Der Karlsruher Strafrechtler Michael Rosenthal ist ein Spezialist für heikle Fälle, und er geht manchmal recht unkonventionell vor. Als er 2003 vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht einen Freund der Hamburger Todespiloten verteidigte, dem immerhin Beihilfe zum Mord in 3006 Fällen vorgeworfen wurde, stellte der langaufgeschossene Verteidiger im Gerichtssaal die Frage, ob US-Strategen den Anschlag vom 11. September wegen "politischer Vorteile" herbeigesehnt hätten?
Gehörte Rosenthal zur Riege jener wildgewordenen Verschwörungstheoretiker, die den Massenmord für ein Komplott der amerikanischen Geheimdienste halten?
Nein, auf keinen Fall, versicherte der Anwalt, als sich das Geraune gelegt hatte: Er habe derart nur die Herausgabe von Akten provozieren wollen, die US-Ermittler deutschen Behörden vorenthielten. Ein solch versierter Provokateur (Rosenthals Mandant wurde in dem Terror-Verfahren später freigesprochen) hat in der Siemens-Affäre, in der die Beteiligten mit ersten juristischen Winkelzügen begonnen haben, noch gefehlt.
Auch sein Mandant, der frühere Siemens-Zentralvorstand Thomas Ganswindt, 46, ist in seinem Berufsleben nicht gerade durch vornehme Zurückhaltung aufgefallen. Der studierte Ingenieur war bei Siemens Sanierer und Erneuerer und galt zeitweise als heißer Kandidat für die Nachfolge Heinrich von Pierers an der Spitze des Konzerns.
Beratungen über Strategie
Seit Dienstag dieser Woche sitzt Ganswindt in Landsberg in Untersuchungshaft und am Donnerstag beriet er hinter Gittern mit Anwalt Rosenthal die Strategie für die Auseinandersetzung mit der Justiz.
Die Lage ist noch unklar. Nach Aussagen mehrerer Beschuldigter, die in den vergangenen Wochen inhaftiert wurden, soll Ganswindt das System der schwarzen Kassen nicht nur gekannt, sondern auch seine schützende Hand darüber gehalten haben.
Der ehemalige Siemens-Kaufmann Reinhard S. beispielsweise, der früher in der Sparte Telekommunikation (Com) arbeitete, hatte bereits im November zu Protokoll gegeben, dass er Anfang 2004 Ganswindt über Schwierigkeiten mit den sogenannten Provisionszahlungen, vulgo Schmiergeldern, informiert habe und ihm auch Summen genannt habe.
Die Ermittler des Landeskriminalamts waren elektrisiert. Ganswindt hatte nicht auf ihrer Liste der Beschuldigten gestanden, als das Verfahren begann. Erst in diesem Monat bekam auch er ein Aktenzeichen, und die Lage spitzte sich zu, als die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen ihn beantragte und bekam.
Der Top-Manager, der Siemens erst vor zehn Wochen verlassen hat und auf den Chefsessel der Luxemburger Elster Group gewechselt war, kann zur Schlüsselfigur dieses Ermittlungsverfahrens werden. Die Fragen der Ermittler liegen auf der Hand: Kannte Ganswindt das Schmiergeld-System, und falls ja, wusste er dann auch, wer noch im Vorstand Kenntnis hatte von den Durchstechereien?
Kooperation mit Staatsanwaltschaft
Wird der Skandal in der Top-Etage des Welt-Konzerns Opfer fordern? Ganswindt hatte vor ein paar Wochen auf Anfrage der SZ erklärt, er werde "selbstverständlich", sollte das erforderlich sein, mit der Staatsanwaltschaft und den anderen Behörden kooperieren. Damals war er noch potentieller Zeuge, jetzt ist er Beschuldigter und sitzt hinter Gittern. Gilt die Zusage auch jetzt?
Alle anderen Untersuchungshäftlinge haben bereits kooperiert; also umfassend ausgepackt oder zumindest damit begonnen. Zuletzt auch Michael Kutschenreuter, vormals Finanzvorstand bei Siemens-Com. Ebenso wie Reinhard S. soll auch Kutschenreuter den ehemaligen Zentralvorstand Ganswindt schwer belastet haben; so schwer, dass es für einen Haftbefehl reichte. Ganswindt weiß viel über das Innenleben des Konzerns, und er war seit Ende 2004 informiert über ein Ermittlungsverfahren in Liechtenstein, mit dem alles begonnen hatte.
Schon ein paar dezente Hinweise, wer alles bei Siemens via Konzernanwalt und Rechtsabteilung die frühen Erkenntnisse aus Liechtenstein über die dort gefundenen Schwarzgeldkonten mitgeteilt bekam, könnten die Konzernspitze noch mehr in Bedrängnis bringen. Schließlich sagte Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer diese Woche, er habe bis zur Großrazzia Mitte November nichts von dem System der schwarzen Kassen gewusst.
Der Karlsruher Anwalt Rosenthal ist der richtige Mann für jede Schlacht. Aber diese unübersichtliche, ständig wuchernde Affäre strapaziert manchmal sogar das Nervenkostüm der Coolsten. Bei der Festnahme von Ganswindt war Rosenthal dabei und als ihn just in diesem Augenblick am vergangenen Montag ein Reporter auf dem Handy anrief, zischte er: "Das geht nun wirklich nicht."