Süddeutsche Zeitung

Betrugsverdacht:Krankenkasse verklagt radiologische Praxenkette

Winfried Leßmann hat nicht nur Geld mit seiner Praxenkette gemacht. Jahrelang wickelte er einträgliche Arzneimittelgeschäfte über seine Frau ab - sie verdiente damit Millionen.

Von Christina Berndt und Markus Grill

Ärzte sollen Menschen gesund machen, Diagnosen stellen oder Leid verhindern. Damit bestreiten sie ihren Lebensunterhalt. Was Ärzte aber nicht dürfen: Geld mit Arzneimitteln verdienen, das ist Sache von Apothekern, Pharmafirmen und Pharmagroßhändlern. Aus gutem Grund: Solche Interessenkonflikte könnten schließlich darin enden, dass Ärzte ihren Patienten nicht das verschreiben, was das Beste für die Patienten ist, sondern das, woran die Ärzte am besten verdienen. Korruption im Gesundheitswesen wird seit einigen Jahren scharf verfolgt.

Und wenn die Gewinne in der Familie bleiben? Das müsste doch wohl unproblematisch sein, hat sich Winfried Leßmann überlegt. Jahrelang wickelte der Radiologe aus Leverkusen einträgliche Arzneimittelgeschäfte über seine Frau ab, wie Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigen. Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) hat deshalb in der vergangenen Woche Strafanzeige gegen Leßmann und seine Ehefrau erstattet.

Winfried Leßmann gilt als König der Radiologen in Deutschland. Einst übernahm der geschäftstüchtige Mediziner eine radiologische Praxis von seinem Vater, doch er führte sie in ganz neue Dimensionen, eröffnete einen neuen Standort nach dem anderen: Inzwischen werden in seiner Praxenkette "Med 360°" in mehr als zwanzig deutschen Städten mehr als 700 000 Patienten im Jahr behandelt. In diesem Jahr peilt Leßmann einen Umsatz von 200 Millionen Euro mit seiner Kette an, die er mittlerweile in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hat, deren Miteigentümer und Vorstandsvorsitzender er ist.

In seinen Praxen wird naturgemäß häufig mit Kontrastmitteln gearbeitet. Diese Arzneimittel sollen bei Aufnahmen im Computertomografen (CT) oder Magnetresonanztomografen (MRT) Gewebestrukturen besser sichtbar machen. Doch die besonders einträglichen Rezepte über diese Mittel wurden aus Leßmanns Praxen jahrelang an die Firma "Radiomed - Service für radiologische Großpraxen" weitergereicht. Die Firma gehörte früher zu 90 Prozent Leßmanns Ehefrau Dagmar Diwo-Leßmann, heute teilen sich Diwo-Leßmann und die vier erwachsenen Kinder des Paares die 90 Prozent.

Die Rezepte bedeuteten für die Familie Leßmann einen erquicklichen Geldsegen. Denn die Krankenkassen erstatteten den Großhändlern bis Ende 2016 in vielen Teilen Deutschlands den Listenpreis für die Kontrastmittel. Einkaufen konnten die Großhändler die Mittel aber für einen Bruchteil dieses Preises. So kostet ein Liter des beliebten Kontrastmittels Dotarem rund 1000 Euro, die Krankenkassen aber zahlten 6000 Euro dafür. Im Interview vor laufender Kamera bestätigte Winfried Leßmann, dass die Rezepte "bis Ende 2016" an die Firma seiner Frau flossen.

Sie konnte damit Millionen verdienen. Danach lohnte es sich offenbar nicht mehr: Ende 2016 nämlich stellten die Krankenkassen in Nordrhein und anderen Regionen die für sie schwer defizitäre Erstattungspraxis um. Inzwischen überweisen sie nur noch reduzierte Pauschalen, die aber oftmals immer noch über den realen Einkaufspreisen der Radiologen liegen, wie NDR, WDR und SZ bereits berichteten. Dafür dürfen Ärzte die Mittel heute direkt mit den Kassen abrechnen. Bald nach der Umstellung der Abrechnungspraxis, im Jahr 2018, stellte die Firma Radiomed ihre Geschäfte mit Kontrastmitteln ein, sie gab die Großhandelserlaubnis zurück. Heute handelt Radiomed nach Leßmanns Angaben unter anderem mit Immobilien und Computerfirmen. Dabei erwirtschaftet sie einen Jahresüberschuss von 17 Millionen Euro - mit nur drei Mitarbeitern.

