Etwas zu verschenken widerspricht eigentlich der wirtschaftlichen Vernunft. Wer eine Leistung erbringt, der erwartet in der Regel eine Gegenleistung. Die Menschen kalkulieren die Kosten und den Nutzen ihrer Handlungen. Etwas umsonst herzugeben - das passt nicht in dieses Muster. Denn auf den ersten Blick sieht es so aus, als könnten sie Geschenke nur auf der Kostenseite verbuchen. Aber was steht auf der Nutzenseite? Die Dankbarkeit des Beschenkten? Gesellschaftliches Ansehen? Ein Gegengeschenk? Selbst dann erscheint dieser Tausch antiquiert und nicht gerade effizient. Denn nur selten bekommt der Beschenkte genau das, was er sich auch selber angeschafft hätte.
Trotzdem ist das Geschenk aus keiner Gesellschaft wegzudenken. "Schenken ist eines der wenige Universale", sagt der Soziologie-Professor Gerhard Schmied, Autor des Buchs "Schenken". "Es dient weltweit dazu, Beziehungen zu erhalten und zu stärken." Der Austausch von Gaben - das sei der Kern des Zusammenlebens und der Beginn von friedlicher Zivilisation. Bevor es ihn gab, nahm sich der Stärkere einfach, was er wollte. Mit Gewalt. "Die Gabe ist die Grammatik, nach der unsere Gesellschaft funktioniert", ergänzt Frank Schulz-Nieswandt, Professor für Sozialpolitik in Köln.
Denn auf die Gabe folgt eine Gegengabe, so beschrieb es der französische Soziologe Marcel Mauss im Jahr 1924. Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit hält die Menschen zusammen. Wer jemanden etwas gibt, sei es Geld, Zeit oder eben in diesen Tagen ein Weihnachtsgeschenk, der erwartet dafür etwas zurück. Das Geben wird zu einer strategischen Handlung. Beziehungen zwischen Menschen werden so zu einem Netz aus Geben und Nehmen, das sich durch die Zeit zieht.
Geschenk als Antwort auf früheres Geschenk
Daher ist Schenken auch so schwierig. Jedes Geschenk ist die Antwort auf ein anderes Geschenk, das wieder eine Antwort nach sich zieht. Gabe und Gegengabe müssen zueinander passen. Wer sich selbst viel Mühe gibt, um das richtige Geschenk für einen Freund zu finden, ist maßlos enttäuscht, wenn er selber nur einfallslose Socken bekommt. Doch die Balance zu halten - das ist an Weihnachten schwierig: Weil sie ihre Gaben gleichzeitig austauschen, wissen die Schenkenden vorher nicht, ob sie gleichwertig sind. Sie müssen vor der Bescherung schätzen, was der andere wohl investiert.
In der Ökonomie gibt es Modelle für dieses Dilemma. "Tit for tat" nennen das die Spieltheoretiker. Ein Akteur verhält sich solange fair, wie sich sein Gegenüber fair verhält. Auf Weihnachten übertragen heißt das: Wer einfallslose Geschenke verteilt, darf selber keine großen Überraschungen unterm Christbaum erwarten. Bernd Stauss, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Eichstätt, hat ein augenzwinkerndes Büchlein mit dem Titel "Optimiert Weihnachten" geschrieben. In einem nicht ganz ernst gemeinten Beispiel rechnet er aus, dass es zwischen Brüdern die beste Strategie ist, dem anderen zunächst ein kleines Päckchen zu packen. Erst wenn der Andere mit einem großen Geschenk antwortet, sei es an der Zeit, die Strategie zu ändern.
In der Realität neigen Menschen dazu, mehr zu geben, als sie zurück erwarten. "Wir beobachten einen solidarorientierten Gabenüberschuss", sagt Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt. Wer mehr hat, gibt auch mehr. Es kann aber auch zu einem regelrechten Wettlauf um die großzügigste Gabe kommen. "Dabei geht es um soziales Prestige, niemand möchte hinter anderen Wohltätern zurückbleiben", sagt Ulrich von Hecker, der an der Cardiff-Universität Psychologie lehrt.
