Radfahren:Schneller treten

Steel is Real

Die Auswahl ist groß. Der Trend geht ohnehin zum Zweit- oder Drittrad. Für jede Gelegenheit hat man so das passende Modell parat.

(Foto: Jakob Berr)

Fahrradfahren ist in Mode - zunehmend unterstützen auch Firmen ihre Mitarbeiter beim Kauf eines Rads. Gefragt sind vor allem Modelle, die mehr Komfort und ein bisschen Luxus bieten.

Von Nora Jung, Berlin

Es ist so etwas wie das ungeschriebene Gesetz der Fahrrad-Enthusiasten: n + 1. "n" steht für die Anzahl der Fahrräder - und eines mehr kann nie schaden, soll das heißen. Fahrradfans gibt es schon lange, doch inzwischen hat das Fahrrad das Image eines minderwertigen Verkehrsmittels abgestreift, das nur diejenigen nutzen, die sich kein eigenes Auto leisten können. Das Fahrrad ist - auch im Land der mächtigen Autokonzerne und der Autobahnen - ein Statussymbol geworden.

Viele Vorzüge sprechen dafür: Radfahren verbessert Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit. Wer zur Arbeit radelt, mobilisiert alle Hauptgelenke, auch die also, die später stundenlang im Bürostuhlwinkel verharren. In der halben Stunde, die man im Sattel verbringt, verbrennt der Körper etwa 200 Kalorien zusätzlich, beim Autofahren dagegen so gut wie nichts.

Rein statistisch besitzt inzwischen fast jeder Bundesbürger ein Fahrrad

Aber nicht nur der Gesundheit tut Radfahren gut, die Zweiräder sind auch nahezu geräuschlos. Das ist kein Randproblem: Laut dem Umweltbundesamt fühlen sich mehr als die Hälfte der Deutschen durch Autolärm gestört, etwa 15 Prozent sind tagsüber einem Geräuschpegel von 65 Dezibel ausgesetzt - das ist ungefähr so, als würde ständig ein Staubsauger neben einem lärmen.

Auch wenn es darum geht, in der Stadt möglichst zügig von A nach B zu kommen, ist das Rad sehr oft die beste Wahl: Denn im Schnitt sind Fahrräder in urbanen Gebieten fast immer schneller als Autos. Und sie sind auch deutlich günstiger. Paul Tranter, Associate Professor an der University of New South Wales in Canberra, hat ausgerechnet, dass die Gesellschaft viel Geld sparen würde und Stadtbewohner zehn bis 15 Jahre früher in Rente gehen könnten, würden sie statt des Autos das Fahrrad nehmen. Grundlage seiner Berechnungen war die sogenannte soziale Geschwindigkeit: Zur effektiven Geschwindigkeit addierte er die externen Kosten, die die Gesellschaft tragen muss, vom Straßenbau bis hin zu Gesundheitsschäden aufgrund von Lärm und Abgasen.

Doch es geht nicht mehr nur um rationale Argumente. "Ganz klar!", sagt Marco Bielig, Verkäufer in der Berliner Filiale von Stadler, Deutschlands größtem Zweiradhändler. "Wir sehen einen deutlichen Trend zum Fahrradfahren, immer mehr Unternehmen nutzen auch die Möglichkeit des Firmenleasings. Und da wird dann auch tiefer in die Tasche gegriffen, weil mehr Wert auf Qualität gelegt wird."

Das zeigt auch die Statistik: Der Umsatz der Industrie in Deutschland wuchs dem Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) zufolge von 2006 bis 2016 von 1,5 auf 2,6 Milliarden Euro, 73 Millionen Fahrräder gibt es Schätzungen zufolge hierzulande, statistisch gesehen hat also fast jeder Einwohner ein Fahrrad.

