Raf Simons:Warum der Dior-Chefdesigner hinschmeißt

Kinostart - 'Dior und ich'

Raf Simons (hier in der Dokumentation "Dior und ich", 2015) ist künftig für das Design von Calvin Klein verantwortlich.

(Foto: CIM Productions/NFP/dpa)
  • Mode-Designer sind oft Workaholics - es ist schwer, sich in der Branche rechtzeitig zu verabschieden oder weniger zu arbeiten.
  • Genau dazu hat sich nun aber Dior-Chefdesigner Raf Simons entschieden.

Von Jan Kedves

Man soll gehen, wenn's am schönsten ist - diese Weisheit wird zu selten beherzigt, besonders in der Mode. Kaum ein Designer schafft es, sich rechtzeitig zu verabschieden. Da muss man gar nicht an Karl Lagerfeld denken, der bei Chanel einen unkündbaren Vertrag bis ans Lebensende haben soll und genau so lange designen wird. Es reicht, sich die Geschichte des Modehauses Dior anzuschauen: Christian Dior, der das Haus 1946 gegründet hatte, war Workaholic mit Hang zur Selbstaufgabe. Als seine Freunde ihn überredeten, endlich mal Urlaub zu machen, 1957, fuhr er in ein italienisches Spa und erlag dort einem Herzinfarkt.

Der Brite John Galliano, 1997 bis 2011 einer von Diors schillerndsten Nachfolgern, hielt dem Druck, immer wieder spektakuläre Ideen aufzufahren und diese in wilden Kostümierungen auch selbst auf dem Laufsteg vorzuführen, nur mit Drogen und Vereinsamung stand. Als die Sicherungen durchknallten und er in Paris öffentlich antisemitische Parolen lallte, flog er hochkant raus und rettete sich in den Entzug.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Raf Simons, der belgische Designer, der 2012 Gallianos Nachfolge antrat und für seine Kollektionen von der internationalen Modepresse nahezu unisono gepriesen wurde, nun einen anderen Weg wählt: Wie er am Freitag völlig überraschend bekannt gab, räumt Simons, nach nur dreieinhalb Jahren, im gegenseitigen Einvernehmen mit Dior seinen Posten. Eine Nachricht, die in der Modewelt mit Bestürzung, aber gar nicht mal mit Unverständnis aufgenommen wurde.

Denn ja, einerseits bewies Simons enormes Raffinement darin, die typischen Dior-Codes - wie etwa den stark taillierten "Bar"-Blazer des sogenannten "New Look" - nüchtern-romantisch ins Heute zu übersetzten. Er bescherte dem Unternehmen einen Umsatzzuwachs von 60 Prozent. Und setzte wichtige Akzente - etwa mit der Verpflichtung des Popstars Rihanna als erster schwarzer Werberepräsentantin der Marke. Andererseits klang in Interviews mit Simons immer wieder Frustration durch darüber, dass sich die Mode derart beschleunigt habe: Er verantwortete nicht nur jeweils zwei Haute-Couture- und Ready-to-wear-Kollektionen jährlich, sondern auch die sogenannten "Cruise-Kollektionen" dazwischen, die im Grunde nur dazu da sind, die Quartalszahlen nach oben zu treiben.

Ein Designer mit Wunsch nach Work-Life-Balance

"Meiner Entscheidung liegt alleine der Wunsch zugrunde, mich wieder mehr auf meine anderen Interessen - unter anderem meine eigene Marke - zu konzentrieren sowie auf die Leidenschaften, die mich abseits meiner Arbeit umtreiben", heißt es in dem Statement, das Simons veröffentlichte. Also: ein Designer mit Wunsch nach Work-Life-Balance und Entschleunigung. Einer, der auf dem Höhepunkt seines Erfolgs dem körperlichen und kreativen Burn-out zuvorkommen will. So etwas hat die Modewelt noch nicht - oder zumindest schon sehr lange nicht mehr - gesehen.

Simons, 1968 in Neerpelt geboren, ist kein gelernter Modedesigner, er studierte Industriedesign in Genk. Inspiriert von Vorbildern wie Helmut Lang und Martin Margiela gründete er 1995 in Antwerpen sein eigenes, nach ihm benanntes Label für Männermode. 2005 wurde er zu Jil Sander geholt, wo er anfing, für Frauen zu entwerfen. Er gilt als großer Liebhaber zeitgenössischer Kunst, was sich bisweilen auch in seinen Kollektionen niederschlägt - zuletzt etwa in Kooperationen mit dem amerikanischen Künstler Sterling Ruby.

Wer bei Dior auf ihn folgen wird, ist noch völlig unklar. Ebenso unklar ist, ob Simons - nach Ablauf seiner Sperrfrist - bei einem anderen Label Frauenmode entwerfen wird oder ob er plant, unter eigenem Namen eine Frauenlinie zu lancieren. Sicher ist nur: Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin bei Dior wird es verdammt schwer haben. Denn man wird seine oder ihre Arbeit immer an der Kritik des Vorgängers messen - dass es im gegenwärtigen Hamsterrad der Mode nahezu unmöglich geworden sei, andauernd gute Ideen zu haben, geschweige denn sie reifen zu lassen.

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