Das gegenseitige Hochgeschaukele
Gabe und Gegengabe schaukeln sich gegenseitig hoch. Wie beim kanadischen Potlatsch: Bei diesem "Fest des Schenkens" unter indianischen Stämmen brach ein erbitterter Überbietungskampf aus. Konkurrierende Clans beschenkten sich so verschwenderisch, bis der andere die Gabe nicht mehr erwidern konnte. Es ging um Ehre. Und stürzte ganze Stämme in den Ruin.
Geschenke sind also nicht immer weihnachtlich friedlich. Sie bringen auch Macht und Einfluss für den Geber, indem sie Druck auf den Empfänger ausüben. "Gaben können zu Hierarchien führen", sagt Schulz-Nieswandt. "Manche Geschenke dienen dazu, den anderen zu demütigen." Wird der Unterschied zwischen Gabe und Gegengabe zu groß, möchte Psychologe Hecker gar nicht mehr von Geschenken sprechen: "Das ist Überwältigung, Einflussnahme oder Selbstdarstellung des Schenkers."
Selbst wenn beide Seiten die besten Absichten haben, kann beim Schenken vieles schief gehen: Manfred Bruhn, Professor für Marketing in Basel, glaubt, dass die meisten Menschen an Weihnachten von ihren Geschenken enttäuscht sind. Das liege daran, dass sich die Schenkenden zu wenig Gedanken machten. Ein schlecht durchdachtes Geschenk signalisiert dem Empfänger, dass er die Mühe nicht wert war. "Schenken ist Kommunikation, es ist ein Signal der Wertschätzung", sagt Bruhn. Jede Gabe sei eine Botschaft. Und die zehnte Krawatte sagt: "Ich hab"s mir leicht gemacht mit Dir."
Geschenkeberater Marco Klawonn wirbt gerade an Weihnachten für Nachsicht. Wenn das Schenken zur Pflicht wird, suchen viele kopflos nach Irgendwas. "Dann ist der Stressfaktor sehr hoch", sagt Klawonn. Wichtiger als der Wert der Gabe sei schließlich immer noch, dass es zum anderen passt. Dann reiche auch eine Kleinigkeit. Diplom-Psychologe Siegfried Brockert sieht das ähnlich: "Wir müssen wegkommen von dieser Kosten-Nutzen-Rechnung", fordert er. Für ihn ist Schenken wie Lieben: "Wir wollen uns von unserer besten Seite zeigen und den anderen glücklich machen, weil Glück zurückstrahlt." Für dieses Glück müsse man aber den Gedanken daran, was man wohl für seine Gabe zurückerhält, aufgeben.
Lesen Sie auf den kommenden Seiten, welche verschiedene Typen an Schenkern es gibt.
Der Chaot
Für ihn kommt Weihnachten viel zu plötzlich: Der chaotische Schenker hat wenige Stunden vor der Bescherung immer noch nicht alle Präsente beisammen. Zum Glück haben sich Tankstellen bestens auf Last-Minute-Schenker eingestellt - mit Blumen, Romanen oder riesigen Pralinenpackungen. "Meistens kaufen Chaoten sündhaft teure Pralinen, die sie auch direkt als Geschenk einpacken lassen", sagt Alfred Gebert, ehemaliger Professor für Psychologie in Münster.
Doch selbst große Mengen Schokolade lenken nicht davon ab, dass sich der Schenker wenig Gedanken um das Geschenk gemacht hat. Vor allem Frauen reagieren oft verärgert auf die süße Verlegenheitsgabe, beobachtet Gebert - etwa dann, wenn sie auf ihr Gewicht achten wollen. Marco Klawonn, der per Internet bei der Suche nach Geschenken hilft, rät ganz vom Notkauf ab. Der Chaot solle stattdessen lieber zu seiner Vergesslichkeit stehen, sich entschuldigen und nichts schenken.