Wie hoch der Gewinn durch die Rezepte war, sagt Leßmann nicht. Auch seine Ehefrau will darüber keine Auskunft geben. Stattdessen antwortet im Auftrag ihrer Firma ein Rechtsanwalt, dass jedes "namentliche Anprangern unserer Mandantin rechtswidrig" wäre. "Sollten Sie in Ihrem geplanten Bericht den Eindruck erwecken, zwischen unserer Mandantin und der Med 360° AG habe es geschäftliche Vorgänge gegeben, die rechtlich nicht einwandfrei gewesen seien, behalten wir uns schon jetzt alle Ansprüche, einschließlich des Anspruchs auf Schadenersatz, vor." Leßmann selbst sagt: "Ich bin fest davon überzeugt, dass alle diese Dinge, die hier in der Vergangenheit gemacht wurden, nach deutschem Recht und Gesetz völlig in Ordnung sind." Wenn die Firma Radiomed die Marge nicht eingestrichen hätte, hätte das eben eine andere Firma getan. Außerdem habe er die Verordnungen nicht selbst ausgestellt, sondern seine angestellten Ärzte, die frei in der Wahl der Mittel gewesen seien.

Das Modell gilt als "Hochproblematisch"

Die Frage von Recht und Gesetz bewertet Dina Michels ganz anders. Sie leitet bei der KKH die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen und hält das Modell für "hochproblematisch". Schließlich sollen Ärzte nicht an Verordnungen von Medikamenten verdienen. "Wenn sie dieses Geschäft über die Ehefrau machen, dann verdienen sie über diese Verbindung eben doch." Da Leßmann der Chef seiner angestellten Ärzte sei, habe er zudem entscheiden können, wer mit den Rezepten am Ende Gewinn machen durfte. "Deshalb sind ihm diese Verordnungen zuzurechnen", sagt die Chefermittlerin der KKH, das habe der Bundesgerichtshof in einem ähnlichen Fall auch so entschieden. In Hamburg sitzt ein Großhändler derzeit sogar für fünf Jahre im Gefängnis, weil er einen Teil seiner Gewinne aus dem Kontrastmittelgeschäft an die Praxiskette Hanserad zurücküberwiesen hat, die ihm ihre Rezepte überließ. Für Michels liegt daher im Fall Leßmann "ein Anfangsverdacht sowohl auf Betrug als auch auf Korruption vor."

Auch Thomas Fischer, ehemals Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof und Verfasser eines maßgeblichen Kommentars zum Strafrecht, sagt, ein Arzt dürfe nun einmal nicht vom Handel mit Arzneimitteln profitieren. Wenn man die Handelsgewinne "auf eine Weise zum Arzt hin verlagert, die dem Sinn des Gesetzes offenkundig widersprechen", dann mache das nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich einen Unterschied. Denn "in der Lebenspraxis" ließen sich die Gewinne von Ehefrau und Ehemann nun einmal nicht trennen. Natürlich profitiere Leßmann davon, wenn die Firma seiner Frau hohe Summen mit den Rezepten der Med 360° erwirtschaftet. Insofern sei die angeblich strikte Trennung zwischen den beiden Firmen "ein relativ unredliches Argument, weil es die eigentliche Motivation nur sehr unzureichend wiedergibt."

Leßmann weist darauf hin, dass er sogar ein Gutachten von einem Strafrechtler habe erstellen lassen, das ihm bescheinige, sein Vorgehen sei legal. Herausgeben will er das Gutachten allerdings nicht: Sein Anwalt schreibt, dass "eine Berichterstattung über jenes Gutachten aus unserer Sicht schon unter dem Gesichtspunkt fehlender Aktualität heute ohne jedes Informationsinteresse wäre." Für Strafrechtler Fischer ist so ein Gutachten sowieso nicht viel wert. Natürlich könne man "immer jemand finden, der ein Gutachten schreibt, in dem steht, dass auch die unanständigen Sachen noch nicht strafbar sind". Doch so ein "Verbotsirrtum" wäre leicht vermeidbar, sagt Fischer, wenn man zum Beispiel die Krankenkasse gefragt hätte. "Dann käme man möglicherweise darauf, dass man die Finger von den unanständigen Sachen weglassen sollte, insbesondere als Arzt".

Gefragt hat Leßmann die zuständige Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg aber offenbar nie. Die Kasse hat auch von sich aus nicht geprüft, in wessen Besitz sich jene Firma befindet, für die sie viele Millionen Euro Versichertengeld zahlte. Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ, ob sie wisse, dass die Eigentümerin der Radiomed die Ehefrau des Radiologen Leßmann sei, antwortete die AOK Rheinland/Hamburg nur knapp: Sie werde "diesen Sachverhalt an unsere Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen weiterleiten."

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SZ vom 14.02.2020/mxh
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