Süddeutsche Zeitung

qualifiziert & arbeitslos (IV):Allein mit der Suchmaschine

Lesezeit: 5 min

Bestens ausgebildet - und doch arbeitslos. Wer sich auf Jobsuche begibt, stellt fest, dass sich eine Schattenwelt auftut ... und viele an der Arbeitslosigkeit mitverdienen wollen.

Barbara Ehrenreich

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "qualifiziert & arbeitslos" wieder. Barbara Ehrenreich, die bereits in dem Bestseller "Arbeit poor" im Selbstversuch erkundet hatte, ob und wie man von Billigjobs leben kann, beleuchtet in ihrem neuen Buch die arbeitslose Mittelschicht.

Ausgerüstet mit einer neuen Identität und einem Lebenslauf voller Qualifikationsnachweise versucht sie fast ein Jahr lang, in den USA Arbeit zu finden. Hier lesen Sie ihre ersten Schritte, tief hinein in eine Welt ganz eigener Art.

Natürlich ruhen nicht alle meine Hoffungen auf meinen Coachs.

So habe ich meiner neuen Identität Fleisch und Blut gegeben und ein Girokonto für Barbara Alexander eröffnet, eine Kreditkarte für sie beantragt und Visitenkarten für sie anfertigen lassen. Selbstverständlich hat sie auch schon eine E-Mail-Adresse.

Die Kleidung wird sie mit mir teilen müssen, denn zu diesem Zeitpunkt habe ich noch die naive Vorstellung, dass die Sachen, die ich bei meinen Vorlesungen in Colleges trage, auch in der Welt der Wirtschaft durchgehen.

Ich entferne den Namen Ehrenreich aus den Ansagetexten meines Anrufbeantworters und meiner Mobiltelefone, kaufe mir neue, auffällig dunkle Brillengestelle, die ich einzig danach auswähle, dass sie sich möglichst stark von meinen normalen, langweiligen Modellen unterscheiden.

Und ich stöbere in der Wirtschaftsabteilung der Großbuchhandlung Barnes and Nobles in meiner Nähe. Außerdem habe ich bereits von Kimberly gelernt, dass man "proaktiv" sein und "Eigeninitiative" an den Tag legen muss.

Mein Lebenslauf ist noch zu unvollständig, um ihn auf eine der großen Jobsuche-Sites wie Monster und HotJobs zu stellen, trotzdem gibt es unendlich viele Dinge im Internet, die ich machen kann.

Ich gehe auf die Seite des Verbands der "Event-Planner" und klaue mir daraus Begriffe, um meinen Lebenslauf aufzupuschen. Ich surfe weiter zu "Vor-Ort-Management" und "Evaluation von Ergebnissen".

Auf der Suche nach Tipps und - noch besser - Gesellschaft, gebe ich bei Google alle möglichen Kombinationen mit den Begriffen arbeitslos, leitende Angestellte, akademisch und Jobs ein.

Nicht die besten Suchbegriffe, stelle ich fest.

Zum einen sind Akademiker und Führungskräfte ohne Anstellung nicht "arbeitslos", sondern befinden sich "im Übergang" oder sind "Stellensuchende". Nur die unteren Chargen - Arbeiter und weibliche Büroangestellte - bekennen sich tatsächlich zur "Arbeitslosigkeit".

Zweitens gilt es, das Wort "Job" zu vermeiden, denn es führt einen, sofern es nicht genauestens spezifiziert ist, zu Seiten, auf denen als Sexdienstleistungen Hand- und Blow-Jobs angeboten werden.

Die Zeit, die ich im Internet verbringe, hinterlässt ein dumpfes, klaustrophobisches Gefühl.

Nachdem ich mich von Link zu Link durchgeklickt habe, vergesse ich, wo ich angefangen habe, und verliere mich in den vielen Seiten mit unzähligen Ratschlägen, Unterstützergruppen, Networking Events und Coaching- Angeboten für verschiedene Gehaltsstufen. Ich melde mich gegen eine Gebühr von 150 Dollar bei einem "ExecuNet" an und komme zu den Schluss, dass ich genau das bin - eine "Führungskraft".

Ich ergänze meine Begriffsliste durch Führungskraft und beginne erneut mit der Suche, die zu weiteren Selbsthilfegruppen, Networking Events und so weiter führt. Ist das nicht absolute Zeitverschwendung, was meine Stellensuche betrifft?

Es ist ungefähr so, als würde ich mich mit dem Brotmesser statt der Machete durch dichtes Dschungelunterholz kämpfen. Bei meiner zweiten Sitzung mit Joanne, die am Telefon stattfindet, gewinnt Barbara Alexander allmählich meine Hochachtung.

Ursprünglich hatte ich sie als Frau konzipiert, die es nicht nötig gehabt hatte zu arbeiten, sondern sich nur zum Vergnügen ein wenig in PR und Event Planning betätigte - als eine Art Erweiterung ihres engagierten Soziallebens.