Der Einfühlsame
Der einfühlsame Schenker ist das genaue Gegenteil zum chaotischen Typ. Er stellt hohe Ansprüche an seine Gabe, sagt Geschenkeberater Klawonn, weil sie seine Beziehung zum Beschenkten widerspiegelt. Für ihn - beziehungsweise meistens ist es eine sie - beginnen die Weihnachtsvorbereitungen bereits kurz nach Silvester. Das ganze Jahr über hört die Einfühlsame ihren Liebsten genau zu, um ihnen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.
Wer mit diesem Schenkertyp liiert ist, sollte daher aufpassen, dass ihm nur Herzenswünsche rausrutschen. Denn wenn er im Sommerurlaub erwähnt, wie gerne er Surfen lernen würde, findet er Monate später sicher einen Surfkurs unterm Weihnachtsbaum. Für Psychologe Gebert ist der einfühlsamer Schenker ein Glücksfall: "Diese Menschen lieben den anderen und möchten alles von ihm wissen. Meistens sind es Frauen, die so aufmerksam sind. So eine sollte man sofort heiraten."
Der Kreative
Die Gattung der kreativen Schenker wächst. Das könnte daran liegen, dass Bastler im Internetzeitalter nicht mehr auf sich allein gestellt sind. Sie können ihre persönlichen Fotos von Profis zu einem Kalender binden oder T-Shirts individuell bedrucken lassen. So riskieren sie keine peinlichen Pannen mit Schere und Kleber. Wer selber bastelt, signalisiert dem Beschenkten, dass er sich Zeit für ihn genommen hat. Doch Vorsicht: "Nicht jeder freut sich über etwas Selbstgemachtes", warnt Diplom-Psychologe Peter Wiblishauser aus München. "Manchen Menschen ist ein DVD-Player einfach lieber."
Zudem sollten es Schenker bei der Kreativität nicht übertreiben. Ein Wettlauf um die originellste Gabe dient allein dazu, den Geber in ein gutes Licht zu rücken. "Dabei geht es häufig um die Selbstverwirklichung des Schenkenden. Ob der Beschenkte daran Freude hat, ist fraglich", sagt Ulrich von Hecker, Psychologie-Professor an der Cardiff Universität.
Der Unsichere
Vom Selbstbewusstsein des kreativen Schenkers kann der Unsichere nur träumen. "Viele Menschen leiden darunter, dass sie einfach nicht wissen, was sie dem anderen schenken könnten", sagt Psychologe Gebert. Weil viele Menschen auch schon alles haben, wird es immer schwieriger, das Passende für sie zu finden. Gutscheine und Geldgeschenke haben daher enorm zugenommen, beobachtet Gebert.
Inzwischen gibt es im Internet sogar Anleitungen für Geld-Origami. Damit kann der Schenker seine einfallslosen Scheine kunstvoll zu Blumen, Schmetterlingen oder Vögelchen zusammenfalten. Ein weiterer Kniff: Der Unsichere kauft zwar ein Geschenk, legt aber die Quittung mit ins Paket. So kann der Empfänger die Gabe einfach wieder zu Geld machen. Natürlich überreicht der unsichere Schenker sein Päckchen nicht, ohne auf die Umtauschfristen hinzuweisen, die er bereits beim Einkauf genau recherchiert hat.
Alle Jahre wieder schenkt der Langweiler ein Buch, eine Krawatte oder immer dasselbe Parfüm. Er greift auf Altbewährtes zurück und glaubt, damit nichts falsch machen zu können. Das geht gut, solange der andere sich über dasselbe Geschenk jedes Jahr aufs Neue freue kann. Je besser man den anderen kennt, desto routinierter schenkt man ihm, was er braucht. "Problematisch wird es, wenn die Routine irgendwann spürbar wird", sagt von Hecker. "Dann ist die Beziehung gefährdet."
