Das Auffälligste an ihm ist seine Unauffälligkeit. Arne Freundt hat nicht die raumgreifende, skandinavische Lässigkeit seines Vorgängers Björn Gulden. Dunkelblauer Hoodie, locker sitzende Chino-Hose, Mehrtages-Bart, nach hinten gebändigte Haare - ein freundlicher, unprätentiöser Frühvierziger, wie man ihn abends beim Bier in der Kneipe nebenbei kennenlernt. Oder im Fitnessstudio, was natürlich angemessener wäre für einen Mann, der gerade einen Milliardenkonzern der Sportartikelindustrie übernommen hat. Arne Freundt ist seit kurzem Vorstandsvorsitzender des Sportartikelherstellers Puma. Und sollte er vor seinem ersten öffentlichen Auftritt in dieser Funktion aufgeregt gewesen sein, merkt man ihm das an diesem Mittwoch nicht an.
Auf einer ganz in Schwarz gehaltenen Bühne im Puma-Markenzentrum in Herzogenaurach präsentiert er die Geschäftszahlen des abgelaufenen Jahres. Es sind die erwarteten Rekordmarken. Knapp 8,5 Milliarden Euro Umsatz haben die 18 000 Puma-Beschäftigten 2022 erwirtschaftet, währungsbereinigt ein Plus von 18,9 Prozent und in Euro bemessen sogar von 24,4 Prozent. Zum Vergleich: Beim dreimal so großen Konkurrenten und Herzogenauracher Lokalrivalen Adidas betrug der Zuwachs 2022 etwa ein Prozent. Das operative Ergebnis von Puma stieg zwar weniger stark als der Umsatz, doch 15 Prozent mehr (641 Millionen Euro) zeugen von einer soliden Ertragskraft. Die Frage bei alledem ist: Was hat Arne Freundt mit diesen Zahlen zu tun?
Erst seit 8. November ist Freundt, gebürtiger Hamburger, zwei Kinder, begeisterter Läufer und Skifahrer ("Hauptsache Outdoor"), Vorstandschef des nach Nike und Adidas drittgrößten Sportartikelherstellers. Von heute auf morgen vom Chief Commercial Officer im Vorstand zur Nummer eins im Raubkatzenhaus befördert. Der Aufstieg als solcher war keine Überraschung, denn intern galt Freundt, seit 2011 bei Puma, schon länger als Kronprinz von Vorstandschef Gulden. Was verblüffte, waren der Zeitpunkt und die Umstände. Nach neun erfolgreichen Jahren bei Puma lief Gulden überraschend zu Adidas über, wo sie nach dem Scheitern von Vorstandschef Kasper Rorsted dringend einen neuen Anführer suchten. Nicht nur in der Branche fragt man sich seither, wie das so einfach gehen konnte. Normalerweise haben Spitzenmanager Verträge, die direkte Wechsel zu Konkurrenten ausschließen. Warum nicht Björn Gulden? Oder gab es vielleicht eine irgendwie geartete Kulanzregelung für den Norweger? Je nachdem, wen man bei Puma fragt, erhält man als Antwort professionelle Gleichgültigkeit ("Schwamm drüber und weiter"), Allgemeinplätze ("so ist das Leben"), kaum zitierfähiges Unverständnis über den eigenen Aufsichtsrat - oder ratloses Schulterzucken.
Zum ersten Mal dürfen bei der Bilanz-PK alle Vorstandsmitglieder reden
Und trotzdem sind es keine fremden Erfolge, die Freundt an diesem Mittwoch verkündet; es sind nicht nur die Zahlen seines abhanden gekommenen Vorgängers, sondern auch seine. Im Puma-Kosmos spielt der frühere Feldhockey- und Tennisspieler schon lange eine tragende Rolle. Seine große Herausforderung als Vorstandschef ist es, die von Vorgänger Gulden gestartete Rekordjagd fortzusetzen, zur Freude von Anlegern und Beschäftigten. Arne Freundt ist erkennbar bemüht, Signale über ein "Weiter so" hinaus zu setzen. Zwanzig Jahre lang standen bei der Puma-Bilanzpressekonferenz nur der jeweilige Vorstands- und der Finanzchef Rede und Antwort. Freundt hat alle Vorstandskollegen mitgebracht und alle dürfen auch reden.
