Ratingagenturen:Wächter unter Verdacht

Ihre Urteile stürzen die Finanzmärkte in Turbulenzen. Die Ratingagenturen haben Zweifel an ihrer Unabhängigkeit geweckt. Ihre Risikoeinschätzungen sind selbst zum Risiko geworden. Den Wechsel an ihrer Unternehmensspitze muss die einflussreichste Agentur Standard & Poor's dazu nutzen, neues Vertrauen aufzubauen.

Hans-Jürgen Jakobs

Schon seit einiger Zeit gilt, dass es den Boten schlechter Nachrichten schlecht ergeht. Im Altertum oder im Mittelalter wurden sie geköpft. Die modernen Boten der Weltwirtschaft sitzen in Ratingagenturen. Sie schauen sich die Bonität einzelner Staaten an, verteilen Zensuren und können damit Börsenkurse zum Schwanken bringen. Und so sind die Chefs dieser Ratingagenturen zu Lieblingsfeinden von Politikern in Europa und den USA geworden, deren Aufgabe mittlerweile darin besteht, trotz immer weiter steigender Staatsschulden so zu tun, als ob die Sache gut beherrschbar wäre. Da schimpfen sie lieber auf die Notengeber in den Ratingagenturen, als würden die ihre Ziffernfolge willkürlich aus dem Hut ziehen wie die Juroren beim Eiskunstlauf.

Ratingagenturen: Die Ratingagentur Standard & Poor's bekommt einen neuen Chef: Der neue, Douglas Peterson, muss das gebrochene Vertrauen wieder aufbauen.

Die Ratingagentur Standard & Poor's bekommt einen neuen Chef: Der neue, Douglas Peterson, muss das gebrochene Vertrauen wieder aufbauen.

(Foto: AFP)

Jetzt hat es den Chef der einflussreichsten Ratingagentur selbst erwischt, Deven Sharma von Standard & Poor's. Nach offizieller Lesart wurde er ein Opfer jenes Finanzkapitalismus, für den seine Spezialisten Triple A - oder auch nicht - bereit halten. Er habe sich zu wenig um die Struktur der Firma gekümmert und die inneren Werte nicht gehoben, kritisieren zwei Großaktionäre. Offenbar haben die Zweifler angesichts der Regierungskunst des zur Ablösung stehenden Managers eine Bewertung auf Ramschniveau erteilt. Sie beurteilten ihre eigene Ratingagentur höchst unvorteilhaft. Und sie träumen von AAA, dem Besten, was ihr eigenes Unternehmen für andere zu vergeben hat.

Nach vier Jahren war Schluss mit ihrem Chef. Angeblich hat die seit längerem geplante Personalie mit den vielen Fehlern, Merkwürdigkeiten und der starken öffentlichen Debatte um Standard & Poor's nichts zu tun. Doch der Blick kann überhaupt nicht an den vielen Problemfeldern vorbei führen, die dem neuen Chef Douglas Peterson überlassen werden - an all den Herausforderungen, gebrochenes Vertrauen wieder herzustellen.

Es ist ja unvergessen, wie Standard & Poor's - im Einklang mit den zwei anderen großen Agenturen Moody's und Fitch - vor der Finanzkrise 2007/2008 Best-Zensuren für Hypotheken-Wertpapiere vergab, die sich später als ökonomischer Sondermüll erwiesen. Vorher hatte sich der Kram mit dem guten Rating in der ganzen Welt gut verkaufen lassen. Auch haben die Bewerter aus Manhattan Firmen wie Enron, die Assekuranz AIG oder die Investmentbank Lehman Brothers notorisch positiv beurteilt, bis sie dann aus Mangel an Geld oder Vermögen zusammenbrachen. Und vor einigen Wochen zählten die Rechenkünstler der New Yorker Firma einfach falsch zusammen, sie irrten sich um nicht weniger als zwei Billionen Dollar, und doch stuften sie die Top-Bonität der Vereinigten Staaten herunter, was prompt einen Aktien-Crash auslöste.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Leute bei Standard & Poor's einfach selbst Politik machten, indem sie Washington vorwarfen, das politische System sei gelähmt. Und das nach schwierigen Verhandlungen, die immerhin zu einem Kompromiss führten. Längst haben Ermittler einen Blick auf den Betrieb, eine Tochter des Verlags McGraw Hill, an dem wiederum viele Finanzfirmen beteiligt sind. Wegen der Fehlleistungen in der Finanzkrise ermittelt das US-Justizministerium, wegen möglicher Insidergeschäfte beim Downgrading der USA die Börsenaufsicht SEC.

Kurzum: Das ganze Berechnungsmodell der Wächter über das Wohl von Staats- und Unternehmensfinanzen steht unter Verdacht. Ihre Risikoeinschätzung ist selbst zum Risiko geworden. Da ist es längst nicht mehr mit der Standardargumentation von Standard & Poor's getan, man äußere ja nur Meinungen. Da muss ein neuer Chef ran. Er hat die Chance, die gestörten, ja zerstörten Beziehungen zu den Regierungen dieser Welt neu aufzubauen.

Die Frage ist, ob sich das mit dem Ziel verträgt, den eigenen Aktionären über eine Aufspaltung der Firma mehr Rendite zukommen lassen, die sie fordern. Der Hinweis auf ökonomische Schwächen bei S & P deutet erst recht darauf hin, dass die Macht und Allwissenheit der Ratingagenturen total überschätzt wird. Sie sind Kaufleute der Schuldenwirtschaft, aber keine übergeordneten Instanzen wie der Internationale Währungsfonds oder die Europäische Zentralbank. Entscheidungen über Investitionen und Kredite dürfen daher nicht an ihr subjektives Urteil gebunden werden. Sie sind nur Informationsquellen.

Und doch: Auch Ratingagenturen können recht haben. Es ist am Ende sehr leicht, sie zu kritisieren, und schwer, sie zu ersetzen. Wenn der Rauch bei Standard & Poor's verzogen ist, wenn die Chefs getauscht und neue Strukturen entstanden sind, wird man feststellen, dass die Verschuldungsquoten einzelner Staaten weiter hoch sind - und dass Griechenland nicht vor der Pleite zu retten ist. Darauf Brief und Siegel.

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