tanks für die Sauerstoffversorgung transportieren. Als Landeplatz ist White Sands Space Harbor in New Mexico vorgesehen, früher eine Ausweichlandebahn für das Spaceshuttle.

65 Millionen Dollar soll ein Flug mit der "Crew Dragon" inzwischen kosten

Erstmals wären mit dem Starliner und einer Crew Dragon von Space-X zwei verschiedene US-Crew-Kapseln gleichzeitig an die ISS angedockt. Erst Ende April war Crew-4 mit der Dragon-Kapsel angekommen, unter den vier Raumfahrern auch Esa-Astronautin Samantha Cristoforetti. "Es ist sehr wichtig für das kommerzielle Crew-Programm, zwei Raumtransportsysteme zu haben", betont Nasa-Manager Steve Stich immer wieder. Dies gilt mittlerweile umso mehr, weil die Nasa keine Astronautenplätze mehr auf der russischen Sojus-Rakete buchen kann, falls die Zusammenarbeit mit der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos wegen des Ukraine-Krieges abgebrochen werden sollte. Trotz aller verrückter Drohgebärden von Roskosmos, dessen Chef sogar mal angedeutet hatte, dass die ISS im Notfall auch abstürzen könnte, verfolgt die Nasa aber weiterhin Pläne für ein Tauschprogramm, bei dem Astronauten mit der Sojus und Kosmonauten mit der Dragon fliegen. Man bereite sich immer noch darauf vor, im September einen Kosmonauten mit der Crew-5 zu fliegen, sagte Stich am Dienstag.

Nach dem Ende der Spaceshuttles 2011 flogen Nasa-Astronauten mehr als ein Jahrzehnt in der Sojus mit. Um wieder unabhängig von den Russen zu werden, hatte die Nasa 8,5 Milliarden Dollar in das Commercial Crew Program investiert, aus dem letztlich Space-X und Boeing als private Zubringer zur ISS hervorgingen. Bislang hat die Nasa neun reguläre Crew-Flüge mit einem Gesamtwert von 3,5 Milliarden Dollar an Space-X vergeben, drei davon erst im Februar. Dem Branchenmagazin Space News zufolge kostet ein Sitzplatz in der Crew Dragon mittlerweile etwa 65 Millionen Dollar. Früheren Nasa-Angaben zufolge lag der Preis bisher bei 55 Millionen Dollar, ein Platz in der Boeing-Kapsel bei 90 Millionen Dollar. Für Sojus-Flüge musste die Raumfahrtbehörde zuletzt bis zu 86 Millionen Dollar hinblättern. Bei einem erfolgreichen Testflug könnte Boeing womöglich noch in diesem Jahr die ersten Astronauten starten, wie Boeing-Manager Mark Nappi versichert.

Boeing versucht seit Jahren, seine Kapsel zu qualifizieren. Nach dem gescheiterten Testflug 2019 hatte eine Untersuchungskommission etwa 80 Punkte aufgelistet, die Boeing nachbessern musste. Reuters zufolge hatten Nasa-Manager damals eingestanden, dass sie Boeing zu viel Vertrauen geschenkt hatten, als sie beschlossen, das junge Unternehmen Space-X stärker zu beaufsichtigen als den Konzern, der immerhin schon andere Raumfahrtprojekte bewältigt hatte.

Und die Schwierigkeiten rissen für Boeing nicht ab. Erst musste die Nasa den Start der modifizierten Kapsel Ende Juli vergangenen Jahres verschieben, weil es beim Andocken eines neuen russischen Forschungsmoduls an der ISS dort zu Fehlzündungen gekommen war. Wenig später entdeckten Boeing-Ingenieure Korrosionsprobleme an 13 Ventilen im Antriebssystem der Starliner-Kapsel. Mittlerweile streitet Boeing mit dem Zulieferer über die Schuldfrage. Ende des Jahres zog Boeing dann die Reißleine, um den Testflug nicht noch weiter zu verzögern. Der Konzern entschied, das wiederverwendbare Crewmodul mit einem neuen Versorgungsmodul auszustatten, bei dem die Ventilprobleme modifiziert worden sind. "Das Team ist bereit", sagte Boeing-Manager Nappi am Dienstag. Allerdings ging auch diesmal nicht alles glatt. Während einer Manövrierphase nach dem Abkoppeln der Kapsel von der Raketenstufe fielen zwei der zwölf Schubdüsen aus. "Das System ist redundant ausgelegt und hat wie vorgesehen funktioniert", sagte Nappi später. "Jetzt arbeitet das Team daran, herauszufinden, warum diese Anomalien aufgetreten sind."

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