Da ist Beschaffungschefin Anne-Laure Descours, Französin und sowohl vom Alter, wie auch von ihrer Vorstands-Zugehörigkeit (seit 2019) die Erfahrendste auf dem Podium. Finanzchef Hubert Hinterseher, Jahrgang 1978, wurde zeitgleich mit Arne Freundt vor nicht einmal zwei Jahren in den Vorstand berufen. Und dann ist da noch die ehemalige chilenische Handball-Nationalspielerin Maria Valdes, Jahrgang 1983, die zwar seit zehn Jahren bei Puma arbeitet, aber erst seit Januar 2023 als Chief Product Officer der obersten Führungsriege angehört, auf Wunsch von Freundt, wie es heißt. Zwei Frauen und zwei Männer also, insgesamt eine junge Konzernspitze in einer Firma, wo der durchschnittliche Mitarbeiter Anfang Dreißig ist. Dazu Rederecht für alle beim wichtigsten Medientermin des Jahres - all das sind Botschaften des neuen Puma-Chefs, der sich erklärtermaßen als Teamarbeiter positioniert.
Den Ruf des Mannschaftsspielers genoss Arne Freundt schon vor seiner Beförderung. Genauso sagt man ihm nach, von der Marke und ihren Produkten her zu denken und zu agieren - wie sein Vorgänger und Ziehvater Björn Gulden. Viel reden die Vier auf der Bühne von der Sichtbarkeit der Marke Puma, die noch besser werden müsse. Vor allem in den USA und in China, dem größten und dem wachstumsstärksten Markt in der Sportartikelindustrie. Hier wie da müsse Puma begehrter werden, sagt Freundt. In China erwirtschaftet Puma weniger als fünf Prozent des Konzernumsatzes und wird obendrein mehr als Mode-, denn als Sportmarke wahrgenommen. Und in Nordamerika hinkt man gemessen an Marktanteilen um Welten hinter Nike und Adidas her.
Und überhaupt: Auch wenn die Umsätze der Raubkatzen-Marke in den vergangenen acht Quartalen jeweils zweistellig gewachsen seien, schöpfe sie ihr Potenzial noch nicht aus. "Wir kratzen erst an der Oberfläche", sagt Freundt. "Wir bleiben hungrig." Obgleich seit Jahren dem Nachhaltigkeitsgedanken verschrieben, erwartet Puma neben dem Geschäften mit Fußball, Basketball und Sportmode ausgerechnet von der Formel 1 außergewöhnliche Impulse. Die Ausweitung der Rennserie biete ihrem Top-Ausrüster Puma vor allem in Nordamerika große Chancen, so Freundt und Valdes. Die alle Erwartungen übertreffende Netflix-Serie "Drive to Survive" habe gezeigt, dass die Formel 1 mehr sei als Raserei im Kreis, nämlich Ausdruck von modernem Lifestyle. "In Amerika hat die Formel 1 das Zeug, zum Super-Bowl auf Rädern zu werden", glaubt Freundt.
Für den Erfolg in Zukunft will sich Puma verstärkt in der Vergangenheit bedienen. 75 Jahre wird das Herzogenauracher Unternehmen in diesem Jahr und dementsprechend voll ist das Firmenarchiv. Mit legendären Fußballschuh-Modellen wie dem "King", den einst Pelé und Maradonna trugen. Oder berühmten Tretern großer Puma-Protagonisten aus anderen Sportarten, wie der Tennis-Legenden Guillermo Villas, Boris Becker oder Martina Navratilova, dem Sprinterkönig Usain Bolt oder Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton. "Unser Archiv ist voll mit Silhouetten", sagt Freundt, die nun als modische Sneakers oder Textil-Kollektionen wiederbelebt werden sollen.
Arne Freundt will Puma nicht neu ausrichten, sondern eher strategisch nachjustieren. Wie, das will er im Lauf des Jahres kundtun, respektive der komplette Vorstand will das. 2023 soll der Puma-Umsatz im hohen einstelligen Prozentbereich wachsen und ein operatives Ergebnis zwischen 590 und 670 Millionen Euro wird angepeilt. Helfen soll dabei übrigens Rihanna. Der als Stilikone gefeierte US-Popstar verantwortete bereits in der Vergangenheit einige Jahre eine eigene Puma-Kollektion. Zwischendurch herrschte Funkstille. Nun mischt sie als Designerin und Testimonial wieder mit. Ausgestattet mit einem langfristigen Vertrag.