Vor einigen Jahren erregte das "One Laptop per Child"-Projekt des MIT-Professors und Philantropen Nicholas Negroponte Aufsehen. Mit kleinen, robusten und günstigen 100-Dollar-Laptops sollten Kinder vor allem in Ländern des globalen Südens Zugang zu Computern und Internet bekommen.
Dass es auch hierzulande nicht optimal um die digitalen Zugangs- und damit um die Zukunftschancen bestellt ist, hat die Corona-Krise deutlich gezeigt. Viele Schülerinnen und Schüler besitzen keinen eigenen Rechner, und nur die wenigsten Schulen stellen ihnen überhaupt passende Hardware zur Verfügung. Oftmals mussten und müssen sie sich in Zeiten von Homeschooling und Distanzunterricht mit dem Smartphone auf Lernplattformen einloggen und an Videokonferenzen teilnehmen oder sich mit den Geschwistern um die Laptops der Eltern streiten, die diese aber eigentlich auch fürs Home-Office brauchen.
Eine günstige Alternative zum eigenen teuren Laptop ist nun der Raspberry Pi 400. Das ist das neueste Modell des britischen Minicomputers, der bislang als nackte Platine daherkam und vor allem bei Bastlern und Programmiererinnen beliebt ist. Der Clou des seit Ende 2020 erhältlichen Gerätes: Wie bei manchen frühen Heimcomputern der 1980er-Jahre, zum Beispiel dem Sinclair ZX81 oder dem Commodore VC20, ist die Platine in der Tastatur verbaut. Für 100 Euro bekommt man so einen voll funktionsfähigen Rechner. Für diesen Preis liegen dem Kit nämlich noch das Betriebssystem auf einer Micro-SD-Karte sowie eine Maus, ein Strom- und ein HDMI-Kabel bei sowie - nicht unwesentlich - ein übersichtliches Handbuch für Raspberry-Pi-Neulinge. Man braucht nur noch einen Monitor oder einen Fernseher mit HDMI-Anschluss, dann lässt sich der weiß-himbeerfarbene Tastatur-Computer in Betrieb nehmen.
Natürlich ist der Rechner für dieses Geld nicht so leistungsstark wie Geräte, die ein Mehrfaches kosten. Die Hardware ist im Grunde die gleiche wie beim Raspberry Pi 4 aus dem Jahr 2019 mit vier ARM-Kernen und vier Gigabyte Hauptspeicher. Der Raspberry Pi 400 hat Wlan und Bluetooth und wesentliche Grundfunktionen wie Internetzugang, Daten speichern, E-Mails schreiben oder freie Office-Programme wie LibreOffice nutzen - das kann man mit dem kleinen Rechner auf jeden Fall.
2012 von der britischen Raspberry-Pi-Foundation auf den Markt gebracht, wurden die günstigen Ein-Platinen-Computer, die je nach Modell und Leistung zwischen fünf und 40 Euro kosten, bis heute millionenfach verkauft. Eben Upton, Gründer der Foundation und CEO von Raspberry Pi, hatte die Idee zum ursprünglich kreditkartengroßen Rechner, weil er nicht hinnehmen wollte, dass die Zahl der Informatikstudenten an seiner Universität Cambridge kontinuierlich sank. Upton hat in Cambridge Informatik studiert, promoviert und dort eine Zeit lang auch die Ausbildung in dem Fach geleitet. "Viele junge Leute benutzen zwar gerne Computer, aber nur die wenigsten haben ein Interesse daran, programmieren zu lernen", sagt Upton. Das wurde an den Universitäten zum Problem, es gab nicht mehr genug Teilnehmer und Teilnehmerinnen für die Kurse.
Hatten sich im Jahr 2000 noch 600 junge Menschen für ein Informatikstudium in Cambridge beworben, waren es 2008 nur noch 200. Mit dem Raspberry Pi wollte Upton jungen Leuten, Schülerinnen und Schülern eine erschwingliche Möglichkeit geben, Programmiererfahrung zu sammeln und so auch ihr Interesse an diesem Studiengang wecken. Der Plan ging auf: Mittlerweile haben sich die Raspis, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt werden, mehr als 36 Millionen Mal verkauft, sie sind an vielen Schulen und Bildungseinrichtungen nicht nur in Großbritannien zu finden. Und auch die Bewerberzahlen für ein Informatikstudium in Cambridge haben sich wieder erholt.
Nun wird nicht aus jedem und jeder Jugendlichen, die programmieren können, ein Informatikstudent oder eine Informatikstudentin in Cambridge. Aber die Gesellschaft brauche auch nicht nur Informatiker, sondern auch viele Ingenieure, die sich den technischen Herausforderungen der Zeit stellen können, sagt Upton. Zudem sei dieser Beruf eine gute Möglichkeit, um sozial aufzusteigen. Er komme aus der bürgerlichen Mittelklasse, kenne aber viele, die ihre Computerkenntnisse für einen gut bezahlten Job genutzt hätten. Und welche Eltern wünschten sich das nicht für ihr Kind?
Aber auch Erwachsene können mit einem Raspberry Pi programmieren lernen, ihre Kenntnisse auffrischen oder eine Welt jenseits der großen Betriebssysteme von Apple oder Microsoft kennenlernen. Zwar gibt es tatsächlich auch eine Windows-Version für diesen Minicomputer, aber in der Regel laufen sie mit dem Raspberry OS oder auch mit Ubuntu, also auf Basis der freien und kostenlosen Software Linux. Das sei auch sinnvoll, sagt Upton: "Wenn man günstige Hardware macht, will niemand für das Betriebssystem bezahlen."
Mit dem Anbieter von Ubuntu, dem britischen Software-Unternehmen Canonical, arbeitet Raspberry Pi schon länger an gemeinsamen Projekten. Seit Oktober gibt es nun die Desktopversion von Ubuntu 20.10 auch optimiert für alle Raspberry-Pi-Modelle mit vier oder acht Gigabyte Arbeitsspeicher. Ubuntu ist mittlerweile eine der meistgenutzten Linux-Desktop-Versionen, auch deshalb, weil es relativ benutzerfreundlich und verständlich ist.
Martin Wimpress, Director of Engineering Desktop bei Canonical, sieht viele Gemeinsamkeiten bei den Kundinnen und Kunden beider Firmen: "Menschen, die den Raspberry Pi kaufen, sind wissbegierig, kreativ und innovativ." Und das seien die besten Voraussetzungen, um das reichhaltige Ökossystem Linux zu nutzen. Es sei wie eine große Werkzeugkiste, die frei verfügbar und von hoher Qualität ist. Zudem basiere der größte Teil des Internet-Ökosystems auf Linux und Open Source. "Das zeigt, wie robust freie und offene Software ist, wie gut sie insgesamt funktioniert."
Ist Ubuntu für den Raspberry Pi nun der seit Jahren angekündigte und von Open-Source-Software-Enthusiasten ersehnte Durchbruch für Linux auf dem Desktop? Eben Upton kann sich das durchaus vorstellen, zumal sein Minicomputer immer stärker nachgefragt werde: "Linux hat viele Vorteile, und das sind nicht nur die Kosten." Zudem bräuchten viele Menschen, wenn sie einen Computer nutzen mittlerweile nur einen Webbrowser: "Solange mit ihm alles funktioniert, ist doch alles alles gut."