Wenn erst einmal genug Krawatten im Schrank hängen oder der Beschenkte mit dem Parfüm-Verbrauch nicht hinterher kommt, liegt es an ihm, etwas zu unternehmen. Um eintönige Präsente-Serien zu beenden, muss er in einem Jahr ehrlich sein unter dem Weihnachtsbaum. Gebert: "Viele heucheln Freude und sagen nicht die Wahrheit über das Geschenk. Dann bekommen sie es nächstes Jahr halt wieder."
Der Verweigerer
Dieses Dilemma kennt jeder: "Wir schenken uns dieses Jahr nichts" - so war es abgemacht. Und dann hat der andere doch eine Kleinigkeit besorgt. Für diese Fälle, sollte jeder zur Not eine Packung Pralinen aus der Schublade zaubern können. Psychologe Gebert beobachtet, dass inzwischen jeder Siebte oder Achte den Geschenkaustausch verweigert und ein Nicht-Schenk-Abkommen schließt.
Doch echte Verweigerer haben es zu Weihnachten schwer, denn das Risiko, dass das Abkommen gebrochen wird, ist hoch. "Wenn man sich nicht an die Absprache hält, dann ist das Geschenk keine Freude mehr für den anderen", sagt von Hecker. Es bringt den anderen stattdessen in Verlegenheit. Geschenkberater Gawonn hält daher nichts vom Nicht-Schenken: Besser sei es da noch, sich auf kleine Geschenke für wenig Geld zu einigen, sagt er. So steht am Ende niemand mit leeren Händen da.
Der Stratege
Das Bügeleisen für Mutti, die Spitzenunterwäsche für die Ehefrau oder die Espresso-Maschine für den Mitbewohner - es gibt Geschenke, die dem Schenkenden mehr nutzen als dem Beschenkten. Solche Gaben sind nur dann erlaubt, wenn sicher ist, dass sich der Beschenkte darüber ebenso freut wie der Schenker. "Wer etwas für den Haushalt schenkt, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, ist gemein", sagt Psychologe Wiblishauser.
Ebenso gemein sei der Wink mit dem Zaunpfahl, wenn also beispielsweise der Mann seiner Partnerin Spitzenunterwäsche oder Sportgeräte schenkt. Geschenkeberater Gawonn spricht bei solche Gaben von "Appell-Geschenken", denn sie fordern den Empfänger auf, sich zu ändern. "Geschenke können auch sagen: Du machst etwas falsch", sagt Gebert. Eine solche Botschaft sollte man aber lieber offen aussprechen, als sie unter dem Weihnachtsbaum zu verpacken.
Der Protzer
Er macht den anderen das Weihnachtsfest zur Qual. Der Protzer beschämt seine Opfer durch übertrieben üppige Geschenke. "Das ist ein Horror für jeden", sagt Gebert. Wer mit Geschenken klotzt, der möchte zeigen, dass er erfolgreich ist. Während er sich an seiner eigenen Großzügigkeit erfreut, fühlt sich der Beschenkte jedoch nicht selten unwohl in seiner Haut. "Er hat das Gefühl, dass er das nicht wieder wettmachen kann", sagt Wiblishausen und warnt: "Es gibt Beziehungen, die daran zerbrechen, dass der eine mehr Geld hat als der andere."
Teure Geschenke können sogar Gefühle von Scham und Abhängigkeit auslösen. Der Beschenkte steht in der Schuld des anderen, solange er ihm kein gleichwertiges Gegengeschenk macht. Der Protzer gewinnt durch seine Gabe Macht über den anderen. Soziologen beobachten zudem, dass sich Menschen gegenseitig mit teuren Gaben überbieten, um ihr Prestige zu steigern. Silke Bigalke