Radikaler Sparkurs:Warum Siemens schwer zu steuern ist

Sechs Milliarden Euro in zwei Jahren: Siemens' radikaler Sparkurs ist ein Klassiker aus dem BWLer-Lehrbuch. Das grundsätzliche Dilemma aber hat Konzernchef Löscher damit auch diesmal nicht gelöst: Wie bekommt er das Riesenreich Siemens mit seinen vielen Sparten, Geschäftsfeldern und Einzelstrategien unter Kontrolle?

Thomas Fromm

Um komplexe Dinge zu erklären und abzukürzen, greifen Menschen gerne zu Metaphern. Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer zum Beispiel nannte sein Unternehmen gerne einen großen Tanker, aus dem man "viele kleine Schnellboote" machen müsse. Das bedeutete im Grunde: Der Konzern ist als Ganzes so groß, dass er in seinen einzelnen Sparten zu langsam ist und deshalb ständig von Konkurrenten wie General Electric oder ABB abgehängt wird. Also wurde Siemens in einzelne Teile zerlegt, über Jahre hin, immer wieder neu zurechtgeschnitten, in immer neue Geschäftsbereiche, Sparten, Sektoren.

Geholfen hat es wenig. Wäre Siemens ein Autobauer, lägen die Dinge einfacher. Seine Produktpalette bestünde aus kleinen Autos und großen Limousinen. Ein überschaubarer Markt mit einem überschaubaren Management. Doch der Münchner Elektrokonzern ist kein normaler Konzern. Er liefert von Gasturbinen über Züge und Ultraschallgeräten bis hin zu Labordiagnostika so ziemlich alles.

Siemens ist heute ein Mischkonzern, der aus vielen Schnellbooten besteht, die aber in alle möglichen Richtungen steuern. Das ist gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise kaum mehr kontrollierbar. Einige der Boote kommen ans Ziel. Andere krachen im Sturm auf die Klippen. Das Management ist dann oft ratlos.

Peter Löscher, der Mann, der diesen seltsamen, unübersichtlichen Konzern seit fünf Jahren leitet, hatte diese spezielle Siemens-Dynamik unterschätzt und sich selbst dabei möglicherweise überschätzt. Er kaufte in den fünf Jahren seiner Amtszeit eine Vielzahl an Unternehmen zu, und er verhob sich damit. Wachstum und Größe allein machen noch keine Strategie - das spürt der Konzern in diesen Wochen. Aufträge und Bestellungen gehen in vielen Ländern zurück und der Jahresgewinn bricht um 27 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro ein.

Dade Behring, Solel, Desertec

Es begann gleich nach Löschers Amtsantritt, mit dem Kauf der US-Diagnostikfirma Dade Behring. Fünf Milliarden Euro kostete die Firma - zu viel, wie sich später herausstellte. Folge: Milliardenabschreibungen und Stellenabbau im Bereich Medizintechnik. Vor drei Jahren setzte die Siemens-Führung ganz auf das Schnellboot Solarenergie, kaufte das israelische Unternehmen Solel, und verkündete programmatisch: "Bei Siemens scheint nun die Sonne." Inzwischen ist längst wieder Sonnenuntergang, und der Konzern muss offen eingestehen: Das Geschäft mit Solarenergie ist zwar eine spannende Sache - nur ist das nicht einfach zu managen.

Das gilt vor allem, wenn man strategisch auf das nordafrikanische Wüstenstromprojekt Desertec zielt, aber noch nicht genau weiß, wie und wann man den Strom in den Norden bringen kann. Der Preis für diese Erkenntnis: Hohe Abschreibungen und Verluste. Neben der Solarsparte soll auch das Geschäft mit der Abwasserreinigung - einst ein im Konzern hochgelobtes Geschäftsfeld - aufgegeben werden, Weitere Bereiche sollen folgen. Stattdessen kauft Löscher weiter zu: Das belgische Softwareunternehmen LMS lässt er sich 680 Millionen Euro kosten, um sein Industriegeschäft zu stärken. Ob es sich am Ende lohnt? In zwei, drei Jahren wird man es genauer wissen.

Sechs Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren

Peter Löscher macht das, was Manager in solchen Situationen gerne tun: Er streicht Stellen und drückt die Kosten, um ganze sechs Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren. Ein Klassiker aus dem BWL-Lehrbuch, auf den Siemens in den vergangenen Jahren immer wieder zurückgegriffen hat, wenn der Konzern profitabler werden wollte. Das grundsätzliche Dilemma aber hat Löscher auch diesmal nicht gelöst: Wie bekommt er das Riesenreich Siemens mit seinen vielen Sparten, Geschäftsfeldern und Einzel-Strategien unter Kontrolle?

Siemens ist seit vielen Jahren in ständiger Bewegung, in einer permanenten Unruhe. Eine Häutung folgte der anderen. Es gab Zeiten, da setzte der Münchner Konzern auf Mobiltelefone und Telefonanlagen. Bis man erkannte: Das

Geschäft mit Privatkunden war zu schnelllebig und zu schwierig für den alten Tanker. Das konnten die spezialisierten Wettbewerber besser. Also verlegte man sich ganz auf die großen Dinge - Kraftwerke oder Computertomographen beispielsweise. Wie lange, weiß niemand.

Löschers Konzern, das ständige Laboratorium, wird sobald nicht zur Ruhe kommen.

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