In riesigen Geschäften wie der Stadler-Filiale in Berlin-Charlottenburg stehen die nächsten. Auf mehr als zehntausend Quadratmetern Verkaufsfläche warten Cross- und Mountainbikes in Grautönen, Rennräder in schwarz mit knallroten Aufschriften, Citybikes im Retrolook und - gerade besonders in Mode - E-Bikes auf Käufer. Wie viel er im Schnitt von den immer zahlreicher werdenden Kunden kassiert, verrät der Händler nicht, etwa 300 bis 500 Euro seien aber normal, sagt er. Einigermaßen gut ausgestattete Citybikes liegen allerdings schon im Bereich von 1000 Euro und mehr, auch die beliebten Retro-Rennräder finden sich in dieser Preisklasse.

Teurer geht natürlich immer. Profirennräder oder -mountainbikes etwa kosten leicht so viel wie ein Kleinwagen. Und mit dem Rad alleine ist es oft nicht getan. Liebhaber können alle möglichen Extras hinzu bestellen. Lampen mit USB-Ladefunktion für knapp 200 Euro, Fahrradcomputer mit Navigationsfunktion für 200 bis 1000 Euro, Sattelstützen, Flaschenhalter, Laufräder aus federleichtem Carbon. Auch elektrische Schaltungen finden bei Amateuren und Leistungssportlern mehr und mehr Gefallen. Dabei kosten sie um die 2500 Euro. Es schaltet sich dann sehr bequem, man darf nur nicht vergessen, sie auch aufzuladen. In Japan baut der Yacht-Konstrukteur Sueshiro Sano Räder mit Rahmen aus Mahagoni-Holz, fast 15 000 Euro kostet so ein edles Gefährt. Und das italienische Designstudio und Karosseriebau-Unternehmen Pininfarina hat ein luxuriös gestaltetes Zweirad aus Chromstahl mit (nahezu unsichtbar verstecktem) E-Motor entwickelt.

Dass der Absatz hochpreisiger Räder steigt, hat auch etwas damit zu tun, dass mehr und mehr Firmen ihren Angestellten das Fahrradfahren schmackhaft machen wollen. Die Deutsche Bahn etwa bietet ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich ihr persönliches Wunschrad auszusuchen, vom Rad mit Carbonrahmen und elektrischer Schaltung bis zum E-Bike ist alles erlaubt. Die Finanzierung erfolgt in Raten, die vom Bruttogehalt abgezogen werden. Wodurch der radelnde Bahnmitarbeiter nicht nur der Luftreinhaltung und seiner Gesundheit Gutes tut, sondern auch Steuern spart. Die Räder dürfen geschäftlich und privat genutzt werden und erhalten umfassende Wartung, Akkuschäden eingeschlossen. Und falls man dennoch stehen bleibt, kommt die mobile Pannenhilfe und bringt die Eisenbahner an ihr Ziel.

Fahrräder werden aber auch für innerstädtische Lieferdienste immer wichtiger. Lastenräder, zum Beispiel mit Elektroantrieb, können leichter Verkehrsstaus umfahren, brauchen weder Benzin noch große Parkplätze und sind günstig im Unterhalt. Etwas mehr als die Hälfte aller motorisierten Transporte könnten mit einem Lastenrad erledigt werden, heißt es in einer Studie der Managementberatung OC&C. Und: die umweltfreundlichen Lastenräder sind auch gut fürs Image der Lieferfirmen.

Das zeigt sich auch an Start-ups wie Foodora oder Deliveroo. Die Fahrer der Essens-Lieferdienste sind in pinken beziehungsweise blaugrauen, schicken Jacken und einer quadratischen Essensbox auf ihren eigenen Fahrrädern unterwegs und fahren für ein Gehalt knapp über dem Mindestlohn Essen zu den Stadtbewohnern, die sich für die 500 Meter bis zur nächsten Imbissbude nicht mit dem Auto in den Stau stellen wollen. Die Dienstjacken der Fahrer gelten schon als so modisch, dass die britische Zeitung Guardian sie als "Streetwear-must-have" bezeichnet hat.

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