Ihr Mann sollte ziemlich betucht sein, und ich stellte mir vor, dass ihr seine Beziehungen den Großteil ihrer Klienten verschafft hatten. Die Scheidung aber hat sie vor die Notwendigkeit gestellt, Geld zu verdienen, ein Unterfangen, auf das sie kaum vorbereitet ist.

Aber jetzt fragt mich Joanne, was meine Arbeit von der anderer Berufskollegen unterscheidet.

Ich suche nach einer Antwort, bis ich schließlich sage: "Meine gründliche Recherche bei allen Themen, an denen ich arbeite ... Mein Ziel ist, in den wichtigsten Fragen und Trends auf dem entsprechenden Gebiet so bewandert zu sein, dass ich mich auch an Entscheidungsprozessen beteiligen kann, etwa bei der Suche nach dem Hauptredner."

"Bewandert!", ruft Joanne in einem seltenen Anflug von Begeisterung aus. "Das Wort gefällt mir! Wir verwenden es im Lebenslauf oder vielleicht im Anschreiben!"

Barbara Alexander ist also keineswegs auf den Kopf gefallen, sondern eine herausragende Intellektuelle im Bereich des Event Planning.

Inzwischen hat mir Kimberly Hausaufgaben geschickt. Zunächst muss ich den Fragebogen ausfüllen, der zu meinem "Analysepaket" gehört.

Unter anderem soll ich fünf Adjektive für meine besten und fünf für meine schlechtesten Seiten auflisten.

Als beste Eigenschaften nenne ich tatkräftig, zielstrebig, intelligent, einfühlsam und kreativ, als dunkle Seiten liste ich ängstlich, zwanghaft, unorganisiert, ablenkbar und deprimiert auf - die allesamt manchmal tatsächlich zutreffen außer ablenkbar, was ich nur genommen habe, um die Liste vollständig zu machen.

Welches sind meine drei größten Ängste? Ich schreibe: "dass ich zu alt sein könnte, um Arbeit zu finden", und: "dass ich meinen Lebensabend in Armut verbringe", etwas Drittes fällt mir nicht ein.

Die einzige Frage, bei der ich endlich mal Luft holen kann, lautet: "Nennen Sie fünf Dinge, die Sie in Ihrem gegenwärtigen Leben tolerieren oder hinnehmen (zum Beispiel: ein unordentliches Büro, unhöfliche Bekannte, Mangel an Kommunikation usw.)".

Das ist es: ein unordentliches Büro. Berge von Papier, die sich um mich auftürmen und wellenartig anwachsen; die Bodenlampen, die als Ablage dienen, überall auf dem Schreibtisch leere Tassen und Gläser, dazu unbezahlte Rechnungen, unbeantwortete Briefe,Manuskripte, die ich besprechen soll.

Wenn wir über "gestörte Leidenschaft" reden, wie Morton sagen würde: Nach meinem häuslichen Arbeitszimmer zu urteilen besitze ich das organisatorische Talent eines Zwölfjährigen. Kimberly hatte in unserem ersten Gespräch prophezeit, dass ich nach unserem "koaktiven" Prozess nicht nur einen Job finden würde, sondern eine "völlig neue Sicht meiner selbst" bekäme.

Mit etwas Glück wird das, was ich dann sehe, weniger chaotisch sein. Die zweite Aufgabe, die Kimberly mir stellt, besteht in einem weiteren Persönlichkeitstest, dem Myers-Briggs Type Indicator, der geringfügig intelligenter ist als WEPSS, denn ich werde nicht einfach aufgefordert, die Attribute anzukreuzen, die auf mich zutreffen, sondern bekomme längere Fragen vorgelegt wie "Vertragen Sie sich in der Regel besser mit (A)fantasievollen Menschen oder (B)realistischen Menschen?" Wieder ist die einzig vernünftige Vorgehensweise die spontane.

Zeige ich in der Regel meine Gefühle offen oder behalte ich meine Gefühle für mich? Hmm, kommt darauf an,welche soziale Akzeptanz diese Gefühle haben. Wenn es sich um den Wunsch handelt, jemandem, der gerade in meiner Nähe ist, schweren körperlichen Schaden zuzufügen - tja, dann nein.

Wenn ich aus dem Haus gehe, plane ich dann, was ich tun werde und wann, oder "ziehe ich einfach los"? Auch da ist es ein Unterschied, ob ich vor Gericht aussagen soll oder lediglich ins Einkaufszentrum fahre.

In der Hoffnung, dass am Ende eine einigermaßen stimmige Persönlichkeit zum Vorschein kommt, hechle ich den Test mit der verrückten Entschlossenheit eines Affen durch, dem man eine Schreibmaschine gegeben hat, um Shakespeares Werke hervorzubringen.

(Teil V folgt ...)

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Was bisher geschah ... Barbara Alexander alias Ehrenreich lässt sich von mehreren Coaches beraten. Die sollen ihr helfen, sich in der Arbeitswelt besser zu verkaufen. Und dann ist da ja noch das Internet ...
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