Süddeutsche Zeitung

Banken:Hartes Urteil im Schweizer Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts

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Der Ex-Starbanker Pierin Vincenz wird unter anderem wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu einer fast vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch die Aufarbeitung der Ära des ehemaligen Raiffeisen-Chefs geht weiter.

Von Isabel Pfaff, Zürich

Mit einem derart harten Urteil hatten nur wenige gerechnet: Der frühere Chef der Schweizer Raiffeisen-Banken, Pierin Vincenz, ist am Mittwochmorgen in erster Instanz schuldig gesprochen worden, unter anderem wegen Betrugs, Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Vincenz zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten, von denen der Ex-Banker bereits 106 Tage in Untersuchungshaft abgesessen hat, und zu einer Geldstrafe von 840 000 Franken. Die Freiheitsstrafe wird laut Gericht vollzogen, die Geldstrafe aufgeschoben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Prozessbeteiligten können Berufung einlegen.

Das Verfahren gegen Vincenz, einst einer der mächtigsten Banker der Schweiz, gilt als wichtigster Wirtschaftsprozess des Landes seit der Aufarbeitung der Swissair-Pleite. Die Ermittlungen dauerten mehr als drei Jahre. Heraus kam eine Anklageschrift von fast 400 Seiten. Auf der Anklagebank saßen neben Vincenz und seinem früheren Geschäftspartner Beat Stocker noch fünf weitere Beschuldigte - ein Megaprozess also.

Im Kern verhandelte das Gericht während der acht Verhandlungstage zwei Themenkomplexe: einerseits Spesenexzesse durch Vincenz und Stocker. Der Staatsanwaltschaft zufolge gaben die beiden Geschäftsmänner mehrere 100 000 Franken in Stripclubs, Restaurants und Hotels aus und verbuchten diese Ausgaben als geschäftlich. Insbesondere diese Vorwürfe hatten in der Schweizer Öffentlichkeit Aufsehen erregt, denn Pierin Vincenz galt bis dahin aus Ausnahmeerscheinung auf dem Schweizer Finanzplatz: bodenständig, volksnah und trotzdem erfolgreich. Unter seiner Führung stieg die Raiffeisen-Gruppe zur drittgrößten Bank im Land auf. Dass Vincenz in Stripclubs mit Geld um sich geworfen haben soll, erschütterte viele.

Auch das Gericht stellte hier ein Fehlverhalten fest und sprach Vincenz am Mittwoch der mehrfachen Veruntreuung, der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der Urkundenfälschung schuldig. Auch Stocker wurde wegen der Spesenaffäre schuldig gesprochen.

Vincenz soll durch verdeckte Beteiligungen an Unternehmen Millionengewinne erzielt haben

Strafrechtlich und auch finanziell gewichtiger ist in diesem Verfahren jedoch der zweite Komplex: Dabei geht es um mehrere Firmenübernahmen durch Raiffeisen und die Kreditkartenfirma Aduno (heute Viseca), an der Raiffeisen beteiligt ist. Grob gesagt soll sich Vincenz in vier Fällen verdeckt an Unternehmen beteiligt haben, die später von Raiffeisen oder von Aduno gekauft wurden. Gemäß der Anklage hat er bei den Transaktionen persönliche Gewinne in Millionenhöhe eingestrichen. Die Staatsanwaltschaft sah darin einen Fall von Betrug, weil Vincenz auf beiden Seiten des Verhandlungstisches gesessen und das nicht transparent gemacht hatte. Beat Stocker soll an den Transaktionen maßgeblich beteiligt gewesen sein, ihm machte die Anklage deshalb ähnliche Vorwürfe wie Vincenz. Auch die weiteren Angeklagten sollen mehrheitlich ebenfalls involviert gewesen sein in die umstrittenen Übernahmen.

Das Gericht sprach Vincenz auch in diesem Themenkomplex schuldig und verurteilte ihn unter anderem wegen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung und passiver Privatbestechung. Seinen Ex-Compagnon Stocker sieht das Gericht ebenfalls als schuldig an: Er erhält eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, aber eine geringere Geldstrafe als Vincenz. Drei der anderen Angeklagten erhalten Geldstrafen, einer wurde freigesprochen. Das Verfahren gegen den siebten Beschuldigten hat das Gericht aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.

Mit seinem harten Urteil folgt das Gericht unter Vorsitz des Richters Sebastian Aeppli in weiten Teilen der Anklage, auch wenn es Vincenz von einigen schweren Vorwürfen, wie etwa dem des gewerbsmäßigen Betrugs, freigesprochen hat. Das hatten Beobachter so nicht erwartet, denn die Verteidiger hatten im Verfahren teils plausible Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft vorgebracht. Das letzte Wort ist jedoch nicht gesprochen. Vincenz' Anwalt hat bereits Berufung angekündigt. Die Aufarbeitung der Ära Vincenz geht also weiter.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Detail in der Urteilsbegründung von Richter Aeppli: Das Gericht, so Aeppli, hat die Freiheitsstrafe von Vincenz um neun Monate reduziert, weil er durch die Medien "massiv" vorverurteilt worden sei. Nicht nur Bankern und Geschäftsleuten sollte das Urteil vom Mittwoch also zu denken geben, sondern auch den Prozessbeobachtern.

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